Neuverfilmung von Dario Argentos Horrorfilm „Suspiria“ (1976) durch Luca Guadagnino ohne die psychedelische Expressivität des Originals und einer politisch-gesellschaftlichen Bedeutungsebene, hinter der die dämonische Unheimlichkeit des Hexen-Horrors zurückgedrängt wird.
München, 1977. Über dem nächtlichen Flughafen tobt ein fürchterlicher Gewittersturm, als die New Yorkerin Suzy Bannion landet. Völlig durchnässt sitzt die angehende Tänzerin anschließend im Taxi und erlebt, wie der Regen zu wahren Sturzbächen anschwillt, die alles Leben in den Abgrund zu reißen drohen. Während die Musik aus dem Off mit Glockenspiel und wahnsinnig-wirrem Sprechgesang der Bedrohung der Natur etwas Übernatürliches verleiht, sieht Bannion eine vermeintliche Kollegin durch den von Blitzen erleuchteten Wald irren. Es ist jene Tänzerin, die später in der grotesk in grellbuntem Jugendstil und Escher-Ornamentik errichteten Herberge der Tanzkompagnie auf grausame Weise aufgespießt und mit einem Strick um den Hals im Vestibül des Anwesens hängt. Ermordet von etwas, das, angestachelt durch die ekstatische Musik, direkt aus der Hölle gekommen ist.
Der Prolog von Dario Argentos „Suspiria“ aus dem Jahr 1976 verströmt noch immer etwas zutiefst Paranoides und Atemloses. Er zeigt parallel zu Bannions Ankunft ein imaginäres, grellbuntes Hexengericht über eine Abtrünnige. Als Zuschauer ist man bis zum ersten expliziten Mord ahnungslos, wird vor den Geschehnissen dann aber so sehr vor den Kopf gestoßen wie elektrisiert. Der italienische Regisseur Luca Guadagnino, der den Film als Jugendlicher erstmals sah, war gleichermaßen verstört und fasziniert. Seitdem zählt „Suspiria“ zu seinen intensivsten Kinoerlebnissen; gut 40 Jahre später versucht er nun, in einer Neuverfilmung seine nachhaltigen Erlebnisse mit dem Werk zu verarbeiten.
Berlin, in den 1970er-Jahren. Während sich Susie Bannion nach dem Tod ihrer Mutter auf den Weg macht, um vom ländlichen Ohio in die geteilte Weltstadt Berlin zu reisen, wo sie in die Marcos Dance Academy aufgenommen werden soll, sucht dort die talentierte Tänzerin Patricia Hingle den Psychiater Dr. Klemperer auf. Die verstörte Elevin erzählt wirr von Machenschaften ihrer Lehrerinnen, die allesamt Hexen seien. Später, nach ihrem „unerklärlichen“ Verschwinden, wird nicht nur diese Indiskretion vom Konvent der Tanzkompagnie als Grund für ihre „Disqualifikation“ ins Feld geführt, sondern auch ihre politische Nähe zu jenen RAF-Umstürzlern, die Deutschland gerade mit Gewalt überziehen.
Original und Remake trennen ästhetisch und emotional Welten
Unterschiedlicher könnte der Einstieg in einen Film nicht sein: Argentos „Suspiria“ ist wild, brüllend, blutrünstig und emotional, der von Guadagnino akribisch, nüchtern, fast beiläufig. Der eine ist in breitem, buntem Cinemascope mit der hexenhaften Musik der Psychodelic-Band „Goblin“ inszeniert, der andere in nahezu entsättigten Farben und mit der fast schon enervierend aus der Zeit gefallenen Popmusik des „Radiohead“-Sängers Thom Yorke. Beide Filme erzählen die Geschichte einer Frau, die im Tanztraum zu spät erkennt, dass sie sich mit Hexen eingelassen hat. Beides sind Horrorfilme, und dennoch trennen sie ästhetisch wie emotional Welten.
