Die Gentrifizierung bin ich. Beichte eines Finsterlings

Dokumentarfilm | Schweiz 2018 | 103 Minuten

Regie: Thomas Haemmerli

Ein intellektuell funkelndes und gleichermaßen humorvoll-selbstironisches Doku-Essay des Schweizer Künstlers Thomas Haemmerli, der anhand autobiografischen Materials Konzepte und Überlegungen zur Stadtentwicklung und zu Formen urbanen Lebens reflektiert. Der Film plädiert für die architektonische Moderne, eine forcierte Verdichtung der Städte und gegen die xenophoben Beschwörungen einer Verknappung von Lebensraum durch Überfremdung. Nebenbei entsteht auch ein nicht ganz ernst gemeintes Generationenporträt im Zeichen digitaler Mobilität. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
DIE GENTRIFIZIERUNG BIN ICH. BEICHTE EINES FINSTERLINGS
Produktionsland
Schweiz
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
Schweizer Radio und Fernsehen (SRF)/Ican Films GmbH
Regie
Thomas Haemmerli
Buch
Thomas Haemmerli
Kamera
Thomas Haemmerli · Stéphane Kuthy
Musik
Peter Bräker
Schnitt
Daniel Cherbuin
Länge
103 Minuten
Kinostart
18.10.2018
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Intellektuell funkelndes und gleichermaßen humorvoll-selbstironisches Doku-Essay des Schweizer Künstlers Thomas Haemmerli als Reflexion über Stadtentwicklung und urbanes Leben.

Diskussion

Was haben Xenophobie und Stadtentwicklung mit dem stets schlecht gelaunten Spitzhörnchen Tupaia zu tun? Folgt man dem provozierend ironischen, aber ausgesprochen pfiffigen Filmessay des Schweizer Künstlers Thomas Haemmerli, dann wäre „Dichtestress“ ein geeignetes Stichwort dafür. Werden die einzelgängerischen Nager nämlich einem solchen „Dichtestress“ ausgesetzt, verwandeln sie sich in aggressive Wesen bis hin zum Kannibalismus. Insbesondere jene Schweizer Bürger, die selbst kaum persönliche Begegnungen mit Migranten haben, richten sich in diversen Kampagnen immer mal wieder gegen die „Überfremdung“ ihrer Heimat. Haemmerli findet das absurd bis blöd und hat sich öffentlich gegen diese Kampagnen engagiert. Andererseits plädiert der Kosmopolit Haemmerli als Anhänger des architektonischen Brutalismus, des vertikalen Bauens, und als Fan großer Metropolregionen wie São Paulo oder Mexico City seinerseits für eine Verdichtung, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.

Das frei flottierende und durchaus auch polemische Essay wird durch autobiografisches Material strukturiert. So wird davon erzählt, dass ein ehemals vorbestrafter Hausbesetzer ein paar Jahrzehnte später als mehr oder weniger etablierter Medienstar zum Hausbesitzer wurde, der mittlerweile über Wohneigentum in Zürich, São Paulo, Mexiko-Stadt und Tiflis verfügt. Auf diese Weise versichert sich der Film eines vergleichenden Materials zu den Formen urbanen Zusammenlebens und kann darüber zahlreiche Elemente ins Spiel bringen, die von der Stadtentwicklung schon länger reflektiert werden. Dazu gehören so unterschiedliche Faktoren wie längere Lebensdauer, Lifestyle oder der Prestige-Faktor beim Wohnraum, die Emanzipation der Frauen und die Bewegung der „Neuen Väter“, Land- und Provinzflucht.

All dies bedingt eine wachsende Nachfrage am Wohnungsmarkt, auf die in der Schweiz nicht angemessen reagiert werden konnte, weil, so Haemmerli, weiterhin ästhetische und soziale Konzepte einer „Gegenmoderne“ virulent sind.

Als Teil der Hausbesetzerbewegung der 1980er-Jahre weist Haemmerli pointiert auf ideologische Grundüberzeugungen jener Bewegung hin, die er selbst durch Weltläufigkeit und eine ganze Reihe „weltanschaulicher Adjustierungen“ überwunden habe, was dazu führt, dass er heute auf „Verdichtung“ im Zeichen einer architektonischen Moderne setzt.

Der funkelnde, die Argumentation gerne zuspitzende Film, narrativ oft als „Und das kam so“ strukturiert, arbeitet mit unterschiedlichstem Archivmaterial wie Super-8-Film, Video und Mini-DV; er setzt auf Texttafeln, Statistiken, „komische“ Toneffekte und jede Menge Selbstironie, meint es mit seinem Plädoyer für eine gesunde Portion Chaos bei der Stadtentwicklung aber durchaus ernst. Mit seiner persönlichen Biografie fungiert Haemmerli seit Jahrzehnten als Agent einer Gentrifizierung, und sei es nur, weil der Schweizer in Tiflis nicht Bad und WC mit anderen Hausbewohnern teilen möchte.

Nebenher zeichnet der Film auch ein skizzenhaftes Generationenporträt, wie sich eine ehemals linksradikale Haltung durch Jobs, technische Entwicklungen (Stichwort: „digitales Nomadentum“), Mobilität, ökonomische Erfolge und (späte) Familiengründung allmählich in Richtung einer ironischen Linksliberalität verschoben hat. Für Haemmerli mit seinen spezifischen Präferenzen für forcierte Urbanität bleibt als utopischer Fluchtpunkt immer noch Lagos. Dem Zuschauer gibt er den Ratschlag mit auf den Weg: „Wer weiß, was Gentrifizierung bedeutet, ist ein Teil von ihr!“

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