Drama | USA 2019 | 101 Minuten

Regie: Lulu Wang

Eine junge Sino-Amerikanerin fliegt nach China, wo sich ihre Verwandten um die todkranke Großmutter versammeln, die nur noch wenige Wochen zu leben hat. Doch niemand darf der alten Frau die Wahrheit sagen, weshalb eine Hochzeit arrangiert wird, um das Zusammentreffen der Großfamilie zu erklären. Der tragikomische, auf autobiografischen Erlebnissen fußende Film um eine „wahre Lüge“ entfaltet mit kraftvoll-schrulligen Charakteren und liebevollen Details eine weibliche Weltsicht, in der Herzhaft-Komisches neben bieder-banalen Momenten steht. Ein herzerwärmender Film mit einem feinen Gespür für gesellschaftliche wie kulturelle Unterschiede. - Sehenswert ab 12.
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Filmdaten

Originaltitel
THE FAREWELL
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Big Beach Films/Depth of Field/Kindred Spirit/Seesaw Prod.
Regie
Lulu Wang
Buch
Lulu Wang
Kamera
Anna Franquesa-Solano
Musik
Alex Weston
Schnitt
Matt Friedman · Michael Taylor
Darsteller
Zhao Shuzhen (Nai Nai) · Awkwafina (Billi) · X Mayo (Suze) · Hong Lu (Little Nai Nai) · Hong Lin (Doctor Wu)
Länge
101 Minuten
Kinostart
19.12.2019
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 12.
Genre
Drama | Komödie
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
DCM/Leonine
Verleih Blu-ray
DCM/Leonine
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Herzerwärmende Tragikomödie um eine junge Sino-Amerikanerin, die zu ihrer Großmutter nach China fliegt, weil die angeblich nur noch wenige Wochen zu leben hat; doch niemand will der alten Frau die Wahrheit über ihren Zustand verraten.

Diskussion

So wie Billi geht es vielen Migranten. Als Kinder verließen sie mit ihren Eltern ihr Geburtsland und landeten in einer anderen Welt. Sie lernten eine fremde Sprache, gingen zur Schule, machten eine Ausbildung. Begegneten Menschen, schlossen Bekanntschaften, fanden Freunde, vielleicht eine Liebe. Irgendwann ist man richtig angekommen am neuen Ort, zuhause in der Fremde. Zugleich fühlt man sich aber weiterhin mit dem Land der Vorfahren verbunden, den Verwandten und Freunden, Landschaften, Gerüchen und Traditionen; eben all dem, was man mit dem Gefühl des Zuhause-Seins verbindet. Früher hatte man sich in solchen Situationen Briefe geschrieben. Heute hängt man am Telefon oder chattet und hält über die sozialen Medien Kontakt. Lässt einander teilhaben am Alltag und erzählt sich alles, aber vielleicht nicht immer die ganze Wahrheit.

So wie Billi, die in dem wunderschön-sehnsüchtelnden und oft herzhaft komischen „The Farewell“ an einem Herbsttag mit dem Handy am Ohr durch New York spaziert und ihrer „Nai Nai“ in China in schönstem Mandarin versichert, dass sie einen Hut aufhabe – was sie selbstverständlich nicht tut. Doch das sieht die Oma nicht und kümmert keinen. Das Telefonat tut Billi gut. Obwohl sie ihre Nai Nai jahrelang nicht gesehen hat, ist die Großmutter ihr emotionaler Anker. Vor allem in schwierigen Situationen wie jetzt, wo Billi erfahren hat, dass ihr das sehnlich erhoffte Guggenheim-Stipendium nicht zugesprochen wird und ihre Schriftstellerinnen-Karriere damit in der Luft hängt.

Das Herz auf der Zunge

Direkt darüber reden kann Billi mit der Nai Nai so wenig wie mit ihren Eltern, die in sie all ihre Hoffnungen setzen. Man ist schließlich ausgewandert, damit Billi ein besseres Leben führen kann. Völlig unvorbereitet erfährt man dann, dass Nai Nai todkrank ist. Ein paar Wochen oder Monate geben ihr die Ärzte noch. Der Großmutter hält man diese Nachricht aber vor, weil man in China überzeugt ist, dass nicht der Krebs, sondern die Angst davor die Menschen ins Grab bringe. Damit die verstreut lebende Verwandtschaft trotzdem zusammenkommen und sich von ihr verabschieden kann, soll Billis Cousin Hao Hao seine japanische Freundin heiraten. Und um sicherzugehen, dass Billi, die wie alle US-Amerikaner das Herz auf der Zunge trägt und ihre Emotionen oft nicht unter Kontrolle hat, sich nicht verplappert, soll sie in New York bleiben.

