Eine junge Autorin, namenlos als melancholisches Mädchen, leidet unter einer Schreibblockade, Obdachlosigkeit und den neoliberalen Verhältnissen. Auf der Suche nach einem Schlafplatz durchwandert sie in einer Art Stationendrama genau diese Verhältnisse und konfrontiert diese mit sich und sich mit diesen.
Das melancholische Mädchen, eher passiv, übernimmt dabei auch die Kommentarfunktion, bleibt also gewissermaßen zu sich selbst auf Distanz und eine aufmerksame Beobachterin dessen, was sie betrifft und wem sie begegnet.
Der mit allen Wassern des klassischen, post-brechtschen politischen Kinos gewaschene Debütfilm von Susanne Heinrich ist ein theoriegesättigter, sehr smarter und pointensicherer Grenzgänger zwischen Pop und Politik. Schon in einer Art Vorspiel vor einer Wandtapete stellt der Film klar, dass mit konventioneller Dramaturgie hier nicht gerechnet werden sollte: Bitte keine Identifikation mit der Protagonistin! Und bitte auch nicht mit deren Selbsthass liebäugeln! Selbst mit einer Katharsis darf hier nicht gerechnet werden. Die Katastrophe ist vorbei! Jetzt heißt es: „Wie bin ich all das geworden, was ich nie werden wollte?“
Zyniker sind enttäuschte Romantiker
Wenn das melancholische Mädchen mit den Pathologien des neoliberalen Alltags konfrontiert wird, durchdringt sie Rollenentwürfe und Selbstbilder mit kaltem Blick. Ihre Kritik ist nicht etwa ironisch, sondern zynisch, denn „Zyniker sind enttäuschte Romantiker“. Nach der Erfahrung einer glückseligen Geburtsvorbereitungsgruppe heißt es dementsprechend, dass hoffentlich kein Leben so langweilig sein möge, dass das In-die-Welt-Setzen eines Kindes als Glücksversprechen durchgeht.
Tiefschwarz ist auch die Galerie mit diversen Männern, die sich mal soft, mal machohaft, lebenserfahren oder unehrlich, berechnend, eitel und selbstbezogen gerieren. Das melancholische Mädchen, grandios empathielos von Marie Rathscheck verkörpert, setzt sich intensiv mit ihrem Nicht-Schreiben auseinander, was eine radikale Kritik der Verhältnisse impliziert, in denen rhetorische Floskeln an die Stelle einer verbindlichen Kommunikation getreten sind und selbst der Sex bestimmten Second-Hand-Choreografien folgt.
Man kann sich mit Konsum beruhigen, Kinder bekommen, sich im Beziehungsalltag erschöpfen, sein Glück suchen, sich selbstoptimieren, seinen Körper verkaufen – der universelle Verblendungszusammenhang ist hier mit Händen zu greifen und höchst unterhaltsam und extrem witzig auf den Punkt gebracht. Man kann „denen ihr Spiel“ spielen, man kann sich die Entfremdung wegreden, man kann seinen Spaß haben, aber eine Forderung bleibt unerfüllt: „Kann ich das bitte noch einmal ,happy‘ haben?“
Wenn das hier ein Film wäre…
Susanne Heinrich, die mit Mitte Zwanzig schon auf eine Karriere als Autorin und auf eine Ehe zurückblickt, ist in der Wahl ihre ästhetischen Mittel äußerst mutig. Neben dem episch-selbstreflexiven Prolog („Wenn das hier beispielsweise ein Film wäre …“) und den durchnummerierten und mit Überschriften wie „Feminismus zu verkaufen“ oder „Objekt der Begierde“ versehenen Kapiteln gibt es auch Animationen, Verfremdungen, Musikclips, Musical-Allusionen, die mit Gesang und Tanz die Verhältnisse fluid machen könnten, und eine sehr wirkungsvolle Big-Band-Filmmusik, die das Artifizielle des Films fast schon zu sehr betont. Mansplaining über „altertümliche Rebellionsreflexe“ wird mittels Noise der Hahn zugedreht. Und als das melancholische Mädchen einmal gefragt wird, worauf es denn eigentlich warte, lautet die Antwort: „Auf die Wut!“ Das könnte tatsächlich das zentrale Problem von Zynikern sein.
„Das melancholische Mädchen“ ist ein aufregendes Debüt, das sich in eine noch überschaubare Gruppe von politischen Filmen einreiht, die sich formal an einer Verbindung von Spielfilm, Essayfilm und postdramatischem Theater versuchen wie etwa „Der lange Sommer der Theorie“, „Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes“, „Ein proletarisches Wintermärchen“ oder „Ich will mich nicht künstlich aufregen“.