Horror | Deutschland 2017 | 73 Minuten
Regie: Tilman Singer
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2017
- Produktionsfirma
- KHM Kunsthochschule für Medien Köln
- Regie
- Tilman Singer
- Buch
- Tilman Singer
- Kamera
- Paul Faltz
- Musik
- Simon Waskow
- Schnitt
- Fabian Podeszwa · Tilman Singer
- Darsteller
- Jan Bluthardt (Dr. Rossini) · Luana Velis (Luz) · Julia Riedler (Nora) · Nadja Stübiger (Kommissarin Bertillon) · Johannes Benecke (Orlate)
- Länge
- 73 Minuten
- Kinostart
- 21.03.2019
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Horror | Liebesfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Die Extras der hochwertigen Editionen (DVD & BD) umfassen u.a. einen Audiokommentar des Regisseurs und des Produktionsdesigners Dario Méndez Acosta sowie ein umfassendes "Making of" (74 Min.). Zu den Bonusmaterialien zählen weiterhin die beiden Kurzfilme "The Events at Mr. Yamamoto's Alpine Residence" (10 Min.) und "El Fin Del Mundo" (17 Min.) sowie ein 28-seitiges Booklet mit einem analytischen Text von Ariel Esteban Cayer sowie einigen bebilderten Drehbuchseiten. Neben der Special-Edition ist zudem eine limitierte Soundtrack-Edition erschienen, die die DVD und BD mit der Soundtrack-CD zum Film vereint. Sämtliche Editionen sind mit dem Silberling 2019 ausgezeichnet.
Ein dämonischer Höllenritt durch eine Nacht auf dem Polizeirevier, in dem ein Psychologe sich in ein traumatisiertes Opfer versetzt und dabei auf diabolische Kräfte stößt.
Die Themen des Horrorfilms sind denkbar einfach. „Luz“ handelt von Obsession, Besessenheit und Liebe. Diese Universalien wurden analog auf 16mm-Material aufgenommen und dann auf CinemaScope umkopiert. In der Filmgeschichte kam das 16mm-Format oftmals im Low-Budget-Bereich zum Einsatz, aber auch im Dokumentarischen und beim Fernsehen. CinemaScope ist wiederum das Kinoformat für Abenteuerfilme, Historiendramen und Musicals vor allem in den 1950er- und 1960er-Jahren.
Diese Mischung lässt bereits eine spielerische Handhabung des Regisseurs mit Filmgeschichte und vielleicht auch eine gewisse Ironie im Umgang mit Themen und Dingen erkennen, die mit einschlägigen Assoziationen und Erwartungen verbunden sind. Auch auf narrativer Ebene finden sich farbliche und musikalische Einflüsse aus dem italienischen Giallo, Referenzen an Andrzej Żuławskis „Possession“ und insbesondere an die Ikone der Besessenheit, Isabelle Adjani. Erdacht hat sich diese Welt der Regisseur Tilman Singer. Er zeichnet nicht nur für die Regie, sondern auch für Drehbuch, Produktion und Schnitt verantwortlich.
Dämonische Nacht auf dem Revier
Die Rahmenhandlung ist zeitlich wie geografisch minimalistisch angelegt: ein nächtliches Verhör in einer Polizeistation. Am nächsten Morgen ist alles vorbei. Visuell wie auditiv entfaltet sich in der Geschichte hingegen ein wahres Universum, das einem achterbahnartigen Albtraum gleicht. Drehbuch, Schnitt, die Kamera von Paul Faltz und die stark körperliche Schauspielkunst der vorwiegend aus dem Theater kommenden Darsteller ziehen in eine dämonische Nacht hinein, aus der man am Ende nur mühsam wieder erwacht.
Am Anfang gibt es nur eindrücklichen Ton. Kein Bild lenkt ab. Als die Kamera endlich einsetzt, ist ihre Ausrichtung starr; das Bild bewegt sich nicht. Die Protagonistin kommt ins Bild: Luz Carrara (Luana Velis), eine verletzte Taxifahrerin, die sich blutend in eine Polizeistation schleppt. Zunächst wird sie aber gar nicht wahrgenommen und erscheint fast als Geist ihrer selbst. Ein harter Schnitt verknüpft die Szene mit der Begegnung des Psychologen Rossini (Jan Bluthardt) mit einer jungen Frau namens Nora (Julia Riedler) in einer Bar. Nora erzählt von ihrer Freundin Luz und früheren Dämonenbeschwörungen. Als Rossini plötzlich zur Polizeistation gerufen wird, erwartet ihn und Luz ein dämonischer Höllenritt ins Morgengrauen.
Durch Hypnose und das Nacherleben vergangener Ereignisse sowie die – nicht immer zuverlässigen – Erinnerungen der Protagonisten entsteht eine beträchtliche Unsicherheit in der Wahrnehmung. Unterschiedliche Ebenen öffnen sich: Die Befragung im Hier und Jetzt, das Nacherleben erinnerter Situationen aus der Vergangenheit. Das Spiel der Darstellenden, das als ausgezeichnet vorbereitetes Improvisationstheater wirkt, wird in der Erzählung durch die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Orte, Zeiten und Sprachen massiv herausgefordert. Auf diese Weise wirkt der Plot umso universeller, glaubhafter und realistischer.
Was ist wahr, was ist erfunden?
Visuell umgesetzt wird die Handlung aber durch Rückblenden und gespielte Re-Enactments in den Räumlichkeiten der Polizeistation. Was ist also wahr und was nicht? Was nur empfunden und was real? Traut man dem Auge oder dem Gefühl?
Szenenbild und Produktionsdesign von Nathan Schönewolf und Dario Méndez Acosta sind ebenfalls Protagonisten. Ein Dekor der späten 1980er-Jahre, mit dunkelbraunen Holzvertäfelungen, langen, mit Teppichen ausgelegten Fluren, grellem Hell aus Neonröhren an den Decken, die keine Atmosphäre aufkommen lassen, keine Emotion widerspiegeln, nichts als konservative Zurückhaltung ausstrahlen. Das Interieur dient als stilvoll-hintergründige Spielwiese für die kraftvollen Obsessionen der Charaktere.
Es ist so viel Energie zu sehen und mitzuerleben, dass man im Kino geradezu eingesogen wird in die diabolische Welt. Dämonen in menschlichen Wirten, das Vaterunser als perverses Mantra oder der sexuelle Aspekt der Obsession sind Elemente, die den Film scheinbar in ein Genre einordnen, das im deutschen Filmschaffen eher selten vorkommt.
Hommage ans Filmemachen
Trotz seiner infernalischen Wucht wirkt „Luz“ wie ein perfektionistisch inszenierter Erstlingsfilm – mit all den wunderbaren kantigen und vielleicht zufällig unreinen Momenten eines Debüts und den gleichzeitig bis ins Detail durchdachten Plänen für einen analogen Dreh, der keine endlosen Wiederholungen der Takes zulässt und letztlich für immer auf dem analogen Material festgehalten ist. „Luz“ ist eine Hommage – nicht primär nur ans Horrorgenre, sondern an die cinephile Kunst des Filmemachens.