Ein beschaulicher kleiner Garten voller Zitronenbäume im malerischen Galiläa wird zum Schauplatz eines absurden Theaters. Schamlos hat sich ein Nachbar die Taschen mit Früchten gefüllt, die ihm nicht gehören. Kurz aufgeschreckt durch den Blick eines stummen Beobachters, gerät er in Rechtfertigungszwang. Nach seiner Behauptung, nicht zu stehlen, wendet er sich jedoch wieder ungerührt seiner Ernte zu. Der Zeuge des Geschehens schweigt, aber auf seinem melancholischen Gesicht spiegelt sich die Tragik einer kollektiven Erfahrung von Ungerechtigkeit.
Der palästinensische Regisseur Elia Suleiman ist dafür bekannt, durch seine wortkargen Filme ausdrucksstarke Geschichten zu erzählen, in denen er selbst Protagonist ist und zugleich hinter einem gesellschaftlichen Panorama zurücktritt. Die artifiziellen Figuren, die er dabei verkörpert, erinnern an Buster Keaton und haben doch wenig mit dem Stummfilm gemein. Denn die Sprache in Suleimans Filmen ereignet sich nicht in Form von Dialogen, sondern im szenischen und gestischen Repertoire des Kinos, auf dessen bildliche Kraft viel zu selten vertraut wird.
Ohne eine übergreifende Narration bewegt sich „Vom Gießen des Zitronenbaums“ durch liebevoll inszenierte Vignetten zwischen pointiertem Humor und bitterer Zeitkritik. Sie sind um das Ringen um die Existenz Palästinas herum komponiert und zugleich eine poetische Betrachtung des Weltgeschehens. Selten lässt das Kino so viel Raum für die Entfaltung des Wunderbaren, des befremdeten Staunens über die menschliche Ignoranz, aber auch der beiläufigen Schönheit des Alltäglichen.
Ein Ort statt eines Territoriums
Vom Balkon aus blickt der rauchende stumme Beobachter Suleiman auf den Zitronenhain seines Gartens, der jedoch immer wieder vom Nachbarn besetzt wird. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als im eigenen Apartment ein kleines Zitronenbäumchen im Topf zu gießen. Einige Zeit später, bevor er sich auf eine lange Reise begibt, wird er es mit zaghaftem Trotz in den Garten pflanzen. Dabei geht es weniger um den Anspruch auf ein eigenes Territorium, als den Wunsch nach einer Anerkennung des eigenen Ortes. Suleimans Film erzählt von der Sehnsucht nach Palästina, ohne sich in nationalistischen Fantasien zu verirren. Gegenläufig zu jeglichem identitären Denken öffnet sein Schweigen stattdessen den Raum für die übergreifenden Ähnlichkeiten zwischen den Kulturen.
Mit Hut, Hemd und Hornbrille blickt er vielsagend auf die Menschen, denen er begegnet und die oft so sehr mit sich selbst beschäftigt sind, dass sie gar keine Antwort von ihm erwarten. Die Gewalt, die Suleimans Heimat seit Generationen durchzieht, bringt er immer wieder in verdichteten Szenen auf den Punkt. Ein Vater und sein Sohn, die auf zwei benachbarten Balkonen mit dem Rücken zueinander sitzen und in eine Spirale der Beschimpfungen verstrickt sind, die hochkomisch wie tragisch anzusehen ist. Oder zwei Soldaten, die im Rückspiegel ihres fahrenden Wagens Sonnenbrillen anprobieren – bis der Blick der Kamera auf eine gefesselte Frau mit Augenbinde fällt, die auf der Rückbank ihr Schicksal erwartet. Dem stummen Beobachter ist das Entsetzen ins Gesicht geschrieben, doch es bleibt ihm nicht viel mehr übrig, als das Land zu verlassen.
Mutterland
Schon von Beginn an wird die melancholische Stimmung des Films durch einen unaufdringlich in Szene gesetzten Verlust in Gang gebracht. Der schweigsame Mann hat seine Frau verloren, besucht ihr Grab auf dem Friedhof, gibt schließlich ihre Sachen fort. Aber die Sehnsucht und das Begehren verschwinden nicht, sie unterströmen die Szenen und bilden den Rahmen der gesamten Erzählung. Das Verlorene treibt Suleiman ins Exil nach Paris und New York, in der Hoffnung, einen Ort zu finden. Und doch zieht es ihn immer wieder zurück zum Sehnsuchtsbild einer Frau, die in der Schönheit der galiläischen Landschaft Oliven erntet.
Palästina ist kein Vaterland, sondern Mutterland. Das wird schlagartig klar, als Suleiman mitten im New Yorker Central Park eine junge Aktivistin mit Engelsflügeln sieht, die ihren barbusigen Körper mit der Flagge Palästinas bemalt hat. Es dauert keine Minute, bis das Einsatzkommando der Polizei ihre Verfolgung aufnimmt und sie schließlich nicht nur zu Boden wirft, sondern zum Verschwinden bringt. Ihre nackte Verletzlichkeit steht einer männlich geprägten Brutalisierung gegenüber, die nicht nur den Konflikt mit Israel betrifft. Militarismus, Abschottung und die Ausstellung autoritärer Machtgesten prägen auch in anderen Ländern der Welt immer mehr das Alltagsleben.
Mit feiner Ironie gegen die soziale Verhärtung
Mit Sorge und Befremdung blickt der stumme Beobachter auf Panzer und Kampfjets an einem Pariser Sommertag, die sich schließlich als Teil der üblichen Parade des 14. Julis entpuppen. Die Aggressivität und Empathielosigkeit der Menschen zeigt sich jedoch manchmal schon beim Kampf um einen freien Liegestuhl im Jardin du Luxembourg. Suleiman gelingt es allerdings, in jeder Szene die Gewalt zu demontieren und sie der Lächerlichkeit preiszugeben. Dabei entlarvt er auch die vermeintlich linke Kulturindustrie, die sich mit politischen Themen profilieren will, ohne wirklich offen für die Begegnung mit dem Anderen zu sein.
Bei dem Gespräch mit einem französischen Produzenten wird Suleimans Exposé dann abgelehnt. Der Film passe nicht ins Schema, er sei zu wenig palästinensisch und könnte überall spielen, wird beklagt. Auch über solche Meta-Kommentare gelingt Suleiman eine treffende Kritik schematischen Denkens. Was er ihm entgegensetzt, sind jedoch Momente stiller Zärtlichkeit, die dem Drängen nach Eindeutigkeit zuwiderlaufen. In den entleerten Tableaus, die Suleiman immer wieder entfaltet, entsteht ein Bewusstsein davon, wie viel Lärm unsere Welt erzeugt und darüber das Vermögen des Zuhörens zerstört. Die subtile Komposition der Szenen öffnet die Wahrnehmung der Zuschauer nicht nur für das Übersehene, sondern auch für die Ungerechtigkeiten, die immer wieder überhört werden.