Doch Billi kratzt ihre letzten Dollars zusammen und fliegt nach China. Wenige Tage vor der Hochzeit platzt sie in ein Familientreffen. Sie ist dabei genauso aufgewühlt, wie es ihre Eltern befürchtet hatten, bringt vor lauter Angst, etwas zu verraten, aber kein Wort über die Lippen. „Wieso sprichst du nicht, Billi?“, fragt Nai Nai verwundert, und: „Iss, wir haben gekocht, du bist zu mager!“

Das Komische überwiegt

Innerhalb weniger Sekunden, in einer kurzen Szene, in der nur wenige Worte fallen, aber umso mehr Gesten und Blicke sprechen, skizziert die Regisseurin Lulu Wang, worin sich reelle und medienvermittelte Begegnungen unterscheiden. „The Farewell“ baut auf eine ganze Reihe gesellschaftlicher wie kultureller Unterschiede auf, die um verwandtschaftliche Pflichten, aber auch um emotionale Verbundenheit mit der Großmutter resultieren. Das thematisch beklemmende Drama funktioniert über weite Strecken nach den Regeln einer Komödie. Die Story ist simpel und gradlinig. Man trifft zusammen, bereitet das Fest vor, spricht hinter Nai Nais Rücken mit ihren Ärzten. Das Hochzeitsfest, ganz nach Nai Nais Vorstellungen gestaltet, ist großartig komisch und bieder. Danach zerstreut man sich wieder, reist zurück nach Japan, in die USA, ein kurzer Epilog rundet die Erzählung.

Der Spannungsbogen ruht ganz auf Billis Figur. Auf der Frage, ob sie sich den chinesischen Gepflogenheiten unterwirft, oder ob die Amerikanerin in ihr irgendwann durchbricht. Aber auch, wie man innerhalb einer Familie mit einer bedrohlichen Wahrheit umgeht und ob deren Verheimlichung unter Umständen tatsächlich statthaft ist; auch Nai Nai hat vor vielen Jahren ihrem todkranken Mann den Befund der Ärzte vorenthalten.

Nach einer wahren Lüge

Als „based on an actual lie“, nach einer wahren Lüge, lanciert Lulu Wang ihren nach „Posthumous“ (2014) zweiten Kinofilm, in dem sie persönlich Erlebtes aufgreift. Als Kind emigrierte sie mit ihren Eltern in die USA und stand stets ihrer Großmutter sehr nahe. „The Farewell“ wurde in New York und Changchun gedreht, der Heimatstadt von Wangs Großmutter. Für eine US-Produktion eher ungewöhnlich vereint der Film in der Originalfassung die Sprachen Englisch, Mandarin und Japanisch; dennoch ist „The Farewell“ eine der erfolgreichsten US-Independent-Produktionen des Jahres 2019, wenn nicht gar aller Zeiten.

Der große Reiz des Films resultiert weniger aus der Story als aus präzise beobachteten Verhaltensweisen von Personen und liebevoll gestalteten Details, nicht zuletzt in der unverblümten Wiedergabe weiblicher Weltwahrnehmung und Empfindsamkeit, wie man sie auch aus den Filmen und Texten von Miranda July kennt. Die Figuren sind nicht Helden, sondern eigenwillige Persönlichkeiten mit Vorlieben und Macken. Getragen wird der Film von den Schauspielern; allen voran der 75-jährigen Zhao Shuzhen, die als liebevoll-besorgte Oma ebenso überzeugt wie als energische Matriarchin.

Ihre Gegenspielerin ist die Sino-Amerikanerin Awkwafina, deren Stärke im Komödiantischen liegt. Obwohl „The Farewell“ eigentlich dramatisch angelegt ist, prägt Awkwafinas nonchalant-komische und bisweilen an den frühen Charlie Chaplin erinnernde Unbekümmertheit den Film, die ihre Figur mal nachdenklich-melancholisch, mal überschwänglich, aber immer absolut glaubwürdig erscheinen lässt.

Über das Vergehen der Zeit

Fein beobachtet auch in der Schilderung der örtlichen Veränderungen, die Billi das einst vertraute Viertel ihrer Oma leise fremd erscheinen lassen, ist „The Farewell“ ein herzerwärmender Film, nicht nur über den Culture- und Social-Clash, sondern auch über das Vergehen der Zeit, welches das Leben markiert. Zweifelsohne eine der kleinen großen Überraschungen des Kinojahres 2019.

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