Noch vor den ersten Bildern stellt ein Insert unmissverständlich klar: Alles, was in „Diamantino“ folgt, ist erfunden! Die Figuren, die Handlung, die Gen-Technik, die Produkte, die flauschigen Welpen. Alles. Außerdem kam kein Tier während der Dreharbeiten zu Schaden...
Und so wird die unglaubliche Geschichte von ihm selbst erzählt, von Diamantino Matamouros, dem super-attraktiven und mega-erfolgreichen portugiesischen Fußballprofi, dessen einzigartiges Talent ihn in den Kathedralen der Gegenwart als modernen Michelangelo erscheinen lässt, wenn er die portugiesische Nationalmannschaft im Alleingang ins Finale schießt. Gegen Schweden! Da merkt man schon, wie die Fantasie der Regisseure Gabriel Abrantes und Daniel Schmidt in ihrem Spielfilmdebüt ins Kraut schießt. Auch wenn Physiognomie und Gestik von Diamantino durchaus ein wenig an einen „realen“ Portugiesen im gleichen Gewerbe erinnern.
Ein Rudel flauschiger Hundewelpen
Die Zeit zwischen Halbfinale und Finale verbringt der sympathische Fußballstar auf seiner Jacht, wo ihn, der wenig mehr als Fußball kennt, die Begegnung mit einem Flüchtlingsboot so tief berührt, dass fortan an ein unbeschwertes Kicken nicht mehr zu denken ist. Schlimmer noch: Bei seinen magischen Momenten auf dem Platz, wenn er sich auf den Ball und das Tor konzentrierte, war Diamantino nie allein, sondern von einem Rudel übergroßer, flauschiger Hundewelpen begleitet. Nach der Begegnung mit den Flüchtenden funktioniert diese Welpen-Fantasie allerdings plötzlich nicht mehr – und damit ist die ganze Magie futsch. Diamantino verschießt den entscheidenden Elfmeter und wird als Heulsuse zum Gespött des Internet.
Doch es geht in „Diamantino“ nicht um die Psyche eines gefallenen Stars, dessen Karriere sich von einem einzigen Fehler nicht mehr erholt. Vielmehr braucht es die Perspektive des „reinen Tors“, als der sich Diamantino immer wieder zu erkennen gibt, um die aberwitzige, mindestens dreigleisige Geschichte des Films überhaupt erzählen zu können.
„2$Rich Bitches“
Konfrontiert mit dem vorzeitigen Ende seiner Karriere, will Diamantino ein Flüchtlingskind adoptieren; seine eigene Beziehung zum gerade verstorbenen Vater war sehr prägend und glücklich. Diamantino hat aber auch noch Geschwister, zwei böse Zwillinge, deren PC-Passwort nicht zufällig „2$Rich Bitches“ lautet und deren Hauptbeschäftigung das vulgäre Beschimpfen Dritter ist. Sie profitierten extrem vom Ruhm ihres Bruders, den sie manipulierten, und haben riesige Summen veruntreut und auf Offshore-Konten gebunkert.
Aus diesem Grund ist auch die Steuerfahndung in Gestalt des lesbischen Pärchens Aisha und Lucia hinter Diamantino her. Als er in einem Fernsehinterview, durch eingespielte Bilder zu Tränen gerührt, seinen Wunsch nach der Adoption eines jungen Flüchtlings („Egal woher! Aus Kanada!“) äußert, wittert Aisha eine Chance, an den vermeintlichen Steuerbetrüger heranzukommen. Die junge, aber durchaus recht erwachsene Frau gibt sich als minderjährige Refugee namens Rahim aus. Die Übergabe, organisiert von der als Nonne verkleideten Lucia, findet in einer leeren Tiefgarage statt, weshalb Rahim sogleich in den Genuss einer Ausfahrt in Diamantinos gelbem Lamborghini kommt, passenderweise inszeniert wie ein Werbeclip.
Rahim wird vom Adoptivvater mit Liebe, Geschenken und Leckereien überhäuft. Da Diamantino als „reiner Tor“ die Sache mit dem Sex immer schon etwas kompliziert fand, merkt er auch nicht, dass Rahim ein schon recht ausgewachsener Knabe ist. Und da Aisha von der naiven Freundlichkeit des Fußballers schnell ziemlich beeindruckt ist, entwickelt sich eine sehr schöne Fast-Liebesgeschichte zwischen den beiden. Das bleibt natürlich auch den eifersüchtigen Zwillingsschwestern nicht verborgen, die den Bruder an die rechte Regierung verhökert haben.
Make Portugal great again!
Dort wurde bereits eine Genetikerin beauftragt, „die Genialität“ des Fußballers zu klonen, auf dass die portugiesische Nationalmannschaft „auf Jahrzehnte“ unbesiegbar werde. Make Portugal great again! Flankierend dazu fungiert Diamantino als Held in einem Werbefilm, der für den Austritt aus der Europäischen Union wirbt. Eine Mauer entlang der spanischen Grenze ist in Planung, allein die Finanzierung ist noch offen.
Auf diese Weise erzählt „Diamantino“ von der globalen Popkultur mittels Bildern, die in der Popkultur fest verankert und so bekannt sind, dass es mitunter schmerzt, sie zu sehen. Das fängt bei der Bettwäsche an und hört bei Werbung für Unterwäsche längst noch nicht auf. Dazwischen Bilder aus den diversen Genres, die die Erzählung anzapft: Sportfilm, Detektivfilm, Polit-Thriller, Science-Fiction. Und dann sind da ja noch die Ausflüge in die bonbonfarbene Fantasiewelt des Fußballers mit den flauschigen Welpen, die von den Refugee-Bildern vertrieben werden und der Bond-Girl-Werdung Aishas.
So disparat die Vielzahl der hier verhandelten Themen zunächst auch erscheinen – von der Celebrity-Kultur über Offshore-Konten und Migration bis hin zu Maskulinität und politischen Rechtsauslegern mit ihren Ibiza-Phantasien –, so souverän knüpft der Film sein Gewebe, bis sich alles zu fügen scheint. Dass Diamantino durch die Gen-Manipulationen Brüste wachsen, steht dem finalen Glück mit Aisha übrigens nicht im Weg. Zu gönnen ist es ihm allemal!