Jugendfilm | Deutschland/Turkmenistan 1993 | 101 (Director's Cut 91) Minuten

Regie: Arend Agthe

Ein 13-jähriger Junge aus Hamburg reist nach Turkmenistan, um in der Wüste Karakum seinen Vater, einen Ingenieur, zu besuchen. Die Fahrt zur Baustelle wird zu einem gefährlichen Abenteuer, bei dem er sich gemeinsam mit einem gleichaltrigen turkmenischen Freund gegen Hitze und Durst, aber auch eine brutale Schmugglerbande behaupten muß. Ein spannender Abenteuerfilm, erzählt in faszinierenden Bildern einer betörend schönen Wüstenlandschaft. Unverkrampft und spielerisch bietet er zugleich Einblicke in ein unbekanntes Land und erzählt von einer vorurteilsfreien Freundschaft über Länder- und Kulturgrenzen hinweg. (Der um rund zehn Minuten gestraffte "Director’s Cut" nimmt dem Film etwas von den Atempausen zwischen der Action, in denen die Landschaft wirken kann. Das mögen ältere Fans bedauern, heutigen Sehgewohnheiten von Kindern dürfte das angezogene Tempo entgegenkommen.) - Sehenswert ab 10.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland/Turkmenistan
Produktionsjahr
1993
Produktionsfirma
Ottokar Runze Filmprod./Cinescreen/Kubny-Voigtlaender/HR/WDR/Ylham Studios
Regie
Arend Agthe
Buch
Arend Agthe · Usman Saparow
Kamera
Michael Wiesweg
Musik
Matthias Raue · Martin Cyrus
Schnitt
Ursula Höf
Darsteller
Max Kullmann (Robert) · Murat Orasov (Murad) · Pjotr Olev (Pjotr) · Neithardt Riedel (Jansen) · Alexander Patapov (Alexander)
Länge
101 (Director's Cut 91) Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 10.
Genre
Jugendfilm | Abenteuer
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
MFA (16:9, 1.66:1, DD5.1 dt.)
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Diskussion
"Karakum" heißt "Schwarze Wüste" und ist der Name der endlos weiten Wüstenregion im Süden Turkmenistans. Im Westen stößt diese menschenleere, landschaftlich ebenso bizarre wie faszinierende Region, die nur durch unsichtbare Kamelstraßen und wenige halbverfallene Brunnen strukturiert ist, an den Iran, im Nordwesten endet die Wüste am Kaspischen Meer. Hierhin fliegt der 13jährige Robert aus Hamburg, um seinen Vater zu besuchen, einen Ingenieur, der Erdgasvorkommen sucht. Da auf der Baustelle Probleme aufgetreten sind, kann der Vater Robert nicht abholen und schickt seinen besten Fahrer Pjotr. Doch Robert ist nicht die einzige Fracht auf Pjotrs klapprigem LKW: während man eine millionenteure Turbine für die Baustelle verlädt, verstaut Pjotr heimlich ein kleines Paket mit Rauschgift, das er für eine Schmugglerbande transportieren soll. Schließlich hält Pjotr noch an einer Kolchose, um seinen Neffen Murad mitzunehmen, einen aufgeweckten Jungen in Roberts Alter, der ebenfalls zu seinem Vater, einem Schafhirten, will. Als Pjotr seinen Laster von der vorgegebenen Route lenkt, um ihn über beschwerliche, kaum passierbare Wüstenhügel, die "turkmenische Autobahn", zu steuern, wird Murad mißtramsch. Doch weder er noch der von der Reise müde Robert ahnen, daß sie kurze Zeit später mit defektem Kühler und ohne sonderliche Wasservorräte in der Wüste feststecken werden. Pjotr macht sich auf, um Wasser und Hilfe zu holen, und die beiden Jungen, die sich nur durch Gesten und Zeichen verständigen können, sind auf sich gestellt. Nach endlosen Stunden des vergeblichen Wartens zündet in Robert eine Idee: als begeisterter Segelanhänger konstruiert er gemeinsam mit Murad aus den Montageteilen der Turbine einen großen Strandsegler, der sie in Windeseile davongleiten läßt. In der Hoffnung, sich bis zum Meer durchschlagen zu können, beginnen sie ihre Reise, die noch voller Abenteuer und Gefahren sein wird.

