„Für uns ist die Wiese eine Augenweide“, heißt es eingangs. Der Dokumentarfilm von Jan Haft ist es ebenfalls. Im Mittelpunkt steht die Wiese als Lebensraum im Wechsel der Jahreszeiten. Da summt und brummt es unablässig im Gras, farbenprächtige Wildblumen und Kräuter recken ihre Blüten zur Sonne, um sie herum schweben Falter, schwirren Bienen und Käfer – ein abwechslungsreicher Reigen.
Zu Beginn werden einige Hauptfiguren vorgestellt: ein Reh und ein Fuchs, die mit Vögeln, Insekten und Pflanzen die Wiese bevölkern. Zunächst aber gibt es Informationen über die Wiese, die Teil der Kulturlandschaft ist, also zumindest teilweise vom Menschen erschaffen wurde. Eine Wiese, die nicht gemäht oder von Weidetieren niedrig gehalten wird, verschwindet und entwickelt sich wieder zum Wald. Die meisten Wiesen gehen allerdings dadurch verloren, dass sie in landwirtschaftliche Flächen umgewandelt werden oder durch Düngung zu Graswüsten mutieren. Das ist ein Anschlag auf die Artenvielfalt, denn im dichten Gras können nur wenige Pflanzen und Insekten überleben.
Ein Dschungel voller Geschichten
Wenn der Mensch die Wiese vernichtet, zerstört er damit auch das Leben, das nur auf der Wiese und mit ihr möglich ist. Jedes Lebewesen, ob Pflanze oder Tier, hat hier seinen Platz, auch wenn der erste Eindruck eine sorglose Üppigkeit am Werke wähnt. Tatsächlich aber geht es um den ewigen Kreislauf der Natur, ums Fressen und Gefressenwerden, um Paarung, Geburt und Tod.
Der Grashalmdschungel birgt viele Geschichten, in denen Wanzen, Bienen, Zikaden und Schmetterlinge zu Protagonisten werden – und manchmal sogar Pflanzen. Da gibt es heimische Orchideen, deren Blüten das Weibchen einer Wildbiene imitieren, um die bestäubenden Männchen anzulocken. Den Wollschweber, der wie ein Hubschrauber in der Luft schwebend, aus seinem Hinterteil einzelne Eier in die Nestlöcher von Wildbienen schießt; rivalisierende Feldgrillen, die auf Leben und Tod miteinander ringen. Derweil zieht die Rehricke ihre Kitze groß, die Fähe ihre Fuchswelpen, der Brachvogel seine Küken. Die Monate vergehen, die Jahreszeiten wechseln, da naht Gefahr in Gestalt eines Mähdreschers.
„Die Wiese – Ein Paradies nebenan“ ist Infotainment vom Feinsten – der profilierte Naturfilmer Haft drehte im Auftrag der Deutschen Wildtier Stiftung einen höchst bemerkenswerten Film, der inhaltlich wie visuell ein Meisterstück ist. Nur scheinbar spielt der Film auf einer einzigen Wiese, die sich im Laufe des Jahres immer wieder verändert. In Wirklichkeit hat der Naturfilmer auf mehr als 70 Wiesen gedreht, mehrere Jahre lang, im In- und Ausland. Alles, um teils vertraute, teils außergewöhnliche und seltene Tier- und Pflanzenarten vor die Kamera zu bekommen.
Das Biotop Wiese ist bedroht
Mit großem Geschick verknüpt der Film seine faszinierenden Bilder mit einem Appell: Die Wiesen sind bedroht. Um sie zu erhalten, müssen alle zusammenarbeiten. Zur Verstärkung dieser klaren Botschaft bietet die Regie ein Füllhorn technischer Möglichkeiten auf, was für die ausgefeilten visuellen Effekte, aber auch für Schnitt, Ton und Musik gleichermaßen gilt. Die Kamera ist ubiquitär und blickt in die winzigsten Winkel. Sie klebt am Boden, kauert zwischen den Halmen, fährt über die Flächen und erhebt sich mit der Feldlerche in den Himmel. Versteckte Objektive beobachten die Geburt der Rehkitze und das Schlüpfen von Lerchenküken, Makrolinsen zeigen, wie Pflanzen wachsen oder Schaumzikaden Blumenstängel einspeicheln.
Die handwerklichen Ausführungen sind exquisit, inklusive Super-Zeitraffer und -Zeitlupe, Mikro-, Makro- und Mini-Drohnenbilder. Beeindruckend sind auch die extrem verstärkten Tonaufnahmen: ein abendliches Wiesenkonzert im Surround-Sound oder Pilze, die ihre Sporen mit lautem Plopp verschießen. Nur die Filmmusik übertreibt es manchmal etwas – klassisch angehauchte und elektronische Klänge der Komponisten Dominik Eulberg & Sebastian Schmidt sorgen gelegentlich für eine ausufernde Dramatik, die Richtung Pathos wummert. Meist geht es spannend, dramatisch oder romantisch und gelegentlich auch humorvoll zu, etwa bei den Porno-Orchideen oder der Hubschrauberfliege. Dabei bleibt der Kommentar sachlich und die Erzählperspektive neutral.
Ein Appell zur Rettung des Paradieses
Obwohl der Film ein sehr junges Publikum anzielt, finden sich keine peinlichen Anbiederungen. Hier wird nichts verniedlicht, vermenschlicht, übertrieben oder ins Lächerliche gezogen; diese Art von Seriosität ist Jan Haft hoch anzurechnen.
„Die Wiese – Ein Paradies nebenan“ will nicht nur unterhalten, sondern die Öffentlichkeit sensibilisieren und für den größten Schatz der Erde aufrütteln: für die Natur und das Ökosystem. Um die Wildwiesen in ihrer ungeheuren Artenvielfalt zu erhalten, sollte der Kampf schnell beginnen. Sonst könnte es zu spät sein: Das Paradies nebenan ist in höchster Gefahr.