Simon Verhoeven schaut genau hin. Er beobachtet das Verhalten von Menschen, um es dann seinen Figuren mitzugeben. Allerdings destilliert er die Wirklichkeit fürs Kino, denn was er dort zeigt, ist ein Kondensat, ein Kondensat der Macken. Das macht seine Figuren bemerkenswert, besonders, wenn sie die peinlichen Seiten seiner Geschichten bestreiten. Auch in „Nightlife“ bringt Verhoeven Peinlichkeit auf die Leinwand, so ausgeprägt, dass man kaum hinschauen kann, weil man in seinen Großaufnahmen erkennt, wie blödsinnig die gängigen Attitüden der Hipness und der Moden sind. Er bringt sein Publikum dazu, sich zu schämen – für die Protagonisten, aber auch für sich selbst. Da ist die Aufmerksamkeit schon mal geweckt.
Dieses Grundprinzip der Komödie, die Übertreibung, nutzt Verhoeven in jeder Hinsicht. Er setzt es bei der Sentimentalität seiner Story ein, in ihren Referenzen an die Popkultur des letzten Jahrhunderts, für die unterschiedlichen Gangsterklischees, denen man in „Nightlife“ begegnet. Denn „Nightlife“ behandelt zwar am Anfang titelgemäß die allnächtliche Arbeit zweier Barkeeper, verwandelt sich dann aber schnell in eine Liebesgeschichte und zwei Thriller.
Nachtträume von Familie und Fahrradausflug
Milo und Renzo, gespielt von Elyas M’Barek und Frederick Lau, stehen jede Nacht weisungsgebunden hinterm Tresen und verkaufen Drinks ans Berliner Partyvolk. Dabei finden sie problemlos genug Spaß, Sex und Alkohol, aber ein eigener Laden wäre ihnen trotzdem lieber. Nicht zuletzt, um das Nacht- in ein Tagleben umzuwandeln, in dem andere für sie arbeiten und sie selbst genug Zeit haben, sich bürgerlich-familiär niederzulassen. „Fahrradausflug“ ist das Zauberwort, bei dessen kitschiger Konnotation Renzo anfängt zu weinen, weil er merkt, dass sogar er jetzt alt genug ist für eigene Kinder.
Beim Versuch, einen Kredit für die eigene Bar aufzunehmen, lernen die zwei angehenden Unternehmer Heiko kennen, einen hilflosen Bankbeamten. Sein Chef verbietet die Anleihe, zum Trost lädt Heiko sie zu seinem Fantasy-Spielabend ein. Schreckliche Idee, finden die beiden, nicht ahnend, dass Heiko und seine kostümierten Freunde bald als Einzige zu ihrem Überleben beitragen werden. In Heikos Wohnung zeigt sich am deutlichsten, dass Simon Verhoeven seine Figuren nie im Stich lässt. Der Zuschauer muss sie so oft anschauen, bis er sie schätzen lernt; die Helden der Geschichte müssen ihre Herablassung bereuen, wenn die Nerds ihnen ohne jedes Zögern beistehen, egal wie undurchschaubar die Gefahr. Hier inszeniert Verhoeven nicht bloß grandios verrückt, sondern auch grandios lustig.
Das fehlende Geld ist der Anfang von allem Unglück. Es führt dazu, dass Renzo seine kriminellen Kontakte auffrischt: Erst besucht er eine russische Psychopathenfamilie in Marzahn, dann ein paar nicht minder psychopathische Schläger in Brandenburg. Statt leicht verdientes Drogengeld bekommt er jedoch von beiden Seiten Ärger, und Milo, als sein ständiger Begleiter, wird mitverantwortlich gemacht für Renzos Dummheit. Was schade ist, denn Milo hat gerade die Piratin Sunny kennengelernt, die ihm die richtige Frau zum Heiraten scheint, trotz oder wegen ihrer piratenhaft fordernden Art. Also muss er sie auf ein Date einladen, während Berlins gesamte Unterwelt versucht, das auf ihn ausgesetzte Kopfgeld zu verdienen.
M’Barek und Lau in Dauerbewegung
Die Kombination Elyas M’Barek – Frederick Lau klappt wieder gut, sie ist interessanter als in „Das perfekte Geheimnis“, weil die beiden mehr miteinander zu tun haben. Dauernd sind sie in Bewegung, dauernd reden sie dabei, der Kontrast zwischen hysterischem und trockenem Witz zündet im Verlauf der Handlung zunehmend. Lau gibt den Bekloppten mit Gefühl, M’Barek den Fels in der Brandung, sie jazzen sich gegenseitig hoch zu Slapstick der amüsanteren Art. Palina Rojinskis Sunny ist die nüchterne im Bund, sie zeigt mehr Realitätsbezug als die beiden anderen zusammen. Grit Boettcher spielt mit, sie schwoft in einer Bar für ältere Herrschaften, die zu den unterschiedlichen Clubs gehört, mit denen der Titel „Nightlife“ bedient wird. Man sieht viel vom Berliner Nachtleben zwischen Sex- und Tanzlokal, und weil die Protagonisten meist rennend auf der Flucht sind, sieht man es quasi im Schnelldurchlauf. Das macht den Film noch besser.