Fünf Dinge, die ich nicht verstehe

Drama | Deutschland 2017 | 71 Minuten

Regie: Henning Beckhoff

Der Sohn eines Bauern aus einem Dorf am Rande des Ruhrgebiets steht mit dem Erwachsenwerden ohne klare Vorstellung seiner Zukunft zwischen traditionsverbundenem Vater und aggressivem Bruder. Einsam und ziellos, verbringt er die Zeit mit Schuleschwänzen und Radfahren mit seiner besten Freundin, bis er für diese tiefere Gefühle zu empfinden beginnt, die ihn noch mehr verunsichern. Das vielschichtige Drama über die Entwicklung eines haltlosen Jugendlichen in einer strukturschwachen Region zeichnet sich durch einen ausgezeichneten Hauptdarsteller und seine akkurat entwickelte Milieustudie aus. Die Bilder fangen die enge und bedrückende Tristesse meisterhaft ein und verbinden sich zu einer bemerkenswert anderen Art von Heimatfilm. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2017
Produktionsfirma
Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf
Regie
Henning Beckhoff
Buch
Paula Cvjetkovic · Henning Beckhoff
Kamera
Sabine Panossian
Musik
Inma Galiot
Schnitt
Anna Mbiya Katshunga · Emma Gräf
Darsteller
Jerome Hirthammer (Johannes) · Peter Lohmeyer (Rainer) · Henning Flüsloh (Carsten) · Michelle Tiemann (Marike) · Anna Böttcher (Susanna)
Länge
71 Minuten
Kinostart
07.11.2019
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. einen Audiokommentar des Regisseurs und der Kamerafrau Sabine Panossian.

Verleih DVD
Filmgalerie 451 (16:9, 1.78:1, DD5.1 dt.)
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Deutsches Regiedebüt über den Sohn eines Bauern vom Rande des Ruhrgebiets, der am Erwachsenwerden verzweifelt und sich ziellos treiben lässt, bis er sich in seine beste Freundin verliebt.

Diskussion

Notizen von einem Aufwachsen in der Provinz. Johannes lebt auf einem Bauernhof am südlichen Rande des Ruhrgebiets, dort, wo das Bergische Land schnell wie das Sauerland ausschaut. Eine Idylle ist das nicht. Johannes lebt auf dem Hof zusammen mit seinem Vater Rainer, seinem älteren Bruder Carsten und Oma Lisbeth. Die Mutter hat die Familie verlassen. Wie man einen Menschen vergessen kann, den man einmal geliebt hat, ist eine der Fragen, die Johannes nicht versteht. Eine andere ist die, ob letztlich nicht alles egal ist, weil man jederzeit bei einer Treibjagd erschossen werden kann. Rainer ist nämlich passionierter Jäger, und Johannes wächst in einem Milieu auf, in dem der Erwerb des Jagdscheins als „grünes Abitur“ gilt.

Die Milchwirtschaft, die Rainer auf dem Hof betreibt, ist harte Arbeit, wirft aber nicht viel ab. Wenn Rainer in die Stadt fährt, fährt er mit dem Traktor. Er überlegt, ob er sich nicht besser nach einem Job als Paketausfahrer umsehen soll. Mit leichter Hand gelingt dem Filmemacher Henning Beckhoff, der selbst aus dieser Gegend stammt, in seinem Spielfilmdebüt „Fünf Dinge, die ich nicht verstehe“ eine Milieustudie, die sich bestens zu der Beobachtung eines Erwachsenwerdens in der Provinz fügt. Was Beckhoff zeigt, ist betont unglamourös und wirkt angesichts konkurrierender Medienbilder bundesdeutscher Lebenswelten tatsächlich wie aus der Zeit gefallen.

Enge und bedrückende Tristesse

Kamera und Ausstattung sorgen für Bilder einer engen und bedrückenden Tristesse: die Unbehaustheit auf dem heruntergekommenen Hof ist mit Händen zu greifen, da stimmt jede in die übervolle Unordnung drapierte Plastiktüte. Hier wird mit größter Selbstverständlichkeit Schmelzkäse zur Tütensuppe gereicht. Da stimmt auch die billige, überhaupt nicht modische Kleidung, die aufgetragen wird. Selbst die Sonntagsanzüge für Ausflüge sitzen nicht richtig.

