Hauptfiguren, die nichts miteinander zu schaffen haben. Eine Geschichte, die nicht wichtig ist. Ein „MacGuffin“ und jede Menge falscher Fährten. Stille, die gegen den Dialog gewinnt. Musik, die gegen die Stille gewinnt. Die „erzählte Zeit“, die in der „Erzählzeit“ Kapriolen schlägt. Tote an allen Ecken und Enden. Wölfe im Schafspelz und noch ganz andere Plattitüden.
Es ist nicht leicht, den perfekten Film zu kreieren. Doch der 43-jährige US-Regisseur Drew Goddard gibt sich alle nur erdenkliche Mühe.
Wer hier der Böse und wer der Gute ist, wer der Mörder und wer die Leiche und wer am Ende wen überlebt, hat nichts mit der Reihenfolge des Auftritts zu tun. Auch ist es letztlich unerheblich, aus welchem Grund jemand im einstmals mondänen, jetzt aber recht angegilbten Hotel auf dem Grenzstreifen von Kalifornien und Nevada eincheckt. Wichtig ist Regie und Drehbuch nur eines: Das Spiel mit der Spannung!
Schon Hitchcock wusste, dass ein „MacGuffin“ kein schlechter Partner für einen (Genre-)Film ist. „Bad Times at the El Royale“ beginnt in aller Ausführlichkeit mit der Installation eines „MacGuffin“ – und bleibt doch mysteriös. Durch gezielte Jump Cuts gerafft, verfolgt man die akribischen Bemühungen eines Unbekannten, der binnen einer Nacht in einem Hotelzimmer Mobiliar, Teppich und Bodenplanken entfernt, um eine Tasche im Erdreich zu vergraben. Um diese Tasche könnte es in den 140 Minuten Erzählzeit gehen. Sie könnte die Handlung vorantreiben und die Handvoll Figuren an dem gottverdammten Ort im Nirgendwo seltsame Dinge machen lassen. Was zugleich stimmt und doch wieder nicht. Der vermeintliche Besitzer der Tasche spielt zumindest nach seinem Nachtwerk keine Rolle mehr. Er wird erschossen – und der Film beginnt.
Was ist das für eine Tasche? Wer interessiert sich für sie? Und wer wird nur zufällig in deren Bann gezogen? Bei der Lösung dieser Fragen kommt es gar nicht so sehr darauf an, was genau passiert, sondern wie es passiert. Bereits die Ankunft der ersten drei Gäste verbraucht episch viel von der üppigen „Erzählzeit“ des Filmes. Man könnte sich in einem Theaterstück wähnen, wenn der geschwätzige Staubsaugervertreter Seymour „Laramie“ Sullivan in die für ihn wie prädestiniert erscheinende Honeymoon-Suite eincheckt. Der zweite Gast in der Lobby, Pater Daniel Flynn, hat Verständnis für die Bedürfnisse des Handlungsreisenden. Auch die schwarze Sängerin Darlene Sweet will nur ihre Ruhe und die anderen Herren nicht stören. Doch der sich leicht verspätende, über die zu dieser Jahreszeit ungewöhnlich üppige Zahl an Gästen staunende Concierge Miles Miller wird sich noch mehr wundern, als die unnahbar-charismatische Emily Summerspring den Reigen für die Nacht zu komplettieren scheint. Eine Nacht, die in einem Albtraum endet.
Doch schon der erste Akt des komödiantisch anmutenden Thrillers schlägt nach dem düsteren Prolog und dem skurrilen Entrée einen ganz anderen, paranoiden Ton an und zündet eine der vielen Nebelkerzen, die dramaturgisch nur dazu dienen, den Zuschauer auf falsche Fährten zu locken.
Die echten Stars dieses Films sind dabei gar nicht die Darsteller von Jeff Bridges und Jon Hamm bis zu Dakota Johnson und Chris Hemsworth. Es sind vielmehr Schnitt, Tonschnitt und Ton. Wenn die Musik spielt, wird Gänsehaut produziert. Etwa wenn der Staubsaugervertreter, der gar kein Staubsaugervertreter ist, die doppelten Böden des einstigen Vergnügungstempels erkundet. Wenn der Komponist Michael Giacchino seinen Spannungsscore ausbreitet und wenig später der Isley-Brothers-Klassiker „This Old Heart Of Mine“ a cappella von Darlene Sweet aus dem Off zu hören ist. Wenn ihr Metronom dazu mal mehr, mal weniger dominant über die Tonspur klackert und das Montagetempo diktiert. Wenn alle Handlung wie im Rausch plötzlich in den Hintergrund rückt und nur noch der Augenblick wichtig ist. Wenn das Erleben des Zuschauers mit dem Erleben der Protagonisten eine Einheit bilden. Dann ist das „große Kino“ nicht mehr fern.
Die Musik untermalt, diktiert und stellt alle Fragen ruhig. Dieser Kunst bedient sich die Inszenierung des zum Ende grimmig werdenden Thrillers permanent, ohne dramaturgische Kabinettstückchen außer Acht zu lassen. Wer mit wem aneinandergerät, welche falsche Fährte nicht in die Irre führt, welcher Subplot plötzlich in den Vordergrund drängt, kann hier nicht enthüllt werden. Denn angesichts all der Fronten und Allianzen soll man als Zuschauer so kopfschüttelnd staunen wie der Concierge. Nur auf diese Weise lässt sich „Bad Times at the El Royale“ trefflich goutieren. Wichtig zu wissen ist jedoch, dass der Film seine Protagonisten auf atemberaubende Weise mit Charakter und seelischen Wunden unterfüttert. Er springt dazu wild durch die Zeit und pulverisiert förmlich die Chronologie der „erzählten Zeit“. Deshalb gehört es zu den Voraussetzungen dieses Films, dass man bereit ist, sich fallen zu lassen. Denn das ganze große Bild der „Schlechten Zeiten“ im El Royale offenbart sich erst mit dem Abschlusssong.
Regisseur Drew Goddard hat mit allen nur erdenklich formalen und dramaturgischen Mittel versucht, einen cineastisch perfekten Film zu kreieren. Das ist ihm weitgehend gelungen.