Die Geheimnisse des Schönen Leo

Dokumentarfilm | Deutschland 2018 | 83 Minuten

Regie: Benedikt Schwarzer

Der Filmemacher Benedikt Schwarzer will herausfinden, was an den Vorwürfen gegen seinen Großvater Leo Wagner (1919-2006) dran ist, der als CSU-Bundestagsabgeordneter angeblich für die Stasi gearbeitet haben soll. Seine kurzweilige Spurensuche mit der Kamera enthüllt nicht nur eine hochkomplizierte Familiengeschichte, sondern fördert überraschende Details einer höchst ambivalenten Karriere zu Tage, in der sich der Politiker sein ausschweifendes Leben von der DDR finanzieren ließ. Ein brillanter, wenngleich formal eher konventioneller Film über Gier, menschliche Abgründe und die Geister der „Bonner Republik“. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik filmfriend

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
Lichtblick Film- und Fernsehprod.
Regie
Benedikt Schwarzer
Buch
Benedikt Schwarzer
Kamera
Julian Krubasik
Musik
Michael Lauterbach · Alexander Maschke
Schnitt
Natascha Cartolaro
Länge
83 Minuten
Kinostart
17.01.2019
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Ein ebenso facettenreicher wie zeitgeschichtlich höchst aufschlussreicher Dokumentarfilm über den CSU-Politiker Leo Wagner (1919-2006), der auf Geheiß der Stasi 1972 den Sturz von Willy Brandt verhinderte.

Diskussion

„Die Bayern in Bonn“ hieß ein Buch des ehemaligen Journalisten Heinz Bäuerlein aus dem Jahr 1970, in dem er führende CSU-Politiker der „Bonner Republik“ porträtierte. Stolze drei Seiten waren darin für Leo Wagner (1919-2006) reserviert, den „eleganten Schulmann“, der für seine „Akkuratesse“ bekannt war. Der Abgeordnete aus Günzburg mit den weißen Schläfen, schwarzer Intellektuellenbrille und ebenso modischen wie perfekt sitzenden Anzügen hatte es frühzeitig von seiner bayerisch-schwäbischen Heimat über den Posten des Land- und Bezirksrats zum Bundestagsabgeordneten und schließlich zum langjährigen Parlamentarischen Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe sowie der CDU-/CSU-Fraktion in Bonn gebracht.

Als Mitbegründer der CSU und Intimus von Franz Josef Strauß gehörte Wagner ab Mitte der 1960er-Jahre zum Führungskreis der Bonner Polit-Elite. Zudem galt er nicht nur in den Augen von Bäuerlein als adretter Darling für weibliche Wähler: „Ohne Zweifel ist Leo Wagner ein Frauentyp.“ Doch jenes Geschlecht hat ihn – zusammen mit zahlreichen persönlichen wie politischen – Eskapaden schließlich auch zu Fall gebracht, was Wagners Enkel Benedikt Schwarzer in seinem Dokumentarfilmdebüt „Die Geheimnisse des schönen Leo“ so überraschend wie detailliert enthüllt. 

Eine abenteuerliche Vita

Wenngleich das Budget für einen Abschlussfilm an der HFF München knapp und die Wahl der ästhetischen Mittel nicht sonderlich innovativ ausgefallen ist, lässt sich in dem fesselnden Porträt ein markantes Profil der „Bonner Republik“ erkennen sowie ein überaus detaillierter Blick auf die komplexen innen- und außenpolitischen Zusammenhänge der frühen 1970er-Jahre, die geschickt mit der abenteuerlichen Vita von Leo Wagner verquickt sind.

Dafür begibt sich der 1987 geborene Filmemacher auf eine sehr persönliche Reise in die hochkomplizierte Familiengeschichte rund um Leo Wagner und dessen Kinder und Kindeskinder: „Es ist höchste Zeit. Ich will wissen, was damals wirklich geschehen ist“, erklärt Schwarzer im Intro und startet seine außergewöhnliche Spurensuche mit der Kamera, die mit wenigen Indizien beginnt, aber mit echten Paukenschlägen endet.

Stilecht steigt der Regisseur in einen BMW 1800 und fährt nach Köln. Ein erstes Ziel ist das berüchtigte Friesenviertel. Dort hatte sein Großvater regelmäßig einschlägige „Animierlokale“ und vornehme Bars aufgesucht und Rechnungen mit mehreren tausend Mark pro Abend hinterlassen, die er trotz seiner Bezüge als Parlamentarier und regelmäßiger Zuwendungen durch Parteifreunde aber nicht immer bezahlen konnte. 

Gönner brachten die Bilderbuchkarriere ins Wanken

Der geheimnisumwitterte CSU-Politiker, der nie wirklich zu Hause war, seine bildhübsche Ehefrau in den Alkoholismus trieb, aber in CSU-Werbefilmen gerne den Saubermann mimte, umgab sich im Laufe seiner höchst ambivalenten Karriere zunehmend mit halbseidenen „Gönnern“, die von Gunter Sachs über korrupte Journalisten bis hin zu Stasi-Vertretern reichten und seine Bilderbuchkarriere erheblich ins Wanken brachten.

Schwarzer hat akribisch in den MfS-Unterlagen recherchiert und mehrere Weggefährten aus den (Rotlicht-)Kreisen seines Großvaters aufgespürt. Die teils recht bizarren Erkenntnisse mischen sich im Laufe der extrem kurzweiligen Recherche zunehmend mit innerfamiliären Abgründen, was den Film höchst spannungsreich zwischen aufrüttelnder Polit-Story und einem intimen Familienporträt mäandern lässt.

Denn im Leben des nur äußerlich aalglatten Politikers bleiben auch nach dessen Tod im Jahr 2006 viele Fragen offen. Warum und wie lange die schillernde Figur als „Inoffizieller Mitarbeiter“ für das MfS agierte, ist bis heute nicht hinreichend aufgeklärt; zumindest wurde er zwischen 1975 und 1983 als „IM“ unter dem Decknamen „Löwe“ geführt, was durch O-Töne im Film wie durch die Dokumentenlage weitgehend geklärt ist, obwohl Wagner das immer bestritten hat. 

Leo Wagner, die Stasi und Willy Brandt

In der heißen Phase des „Kalten Krieges“ erhoffte sich das MfS durch Wagner Interna aus der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion und deren Ost-West-Politik. Außerdem war Wagner einer der beiden Unions-Abgeordneten, die den Versuch, Willy Brandt am 27. April 1972 durch ein konstruktives Misstrauensvotum zu stürzen, hintertrieb.

Die Gründe für Wagners Stimmenthaltung waren nicht politischer, sondern schlicht monetärer Natur, wie der zeitgeschichtlich wie psychologisch aufschlussreiche Dokumentarfilm beweist: Die Stasi hatte seinen ausschweifenden Lebensstil mit einer Zuwendung von 50.000 DM „unterstützt“, was in der Konsequenz auch zu einem der innenpolitisch überraschendsten Momente nach 1945 führte.

„Die Geheimnisse des schönen Leo“ ist ein brillanter Film über Gier, (zwischen-)menschliche Abgründe und die Geister der „Bonner Republik“, deren langer Schatten hier einmal mehr facettenreich nachgezeichnet wird.

Kommentar verfassen

Kommentieren