Ein blonder Junge aus Deutschland, mit lässig aufgesetzter roter Schirmkappe, mit Walkman, Gameboy, Windsurfer-Zeitung und einer elektrischen Zahnbürste - wie "exotisch" wirkt Robert in der Abgeschiedenheit der turkmenischen Wüste. Doch Murad, äußerlich von ihm so grundverschieden, registriert Roberts Insignien der westlichen Zivilisation mit offener Neugier und leicht amüsiertem Interesse; die Sprünge des winzigen Männchens im Computer-Spiel macht er sogleich nach, indem er über zwei Benzinkanister hoppst. Trotz mangelnder sprachlicher Möglichkeit zur Verständigung begegnen sich die beiden Jungen mit Sympathie und selbstverständlicher Offenheit, etwas, was Arend Aghtes Film geradewegs mit den großen amerikanischen Western verbindet, in denen auch die Helden professionell genug sind, um sich gegenseitig so zu nehmen, wie man ist, und sich dann im gemeinsamen Abenteuer zu bewähren. Und was da auf Robert und Marud zukommt, ist in der Tat ein handfestes Abenteuer, wovon man als Daheimgebliebener nur träumen kann: Sand und Wüste, das Ausgeliefertsein an Hitze und Durst - da weht eine Brise Karl May durch die Geschichte, und auch Robert Aldrichs "Der Flug des Phoenix" (fd 13 937) winkt aus der Ferne, nur daß sich hier zwei Dreizehnjährige behaupten müssen, was sie schließlich auch mit Mut und Bravour tun. Agthe erzählt die spannende Geschichte vor allem mittels Bildern von atemberaubender Schönheit: die Wüste mit ihren ständig variierenden Oberflächenstrukturen bietet einen optischen Reiz ohnegleichen, das Licht wechselt im Verlauf eines Tages und wird mit großer Intensität und Atmosphäre eingefangen. Mit wenigen optischen Akzenten deutet Agthe aber auch an, daß es hier um keinen "luftleeren" Fantasie-Raum geht, sondern um eine konkrete Region, die mit ihren Problemen zu kämpfen hat. Verfallene Bohrtürme und Industriemüll liegen ebenso am Wegesrand wie ein verrottetes Hammer-Sichel-Denkmal, das von vergangenen sowjetrepublikanischen Zeiten kündet. Nur wenige Pinselstriche genügen Agthe auch, um den Jungen ausreichend Profil zu geben und sie zu Sympathieträgem zu machen. Nur einmal "rastet" Robert angesichts der verfahrenen Situation aus und verlangt in seiner Angst, daß man ihn sofort wegbringe, und für einen kleinen Moment ist er ganz die Miniaturausgabe eines arroganten westlichen Pauschal-Touristen; doch nicht zuletzt Murads Natürlichkeit holt ihn auf den Teppich zurück, schweißt ihn mit dem Freund zusammen. Wunderbar unverkrampft und mit spielerischer Lässigkeit strukturiert Agthe die Ereignisse, in die noch Pjotr mit gebrochenem Bein, ein alter Jurten-Hirte mit seiner Enkelin, skrupellose Schmuggler und nicht zuletzt immer wieder Roberts besorgter Vater mit seinen Suchflügen eingreifen. Ruhepunkte von fast versunkener Trägheit stehen gegen Szenen voller Action und Bewegung, wenn das kuriose Gefährt der Freunde über den Sand "schwebt". Zum liebenswerten Katalysator der Ereignisse - auch hier ist der Film ganz einer Western-Tradition des komischen Sideman verbunden - wird eine Ziege, die bis zum guten Ende wortwörtlich eine Rolle spielt und zum Verbündeten wird, um den man beinahe ebenso bangt wie um Robert und Murad.
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