Ein großes Floß aus Bambusbündeln treibt über die grünschillernde Oberfläche des Flusses, an dessen Rändern sich leichter Nebel bildet. Ein Mann singt. Die Atmosphäre ist fast idyllisch, aber die Arbeit ist hart und schlecht bezahlt. Fünf Flößer aus Bangladesch transportieren 24.000 Bambusstämme über 300 Flusskilometer bis in die Hauptstadt Dhaka. Die Fahrt dauert einen Monat. Immer wieder wird dabei die Fracht bedroht, durch den Fluss und seine Stromschnellen, aber auch durch Piraten und korrupte Polizisten.
Im Vordergrund von „Bamboo Stories“ stehen die vierwöchige Reise auf dem Floß, die fünf Männer, ihre Lebensgeschichten und Perspektiven. Doch Regisseur Shaheen Dill-Riaz zeichnet darüber hinaus die ganze Produktionskette des Bambushandels nach: vom Waldpächter und den Holzfällern über den Großhändler und den Flößern bis zu den Zwischenhändlern, die unterwegs immer wieder versuchen, den Bambus möglichst billig direkt vom Floß herunter zu kaufen. Ein Bündel hat 400 Stämme, ein Floß besteht aus 60 Bündeln; eine große Gewinnspanne steckt nicht im Bambusgeschäft: „Bambus ist das Holz der kleinen Leute“, sagt einer der Protagonisten, „die Reichen verwenden es nicht mehr als Baumaterial, die Armen können nicht viel zahlen.“
Der große Kreislauf des Bambus
Shaheen Dill-Riaz stellt die Protagonisten in ihren unterschiedlichen Lebensbereichen vor, auf der Arbeit und im familiären Umfeld, im Bambuswald und auf dem Fluss, in den Häfen und in den Häusern. Jeder der Flößer hat seine Gründe, warum er diesen Beruf gewählt hat. Der Vorarbeiter Shoheed ist fast nur noch auf dem Fluss, seitdem seine Frau gestorben ist, als ihr Kleid beim Kochen Feuer fing. Nuru arbeitet auf dem Floß, seitdem er acht Jahre alt ist. Shiraz lacht: „Das ist eine Arbeit für Taugenichtse.“ Letztes Jahr hatte ihm seine Familie noch eine elektrische Rikscha gekauft. Doch die Arbeit gefiel ihm nicht und so kehrte er zum Fluss zurück: „Hier auf dem Floß muss man einen halben Tag arbeiten und kann den Rest entspannen.“ Seine Frau zieht zuhause drei Kinder auf und könnte ohne die Unterstützung ihrer Familie nicht leben; der Lohn des Flößers reicht nicht aus.
Vom Floß aus sehen die Männer, wie sich das Land verändert. Am Flussufer häuft ein großer gelber Bagger einen Erdwall auf. Eine Fabrik wird gebaut. „Die Maschine arbeitet Tag und Nacht, aber es sind keine Arbeiter zu sehen“, sagt einer der Flößer. Im Bambusgeschäft sind noch viele Menschen beschäftigt, wenn auch zu schlechten Löhnen. Die Familie des Bambusgroßhändlers Mohammed ist seit vier Generationen im Geschäft. Für seinen eigenen Sohn wünscht er sich etwas anderes. Wenn der Junge groß ist, wird es den Handel mit Bambus nicht mehr geben.
Nachhaltigkeit ist keine Frage von Innovation
Ob es denn nicht einfacher und schneller wäre, den Bambus mit Lastwagen zu transportieren, wird er Großhändler gefragt. Schneller vielleicht, aber unbezahlbar. Nachhaltigkeit, auch das macht der Film deutlich, ist nicht immer eine Frage von Innovationen, sondern oft auch von Traditionen und Armut. Aber auch des Respekts der eigenen Arbeit und der Natur gegenüber.
Der Holzfäller Liakot arbeitet schon seit seiner Kindheit im Wald. Für ihn ist er, trotz Blutegeln und Stechmücken, ein heiliges Territorium, das er mit großem Respekt behandelt. Sein Lohn ist niedrig und die Reparaturen an seinem bescheidenen Haus macht er selbst. „Aber das Essen müssen wir kaufen“, sagt seine Frau, „und das ist teuer.“ Für seinen Sohn wünscht sich Liakot etwas anderes, der soll einmal Lehrer werden.
Auch der Waldpächter Mamun ersehnt sich für seine Kinder ein anderes Leben. Viele Waldarbeiter kommen mit ihrem Lohn nicht über die Runden: „Der Reis ist zu teuer. Ich kann meinen Preis für den Bambus aber nicht nach dem Reis richten“, sagt er. Auf dem Fluss kassiert die Wasserschutzpolizei Schmiergeld; die Piraten streichen Schutzgeld ein. Die Flößer begegnen den möglichen Gefahren mit Sarkasmus: „Die würden sich auch mit unseren vier Handys zufriedengeben. Es sind eben drittklassige Piraten, arme Schweine wie wir.“
Der Raum und die Würde der Menschen
Mit „Bamboo Stories“ gelingt Shaheen Dill-Riaz ein eindringliches Porträt einer aussterbenden Arbeitswelt. Der Film ist weder reißerischer Armutsreport noch eine romantische Vision vorindustrieller Arbeitsprozesse. Er schildert die prekäre Situation der Flößer und Holzfäller, vermittelt aber auch deren Freude an der Arbeit und das Geflecht zwischenmenschlicher Kontakte; auf diese Weise verschafft er seinen Protagonisten Raum und Würde.