Bait
Drama | Großbritannien 2019 | 89 Minuten
Regie: Mark Jenkin
Filmdaten
- Originaltitel
- BAIT
- Produktionsland
- Großbritannien
- Produktionsjahr
- 2019
- Produktionsfirma
- Early Day Films
- Regie
- Mark Jenkin
- Buch
- Mark Jenkin
- Kamera
- Mark Jenkin
- Musik
- Mark Jenkin
- Schnitt
- Mark Jenkin
- Darsteller
- Edward Rowe (Martin Ward) · Mary Woodvine (Sandra Leigh) · Simon Shepherd (Tim Leigh) · Giles King (Steven Ward) · Chloe Endean (Wenna Kowalski)
- Länge
- 89 Minuten
- Kinostart
- 24.10.2019
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Drama | Experimentalfilm | Filmessay
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Ein komplexes, in grobkörnigem Schwarz-weiß gefilmtes Drama über die Verdrängung einer identitätsstiftenden Arbeits- und Lebenskultur anhand der Geschichte eines Fischers aus Cornwall, dessen Boot wie fast der ganze Ort in die Hände von Touristen übergegangen ist.
Martin ist ein Fischer ohne Boot. Den Kutter, mit dem schon sein verstorbener Vater rausgefahren ist, bietet sein Bruder Steven Touristen zu Vergnügungsfahrten an, was zu einem tiefen Zerwürfnis zwischen den beiden geführt hat. Nun versucht Martin vom Land aus sein Glück: Er buddelt die Netze bei Ebbe in den Sand und pfriemelt nach der Flut aus ihnen die wenigen Barsche, die er für ein paar Pfund verkauft. Was er entbehren kann, wandert in eine rostige Blechbüchse: Er spart auf ein eigenes Boot und damit auch auf ein Leben, das zu ihm gehört. Martin ist Fischer durch und durch und dass er das nicht mehr sein kann, sieht man ihm an. Sein Gesicht trägt einen entschlossenen Zorn in sich.
Der englische Filmemacher Mark Jenkin erzählt anhand eines zugespitzten Konflikts eine komplexe Geschichte: Der kleine Ort in Cornwall, in dem Martin und Steven leben, hat sich verändert: Der Tourismus gibt nun den Ton an und damit auch Leute wie Tim und Sandra Leigh aus London, die das Cottage, in dem die Brüder groß geworden sind, gekauft und die Eingangstür mit einem schmucken Anker verziert haben. Ein paar Zimmer vermieten sie an Airbnb-Touristen, die sich schon mal über Lärm beschweren, wenn morgens im Hafen ein Kutter angeschmissen wird. Jenkin, der an der Universität in Famouth Film unterrichtet, ist in Cornwall geboren und siedelt dort auch seine Filme an, etwa „Bronco’s House“ (2015) über die regionale Wohnungskrise oder eben jetzt „Bait“, der von Klassenunterschieden und Verdrängung, von Identität und einer traditionellen Lebens- und Arbeitskultur erzählt, die in Zeiten des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels erodiert. Es ist die Geschichte eines einzelnen Mannes und sie steht für viele und vieles. Man könnte dies für platt halten. Ist es aber nicht.
Eine Erkundung von Strukturen
Jenkin liefert nämlich keine einfachen Erklärungen, sondern deckt in „Bait“ vielmehr Strukturen, Schichten einer Geschichte und all das auf, was Martin zu dem Menschen gemacht hat, der er ist. Und dafür hat der Regisseur eine eigensinnige und in sich stimmige Sprache gefunden. „Bait“ flimmert und krisselt, Zelluloid-Kratzer wandern über die grobkörnigen Schwarz-weiß-Bilder, man hört das Surren einer Kamera, Dialoge und Geräusche sind nachsynchronisiert. Jenkin – Regisseur, Drehbuchautor, Kameramann, Editor in einer Person – hat mit einer analogen 16mm-Bolex-Kamera gefilmt und danach von Hand entwickelt. Er folgt damit selbst auferlegten Regeln, die er 2012 in seinem „Silent Landscape Dancing Grain 13“-Manifest festgeschrieben hat und das einen unweigerlich an das Dogma 95 der dänischen Regisseure Lars von Trier und Thomas Vinterberg denken lässt, nur dass Jenkin still und leise vorgeht.
„Bait“ ist Handarbeit und entspricht damit seiner Hauptfigur Martin, die ständig mit irgendetwas hantiert. Fortwährend fordern dynamisch, fast ungeduldig zusammengefügte Nah- und Detailaufnahmen den Blick heraus: Netze, Holz, die Schuppen der Fische, der Kiesel am Strand, das abgewetzte Gummi der Stiefel und immer wieder Gesichter, die aus sich heraus still leuchten. Jedes Bild trägt in sich eine Geschichte. Jenkin setzt auf Kontraste, etwa wenn er die Ankunft der Sommerfrischler, die ihren Kühlschrank mit Champagner und Spezialitäten der Region füllen, der alltäglichen körperlichen Arbeit von Martin und Steven gegenübersetzt.
Expressionistisch, rau, archaisch
Der Schnitt, die aufblitzenden Vorausblenden, die bedeutungsvollen Match-Cuts und im Stakkato gegeneinander gesetzten Dialoge ziehen einen hinein in den mitunter expressionistisch anmutenden Film. Man ahnt bald Schlimmes. Denn die Konflikte spitzen sich zu und können kaum noch ausgehandelt werden: Wer darf wo parken? Wer darf wann im Pub Billard spielen? Und wer darf Katie, die Tochter der Leighs, küssen? „Bait“ wirkt in seiner dramatischen Erzählweise und mit seiner für heutige Augen ungewöhnlichen Filmsprache wie ein Relikt aus vergangener Zeit und erinnert hier und da etwa an das Kino von Jean Vigo, an den Realismus der Nachkriegsjahre, an die Nouvelle Vague und die britische Kitchen-Sink-Dramen und an das unheimlich Drohende, das man von Hitchcock oder Roeg kennt. Aber „Bait“ ist kein Zitat, sondern etwas ganz Eigenes. In ihm besteht das Vergangene neben dem Gegenwärtigen, schließt das Raue und Archaische die Poesie und Zärtlichkeit nicht aus. Einen Film wie „Bait“ kann man nicht häufig im Kino sehen. Er offenbart die Kraft, die dem filmischen Erzählen innewohnt. Man sollte sich ihn nicht entgehen lassen.