Für viele, die damals dabei waren, sind die Ereignisse des Jahres 1989, die Öffnung der Mauer und alles, was in den Monaten davor geschehen war, wahrscheinlich immer noch ziemlich nahe. Dennoch ist alles Geschichte. Eine Geschichte, die tatsächlich in einem anderen Jahrhundert und in einem anderen Land passiert ist. Für Kinder, die erst viele Jahre nach der sogenannten Wende geboren sind, ist das ewig her; sie kennen das alles nur vom Hörensagen und sind nie selbst vor der Mauer gestanden, haben nie „Immer bereit!“ gerufen oder sind auch nie „rüber“ gefahren zum Verwandten- oder Hauptstadtbesuch.
Erzählungen darüber gibt es viele. Eine davon erschien 2009. In „Fritzi war dabei“, einem schmalen, mit pastelligen Bildern illustrierten Buch, erzählt Hanna Schott aus der Perspektive der zehnjährigen Titelfigur von dieser bewegten Zeit. Nun kommt Fritzi ins Kino, doch wer das Buch kennt, wird in dem Zeichentrickfilm von Ralf Kukula und Matthias Bruhn eine etwas andere, aber ebenso eindringliche Geschichte zu sehen bekommen.
Thälmann-Pioniere, Juri-Gagarin-Schüler
Die Drehbuchautorin Beate Völcker hat dem teilnehmend-beobachtenden Mädchen aus dem Buch eine ungleich aktivere Rolle zugedacht. Fritzi ist anfangs eine ganz normale 12-Jährige, die in Leipzig die Juri-Gagarin-Schule besucht, Thälmann-Pionier ist und eher genervt registriert, dass ihre Mutter ständig den Radionachrichten lauscht oder abends die „Tagesschau“ anschaltet. Das politische Geschehen im Lande interessiert das Kind nicht. Noch nicht.
Am liebsten ist Fritzi mit ihrer besten Freundin Sophie zusammen. Hoch oben in einem Baumhaus im Hinterhof haben sie sich ein von der Welt entrücktes Paradies geschaffen, einen Ort ihrer Freundschaft, wo sie lachen und in Ruhe reden können. Sophie, im Buch nur als Randfigur erwähnt, fährt in diesem Sommer mit ihrer Mutter nach Ungarn und überlässt Fritzi ihren geliebten Hund Sputnik zum Aufpassen.
Doch Sophie kommt nicht aus dem Ungarn-Urlaub zurück, sondern hat „rübergemacht“ in den Westen. Für Fritzi bricht eine Welt zusammen. Sie vermisst ihre Freundin genauso wie Sputnik sein Frauchen. Deshalb beschließt das Mädchen, der Freundin den Hund zurückzubringen. Nur ist da diese Grenze, an der, wie der Vorspann zeigt, scharf geschossen wird. Davon weiß Fritzi nichts, aber sie erfährt bald, dass sie ein in ihren Augen harmloses Unterfangen nicht umsetzen kann. Genau das aber will sie nicht einsehen.
Leben im „Gefängnis“
„Fritzi – Eine Wendewundergeschichte“ erzählt nicht nur vom Herbst 1989, sondern auch von der Politisierung eines Mädchens. Zusammen mit Fritzi sitzt man eines Tages in der Nikolaikirche, nimmt an Montagsdemonstrationen teil und sieht, wie dort Menschen verprügelt und verhaftet werden. Allmählich begreift das Mädchen, dass das Land, in dem es so gerne lebt, „ein Gefängnis“ ist. Ihre Eltern diskutieren währenddessen zuhause, ob man gehen oder bleiben soll und fühlen sich vom erwachenden politischen Bewusstsein ihrer Tochter überfordert.
Zunehmend fällt Fritzi, vor allem in der Schule, mit naheliegenden, aber offenbar unbequemen Fragen auf und gerät sogar ins Visier der Staatssicherheit. Ihre Schulklasse spiegelt dabei im Kleinen die politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR wider. Der Sohn des Kreisschulrats darf eine große Klappe haben, der neue Mitschüler Bela gilt als Aufrührer, weil er nicht bei den Pionieren ist. Das ist weniger schwarz-weiß erzählt, als es klingen mag, denn in ihrer Klasse wird Fritzi auch unerwartet Solidarität erfahren.
Aus der Sicht der Protagonistin
Der Film, der in seiner Machart mit den klar umrissenen Figuren und den detailreichen Hintergründen an französische oder japanische Animationsfilme erinnert, findet passende und eindringliche Bilder für die Stimmung in der DDR und für die Lebenswelt von Fritzi. Da ist das Wandbild zum 40-jährigen Jahrestag der DDR, der Fahnenappell am ersten Schultag, die Wohnzimmereinrichtung, das abendliche Fernsehflimmern hinter all den zugezogenen Gardinen und nicht zuletzt die Montagsdemonstrationen mit ihrem Höhepunkt am 9. Oktober 1989, was einen noch einmal deren Größe und Kraft vor Augen führt oder vielleicht sogar miterleben lässt.
Natürlich gibt es erzählerische Zuspitzungen oder sind manche Figuren, etwa die linientreue Klassenlehrerin oder der groß bebrillte Mann von der Stasi arg eindeutig als Antagonisten typisiert. Doch aus der Sicht der jungen Heldin macht dies alles Sinn. Der Film will nicht belehren, sondern – vor allem für Kinder, aber nicht nur für die – von der friedlichen Revolution und deren unmittelbaren Folgen erzählen und die Zuschauer auf eine emotionale Reise mitnehmen.
Eine andere Geschichte
Dass der Film mit dem „Wendewunder“ endet, liegt auf der Hand. Was danach passiert, das muss ein anderer Film erzählen.