Arc de Triomphe, Eiffelturm, Notre Dame? Wer aus dem Ausland nach Paris kommt, kann sich vor Sehenswürdigkeiten kaum retten. Frankophile Filme von „Ein Amerikaner in Paris“ bis „Before Sunset“ spiegeln die Anziehungskraft der französischen Metropole. In „Synonymes“ von Nadav Lapid ist davon weit und breit nichts zu sehen. Der Protagonist Yoav läuft mit gesenktem Blick durch die Stadt. Der junge Israeli ist nicht als Tourist an die Seine gekommen. Er will waschechter Franzose werden, ohne Umwege, schnell und radikal.
Yoav will seine israelische Herkunft vergessen, geradezu eliminieren. Ein verzweifeltes Projekt, wie schon die Anfangsszene zeigt: Yoav, frisch angereist aus einem Land, das nur milde Winter kennt, landet nachts in einer unmöblierten Pariser Wohnung und stolpert durch kalte Flure. Aus dem Hahn der Badewanne fließt immerhin warmes Wasser, doch als Yoav aus der Wanne steigt, sind seine Habseligkeiten verschwunden.
Spaghetti & französische Vokabeln
Vor dem Erfrieren wird der junge Israeli durch ein französisches Paar gerettet, das in einer Nachbarwohnung lebt. Sowohl auf Caroline wie auf ihren Freund Émile scheint Yoav eine starke, auch erotische Faszination auszuüben. Die beiden neuen, gutbetuchten Freunde helfen dem Migranten, ansatzweise Fuß zu fassen. Doch Yoav will aus eigener Kraft Franzose werden. Er zieht in eine zugige Dachkammer, kocht sich jeden Tag Spaghetti mit Tomatensoße und paukt französische Vokabeln.
Da er nichts anzuziehen hat, schenkt ihm Émile Kleider. Darunter findet sich auch ein senfgelber Mantel, den der Neuankömmling von nun an kaum mehr ablegt. Eine auffällige, allzu elegante Kostümierung, die den Abstand zwischen Assimilierungsdrang und Wirklichkeit markiert. Yoavs Anpassungswunsch wirkt tragikomisch. Wie auf der Suche nach Rollenmodellen klaut er Postkarten, auf denen Napoleon, Kurt Cobain oder Van Gogh abgebildet sind – historische Figuren, in denen sich Größe mit Selbstzerstörung verbindet.
Brutal wirkt auch die Art und Weise, wie Yoav sich die französische Sprache anzueignen versucht. Wiederholt ist er auf seinen Streifzügen durch Paris zu sehen: der subjektive Kamerablick heftet sich an den Boden, während Yoav Vokabeln repetiert. Man könnte auch sagen: Worthülsen spuckt.
Die Magie der Sprache
Wie alle Israelis hat Yoav eine militärische Ausbildung genossen. Zwei satirisch angehauchte Rückblenden, für die der israelische Regisseur Nadav Lapid in seinem Heimatland heftig kritisiert wurde, nehmen Bezug auf diese Vergangenheit, die der junge Mann abschütteln möchte.
Bereits im Filmtitel klingt das zentrale Thema der Sprache an. Synonyme sind inhaltlich verwandte Wörter. Mittels Sprache werden Beziehungen geknüpft. Yoav aber, das zeichnet sich im Verlauf der Handlung immer deutlicher ab, will eher Verbindungen zu seiner verhassten Heimat kappen als neue Beziehungen in Paris eingehen. Auf Konventionen fixiert, lässt er die Menschen außer Acht. So, als würden ein paar Klamotten und die Kraft der fremden Sprache einen neuen Yoav herbeizaubern.