Im Hof steht auch noch sein Go-Cart herum, aber angesichts seines beginnenden Bartwuchses fehlt Johannes schmerzhaft jedes positive Vorbild, was es überhaupt bedeuten kann, der Mann zu werden, der er gerne wäre. Weder der introvertierte, wortkarge, ganz und gar der Tradition verbundene Vater, noch der aggressiv-übergriffige ältere Bruder taugen. Die langen Fahrradfahrten mit der besten Freundin und Klassenkameradin Marike helfen auch nicht mehr so richtig, wenn man sich komisch fühlt und sich immer häufiger auch so verhält. In der Schule in der naheliegenden Kleinstadt wird Johannes als Bauer verspottet, und die Fragen, die Ethik- und Kunstlehrer im Unterricht stellen, verwirren ihn nur noch mehr. Lieber meldet er sich krank und lässt sich durch die Stadt treiben, von Carstens Freundin Rosa, die in einer Bäckerei arbeitet, lässt er sich auf eine Puddingbrezel einladen.

Frustration, Isolation und Anpassungsforderungen

Der Film findet immer wieder schöne Szenen, um Johannes’ Einsamkeit und sein Nicht-wissen-wohin-mit-sich zu visualisieren. Mal sitzt er am Tisch und wickelt sich seine Arme schützend um den Kopf, mal signalisiert er sein Anlehnungsbedürfnis vom Gepäckträger des Fahrrades aus. Der Film versammelt feine Bilder zwischen Frustration, Isolation und Anpassungsforderungen der Gemeinschaft, die, zumal, weil eine Waffe im Spiel ist, zu vergangenen Zeiten des „Problemfilms“ in der Manier von Reinhard Hauffs Paule Pauländer sehr wahrscheinlich in einen Akt „sinnloser Gewalt“ gemündet wären.

Hier wird mit diesem Narrativ konsequent nur gespielt. Eines Tages, am Fluss, findet Johannes eine Motorrad-Jacke, die ihm den gewünschten Panzer verschafft, um der Welt zu begegnen. Allerdings gehört sie einem der Geflüchteten, die in einem brutalistischen Funktionsbau in der Stadt untergebracht sind. Carsten fährt da mitunter hin, um sein Mütchen zu kühlen. Marike und ihre Mutter sind dort ehrenamtlich beschäftigt.

Keine Clubs, sondern eine Kirmes

Vieles belässt Beckhoff in der Schwebe, wählt das Atmosphärische statt der thesenhaften Zuspitzung. So zeichnet sein Film ein Deutschland-Bild fernab vom Mitte-Latte-Veganismus. Wo der Film spielt, gibt es keine Techno-Clubs, wo der Türsteher über den Wert des Individuums befindet. Es gibt überhaupt keine Clubs, sondern eine Kirmes. So erfrischend hässlich sind die Häuserfronten in dieser Stadt, dass man geradezu erleichtert aufatmet, endlich einmal Bilder einer strukturschwachen, abgehängten Region in einem deutschen Spielfilm zu sehen. Und nicht zuletzt kann man nur staunen über die Leistung von Jerome Hirthammer, der einerseits mühelos ein ganzes Arsenal von Gemütszuständen zwischen Sanftheit, Staunen, Hilflosigkeit und Präpotenz abzurufen versteht, andererseits aber immer dann besonders begeistert, wenn er einfach ganz bei sich ist und irgendwo als Zaungast (in der Schule, im Krankenhaus, beim Jagdschein-Training) einfach abhängt.

Am Schluss fragt sich Johannes, ob man irgendwo dazugehört, nur weil man dort geboren ist. Er ist sich sicher, dass er weggehen wird, nur noch nicht wann. Sagt er. Nach den 70 Minuten von „Fünf Dinge, die ich nicht verstehe“ möchte man ihm zurufen: „Schau dich um! Die da, die anderen, die wollten auch alle mal weg! Freu dich nicht zu früh!“ Auch Henning Beckhoff, dem dieser wunderbare, etwas andere Heimatfilm gelungen ist, musste dafür wieder zurück. Die Provinz lässt man hierzulande, wo (fast) alles Provinz ist, nicht so einfach hinter sich.

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