Guadagnino will ein Drama erzählen, das einer verschworenen Gemeinschaft, die unter dem Deckmantel eines renommierten Etablissements geheime Blüten treibt, die langsam zu verwelken beginnen. Denn unter der Oberfläche der Bannion-Geschichte, die in der Marcos Dance Academy reüssieren will, sich aber ungewollt in einen Hexenzirkel zu assimilieren beginnt, geht es um den höchst realistisch gehaltenen, fast schon im grobpinseligen Stil des Neuen Deutschen Films inszenierten Existenzkampf einer Hexengemeinschaft. Wie deren alte und nicht ganz so alte Mitglieder in der Küche um ihren riesigen Tisch sitzen und beraten, wie ihr langsam überalterndes Geschlecht verjüngt werden könnte. Wie sie unter ihren Schülerinnen nach frischem Blut suchen. Wie sie sich untereinander belauern und Verbindungen knüpfen, um eine Nachfolgerin für die sich langsam auflösende Helena Markos inthronisieren zu können.
Das alles besitzt bei Guadagnino nichts Übernatürliches, sondern verströmt etwas geradezu Sachliches. Getragen wird dieses Drama, das mitunter an die Arbeiten von Werner Schroeter denken lässt, nicht durch Hollywood in Gestalt von Dakota Johnson als Susie oder Chloë Grace Moretz als Patricia, sondern durch die großen alten Damen des europäischen Kinos: Angela Winkler, Ingrid Caven, Renée Soutendijk. Sie verkörpern die deutsche, gründlich organisierende Miss Tanner, die leicht französisch-versnobte alte Schachtel Miss Vendegast und die grässlich hyperaktive Holländerin Miss Huller. In Schach gehalten werden sie und die anderen „Lehrerinnen“ der Kompagnie aber von dem unnahbar strengen Charisma der Madame Blanc. Tilda Swinton verkörpert diese Figur mit der eigentümlichen Grandezza einer abgetakelten Primaballerina, kombiniert mit dem Wahnsinn einer Sektenführerin. Ihrer Gestalt wohnt als einziger etwas Dämonisches inne – in einer Hexengemeinschaft, deren Blutrünstigkeit in der Tristesse des Berliner Alltagslebens beinahe untergeht.
Neue Sachlichkeit ersetzt burlesken Horror
Guadagnino scheint sich mehr für die politische Ambitioniertheit Schlöndorffscher Filme der 1970er-Jahre zu interessieren als für den Giallo-Horror von Dario Argento. Daher auch der Wechsel von München nach Berlin im Würgegriff von RAF und den Schatten der Nazi-Zeit, da in der geteilten Stadt offensichtlich am ehesten jenes unheilige Klima von Schuld und Scham obwaltet, in dem ein Hexengeschlecht noch am ehesten gedeihen kann. Diese Abkehr vom burlesken Horror des italienischen 1970er-Jahre-Kinos hin zur neuen (deutschen) Sachlichkeit wird Genre-Fans enttäuschen oder langweilen, auch angesichts der dem „Original“ gegenüber fast eine Stunde längeren Erzählzeit von 152 Minuten. Guadagninos Inszenierung lebt indessen von der Kunst der Darsteller und nicht zuletzt von der leider zu wenig gezeigten Tanzkunst. Dem während der Handlung einstudierten Stück, das sich zum Finale hin als Vorspiel der Inauguration einer neuen Hexenführung entpuppt, hätte als morbidem „Sacre du Printemps“ durchaus mehr Raum gebührt.
Am Ende, so als würde sich Guadagnino schließlich doch noch an die Albträume nach seiner ersten Begegnung mit Argentos „Suspiria“ erinnern, taucht die Inszenierung den Film dann doch noch in tiefrotes Blut. Das ist eigentlich viel zu spät, steht bei Guadagnino das Unheimliche des Hexen-Horrors doch ziemlich unvereinbar neben dem politisch ambitionierten Kino der Sachlichkeit. Das ist faszinierend, aber auch frustrierend. Es zeugt vom Mut des Regisseurs, das Sujet seines Lieblingsfilms hemmungslos zu dekonstruieren, aber auch vom Unvermögen, sich den überbordenden Emotionen hinzugeben, die das Faszinosum dieses Kinos des Grauens ausmachte.