„Synonymes“ modifiziert reale Erlebnisse des Regisseurs. Auch der seiner israelischen Heimat entfremdete Lapid wollte in Paris neu anfangen. Bis auf seine „Bewunderung für Napoleon, meine Leidenschaft für Zinedine Zidane und ein paar Godard-Filme, die ich zwei Monate zuvor gesehen hatte“, brachte er allerdings nicht viel Vorwissen über Frankreich mit. Wie der Protagonist lernte Lapid ein französisches Wörterbuch auswendig, um sich mittels Sprache in einen anderen Menschen zu verwandeln: „Ich erkannte, dass ich aus Israel weg muss, um meine Seele zu retten. Mein einziger Plan bestand darin, nicht mehr Israeli zu sein und Franzose zu werden. Ich wollte in Paris leben und nie wieder zurückzukehren. Ich hörte auf, Hebräisch zu sprechen. Wenn ich mit meinen Eltern telefonierte, antwortete ich ihnen auf Englisch.“
Antworten auf Französisch
Einmal skypt Yoav mit einer jungen Israelin, offenbar seine Ex-Freundin. Ihre auf Hebräisch gestellten Fragen beantwortet er auf Französisch, obwohl er weiß, dass seine Gesprächspartnerin ihn nicht versteht. Doch man kann Lapid keineswegs mangelnde Bereitschaft zur Kommunikation vorwerfen. Er will eher zu viel erzählen und verzettelt sich im Episodischen, was nach einem starken Beginn auf den Spannungsbogen des Films drückt.
Das Dreiecksverhältnis mit Caroline und Émile gerät zwischenzeitlich aus dem Blick. Dafür dominieren Yoavs Begegnungen mit Ex-Landsleuten. Einer von ihnen versucht, Metro-Passanten durch lautes Singen der israelischen Nationalhymne zu provozieren; komplementär zu Yoav stellt dieser Mann namens Yaron seine jüdische Identität geradezu aufs Podest.
„Es gibt keine Grenzen!“
Ähnlich plakativ ist eine Szene, in der Yoav während eines Jobs bei der israelischen Botschaft kurzerhand die Schranke für alle Antragsteller öffnet („Es gibt keine Grenzen!“), so als wollte er sich als Befreier aufspielen. In dieser Szene soll offenbar Kritik an der politischen Naivität und Hybris des unreifen Protagonisten anklingen. Einige solcher Episoden des streckenweise langatmigen Films wären verzichtbar gewesen. Auf der anderen Seite gewährt „Synonymes“ komische Einblicke in einen Integrationskurs, insbesondere, als sich Yoav singend, ja grölend in die blutigen Details der französischen Nationalhymne hineinsteigert.
Unsere Sprache können wir ändern. Wir können an ihr feilen oder die Muttersprache durch eine andere ersetzen. Was sich aber nur sehr bedingt und keinesfalls im Handumdrehen modifizieren lässt, ist der Körper. Tom Mercier, ein echter Glücksfall für „Synonymes“, verkörpert Yoav als einen, der sich zwischen Selbstkontrolle und unbändiger Energie fast zerreibt. Yoav ist einer, der aus seiner Haut herauswill – sich aber doch nur seiner Kleider entledigen kann. Einen Teil der Szenen absolviert Mercier nackt, was angesichts seiner eruptiven Darstellungskraft doch nie gewollt wirkt.
Es gibt kein Entkommen
Yoav dient anderen als Projektionsfigur erotischer Wünsche, was in einer Szene kulminiert, in der der gutgebaute Darsteller sich für einen Fetischfotografen den Finger in den Hintern steckt – um dann, auf Wunsch des Auftraggebers, hebräische Obszönitäten von sich zu geben. Gibt es kein Entkommen, nicht einmal vor der Muttersprache? Tom Mercier, für seine Debütrolle von der Schauspielschule weg gecastet, spielt diese und andere Szenen so authentisch, tänzerisch, mit sprühender, zum Ende hin auch bedrohlicher Energie, dass man ihm schon jetzt eine internationale Karriere prophezeien möchte.
„Synonymes“ ist trotz einiger Längen ein kluger, oft auch fesselnder Film über Migration, Identität und deren Abhandenkommen. Dass die Integration oder das, was die Hauptfigur dafür hält, am Ende zu misslingen scheint, bietet keine Steilvorlage für die neue Rechte, denn Yoav zelebriert keineswegs seine Herkunftskultur, was Migranten oft vorgeworfen wird. Er will ganz im Gegenteil seine Vergangenheit ja wie ein Kostüm abstreifen. Das wirkt töricht, nicht tragisch. So ist „Synonymes“ keineswegs ein düsteres Drama über eine Identitätskrise. Die Story ist existenziell, doch Nadav Lapid erzählt sie in einem leichten, „französischen“ Tonfall – mitunter wie einen zeitgenössischen Schelmenroman.