Catch 22
Kriegsfilm | USA 2019 | Minuten
Regie: George Clooney
Filmdaten
- Originaltitel
- CATCH 22
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 2019
- Produktionsfirma
- Anonymous Content/Paramount/Smokehouse
- Regie
- George Clooney · Grant Heslov · Ellen Kuras
- Buch
- David Michôd · Luke Davies
- Kamera
- Martin Ruhe
- Musik
- Harry Gregson-Williams · Rupert Gregson-Williams
- Schnitt
- Michael Ruscio · Tanya M. Swerling
- Darsteller
- Christopher Abbott (Yossarian) · Kyle Chandler (Colonel Cathcart) · George Clooney (Colonel Scheisskopf) · Hugh Laurie (Major de Coverley) · Grant Heslov (Dr. Daneeka)
- Länge
- Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Kriegsfilm | Literaturverfilmung | Serie
Heimkino
Bombenschütze „Yo Yo“ Yossarian (Christopher Abbott) hat schon fast alles versucht, um endlich nach Hause zu kommen. Eine lange Liste von Krankheiten hat er vorgetäuscht. Vergeblich. In Rekordzeit ist er die vorgeschriebene Anzahl von Einsätzen geflogen. Bevor er den Stempel auf seine Entlassungspapiere erhielt, wurde die Zielvereinbarung erhöht. Verzweifelt will er sich schließlich für verrückt erklären lassen. Gerade das aber ist für den Truppenarzt ein untrügliches Zeichen dafür, dass er geistig vollkommen gesund ist.
Die „Catch 22“ genannte inoffizielle Regel umschreibt dieses unauflösbare Paradox, das Doc Daneeka (Grant Heslov, der auch bei zwei der sechs Episoden die Regie übernommen hat) mit fatalistischer Hingabe erläutert. Der im 2. Weltkrieg mit dem 256. Fluggeschwader der US-Air Force auf einer italienischen Mittelmeerinsel stationierte Yossarian, erklärt der Arzt, sei der einzig Normale seiner Einheit. Alle anderen dagegen seien offenkundig verrückt, da sie nicht versuchten, sich für kriegsuntauglich erklären zu lassen. Da sie eindeutig geisteskrank seien, bestätigt Daneeka auf Yossarians Nachfrage, könne er sie jederzeit für einsatzunfähig erklären. Sie müssten ihn nur darum bitten. Allerdings, fügt er dann noch hinzu, wenn sie ihn darum bitten würden, wären sie nicht länger verrückt und er könne sie dann natürlich auch nicht krankschreiben.
Kratzen am Status der amerikanischen Weltkriegshelden
Diese bizarre Zwickmühle, in der der ganze Irrsinn des Krieges kumuliert, bildet den Ausgangspunkt von Joseph Hellers 1961 erschienener Romansatire „Catch 22“, die 1970 vor dem Hintergrund des Vietnamkrieges bereits von Mike Nichols verfilmt wurde (siehe „Catch 22“). Roman und Film kratzten am Status der US-amerikanischen Weltkriegshelden, waren in den USA aber dennoch derart erfolgreich, dass der „Catch 22“ dort längst zum geflügelten Wort geworden ist. Dass Heller den Irrwitz des Krieges ausgerechnet im Kampf gegen Nazideutschland veranschaulicht, entspricht dieser Logikfalle. Wären die US-Truppen nicht im Krieg gewesen, hätten sie unmoralisch gehandelt, weil sie sich nicht am Krieg beteiligten. Sobald sie aber am Krieg teilnahmen, handelten sie unmoralisch, eben weil sie im Krieg waren. Einen moralischen Krieg kann es nun mal nicht geben.
Vor diesem Hintergrund ist es nur konsequent, dass George Clooney als Produzent und einer von drei Regisseuren (neben Grant Heslov und Ellen Kuras) in der in Deutschland auf dem kostenpflichtigen Prime Video Channel „Starzplay“ ausgestrahlten „Hulu“-Miniserie das Szenario und die Schauplätze der Romanvorlage beibehält. Den oben geschilderten Dialog platziert er zentral inmitten der sechsteiligen Staffel. Dennoch spiegelt das titelgebende Paradoxon anders als bei Heller oder Nichols nicht wirklich den Geist der Serie wider. Clooneys Remake entpuppt sich als freie Adaption, da sie die chronologischen und handlungslogischen Brüche, die wilden narrativen Sprünge, die erzählerischen Ecken und Kanten gezielt glattbügelt. Die chaotisch-anarchische, kamikazehaft-bitterböse Satire verwandelt sich so in eine geradlinig entfaltete schwarzhumorige Tragikomödie. Dort, wo Hellers Roman und Nichols’ Verfilmung zerfasern, um den Irrsinn der Krieges formal abzubilden, bündeln die Drehbuchautoren Luke Davies und David Michôd die vielfältigen Erzählstränge in der Serie, indem sie den Fokus von den Nebenfiguren wegverlagern und den von Christopher Abbott komisch-schwermütig verkörperten Antihelden als Ritter der traurigen Gestalt zum Dreh- und Angelpunkt des Geschehens ausbauen.
