Der alte Mann und das junge Mädchen sind kaum zu erkennen, als sie in der Dunkelheit durch den dichten Wald gehen, wo sie zu einer alten Höhle gelangen, in der sie etwas Unerwartetes finden. Obwohl Bären auf Sizilien längst als ausgerottet gelten, lebt hier ein besonders altes Exemplar. Doch statt fortzulaufen oder das Tier anzugreifen, beginnen der Mann und das Mädchen dem Tier eine Geschichte zu erzählen, wie die Bären einst Sizilien eroberten.
Eine Parabel über das Zusammenleben der Arten
Der französisch-italienische Animationsfilm nach dem Kinderbuchklassiker von Dino Buzzati aus dem Jahr 1945 beginnt märchenhaft. Die historischen Umstände der Entstehung sind dabei deutlich zu spüren. „Königreich der Bären‟ erzählt von einer Zeit der Unruhen und der gewaltsamen Konflikte. Eine Entführung setzt die erste Filmhälfte in Gang. Bei einem Ausflug des Bärenkönigs Leonzio wird dessen Sohn Tonio von den Menschen entführt. Nachdem der Bärenkönig zunächst in tiefe Trauer fällt und kaum noch handlungsfähig ist, macht er sich schließlich mit einer Armee ausgemergelter Bären auf den Weg ins Reich der Menschen. Doch eine friedliche Beilegung des Konflikts scheitert. Stattdessen kommt es zu einer Reihe verheerender Kämpfe zwischen Menschen und Bären. Trotz aller fantastischen Ausschweifungen – von Begegnungen mit weisen Bärengeistern über in Ballons verzauberte Wildschweine bis hin zu einem Troll, der sich in eine Riesenkatze verwandelt – bleibt „Königreich der Bären‟ im Kern ein Kriegsfilm.
Doch der Film belässt es nicht dabei, nur von dem Konflikt zwischen dem tyrannischen menschlichen Großherzog und dem edlen Bärenkönig zu erzählen. Je weiter die Handlung fortschreitet, desto brüchiger werden klare Gut-Böse-Unterscheidungen. Ist es zu Beginn der menschliche Tyrann, der Vorurteile gegen die wilden Bären hegt und Tonio zu einem Tanzbären für den Zirkus abrichten lässt, so nimmt Leonzio nach dessen Tod seine Position ein und macht bald ähnliche Fehler. Die Bären lassen sich vom Lebensstil der Menschen korrumpieren, mit denen sie nun eine Gemeinschaft bilden.
Recht und Gerechtigkeit, Intrigen und Macht
Wenngleich der Film fortan die Perspektive wechselt, den Bären in der Höhle zum Erzähler und Tonio zum Protagonisten macht, so steht doch nicht dessen Entwicklung im Mittelpunkt. Vielmehr ist der junge Bär ein Fels in der Brandung, eine unschuldige Seele, die dennoch in immer größere Intrigen und Machtkämpfe verwickelt wird. An der Seite der Zirkusartistin Almerina und des Zauberers Ambrosia wird er sich immer wieder für Recht und Gerechtigkeit einsetzen.
Wie viele französische Animationsfilme aus jüngerer Zeit wird auch „Königreich der Bären‟ von einer melancholischen Grundstimmung geprägt, die in starkem Kontrast zu den dargestellten Auseinandersetzungen steht. Es wird nicht hektisch erzählt, die Figuren ruhen eher in sich, egal, was um sie herum geschieht. Grafisch setzt das Regiedebüt des Illustrators und Comic-Zeichners Lorenzo Mattotti auf einen flächigen, bisweilen abstrakten Stil mit einer durchdachten Farbdramaturgie, die zwischen leuchtend und matt schwankt, aber nie beliebig wirkt und „Königreich der Bären‟ eine ganz eigene Ästhetik verleiht.
Zumindest im Kleinen klappt es dann doch
Dass die Menschen und die Bären letztlich keinen gemeinsamen Nenner finden, mag ebenfalls dem Entstehungskontext der Vorlage geschuldet sein und lässt einen zunächst ein wenig ratlos zurück. Kapituliert der Film damit allegorisch vor der Möglichkeit des friedlichen Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher Herkunft? Andererseits macht „Königreich der Bären“ ziemlich klar deutlich, wie sehr die Gier nach Macht und Einfluss und das Schüren von Vorurteilen eine Gesellschaft zersetzen können. Damit gibt der Film auch einem jungen Publikum einiges zum Nachdenken. Man darf auch die Rahmenhandlung in der Höhle als entscheidenden Teil der Erzählung nicht außer Acht lassen. Nicht nur, weil der Film damit unterschiedliche Sichtweisen einer Geschichte zum Ausdruck bringt. Sondern auch, weil diese Begegnung zwischen den beiden Menschen und dem Bären von Respekt, Neugier und Höflichkeit geprägt ist. Es geht also doch, zumindest im Kleinen.