Clooney gibt den Colonel als augenrollende Witzfigur
Schwarzhändler Milo Minderbinder bleibt zwar als Kriegsgewinnler erkennbar, Daniel David Stewart interpretiert ihn als sympathisches Schlitzohr. Und Lewis Pullman verkörpert den versehentlich zum Major beförderten Major Major Major als inkompetenten Drückeberger. Letztlich verblassen die zwielichtigen Nebenfiguren jedoch zu harmlosen Begleitern. Der tragikomische Konflikt entfaltet sich entlang der hierarchischen Befehlskette, an deren Spitze der von Clooney selbst in schöner John-Cleese-Tradition als augenrollende Witzfigur gespielte Colonel Scheisskopf steht.
Eine konventionellere Erzählweise als in der Romanvorlage
Vergleicht man die Miniserie mit der Romanvorlage und Nichols’ Film, liegt es nahe, von einer verpassten Chance zu sprechen. Man muss sich nur vorstellen, was ein Regisseur vom Schlage David Lynchs aus der wild wuchernden, ungestüm schroffen Vorlage hätte machen können. Ein innovatives Stück Fernsehgeschichte ist es in Clooneys Variante jedenfalls nicht geworden. Vielleicht auch kein zeitloses Meisterwerk. Doch obwohl Clooney andere Tonlagen anschlägt als Nichols und Heller vor ihm, muss man ihm zumindest attestieren, dass es ihm meisterhaft gelingt, die Balance zwischen diesen Tonlagen zu halten.
Im Wesentlichen sind es drei Erzählstile, die er kombiniert. Als Basis wählt er einen nostalgisch weichgezeichneten Rückblick auf die 1940er-Jahre. Im Off läuft Swingmusik, während Yossarian sich noch in den USA mit Scheisskopfs Frau zum heimlichen Stelldichein trifft. Später in Italien scheint die Sonne und die Soldaten plantschen zwischen ihren Einsätzen wie Touristen im Meer und trinken auf der Badeplattform Bier aus der Flasche.
Ergänzt wird dieser epische Blickwinkel durch einen albern-satirischen. Etwa wenn Scheisskopf den Oberarmabspreizwinkel für einen Parademarsch zentimetergenau einüben lässt, oder es sich herausstellt, dass Major sowohl der Vorname, Zweitname als auch Nachname von Major Major Major ist, aber eben nicht sein Rang; jedenfalls solange nicht, bis er versehentlich für einen Major gehalten und anschließend, um den Fehler wieder auszugleichen, zu einem solchen befördert wird. Oder wenn Yossarian, nachdem ein Einsatz entsetzlich schiefgelaufen ist, einen Orden erhält, um das zu vertuschen – und diesen dann nackt in Empfang nimmt.
Im jähen Kontrast dazu stehen Szenen, die einem grausamen, unerbittlichen Kriegsfilm entnommen sein könnten. Ein Flugzeug, das einen Mann in Stücke zerfetzt. Ein junger, verängstigter Soldat, der gleich bei seinem ersten Einsatz in Yossarians Armen stirbt. Eine italienische Prostituierte, die von einem Kameraden Yossarians vergewaltigt und ermordet wird, ohne dass sich jemand darum schert.
Während Brüche und Kanten bei Heller und Nichols Teil des Konzepts waren, besteht Clooneys Kunststück gerade darin, diese zu vermeiden. Als Fan der Vorlagen kann man diesen Wechsel hin zu einer konventionelleren, mitunter fast schon altmodisch anmutenden Erzählweise bedauern. Unabhängig davon aber ist Clooney mit seiner Neuverfilmung ein Werk gelungen, das zwar auf den ersten flüchtigen Blick geschmeidig und betulich wirken mag. Letztlich aber kaum weniger verstört und unter die Haut geht als das Original, wenn auch auf andere Weise.