Shut up and play the Piano

Dokumentarfilm | Deutschland/Frankreich/Großbritannien 2018 | 85 (TV auch: 53) Minuten

Regie: Philipp Jedicke

Filmdaten

Originaltitel
SHUT UP AND PLAY THE PIANO
Produktionsland
Deutschland/Frankreich/Großbritannien
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
Rapid Eye Movies/Gentle Threat/ZDF/Arte
Regie
Philipp Jedicke
Buch
Philipp Jedicke
Kamera
Marcel Kolvenbach · Marcus Winterbauer
Schnitt
Henk Drees · Carina Mergens
Länge
85 (TV auch: 53) Minuten
Kinostart
20.09.2018
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm | Musikdokumentation
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Spielerischer, sehr materialreicher Rückblick auf die Karriere des Musikers Jason Beck alias Chilly Gonzales, der die Ambivalenzen einer von Selbstzweifel, Größenwahn und der Lust an humorvoller Mehrdeutigkeit geprägten Persönlichkeit widerspiegelt.

Diskussion
Philipp Jedicke hat sich für seinen Debütfilm ein ziemlich ambitioniertes Projekt gewählt. Glaubt man den Presseunterlagen, hat der Filmemacher den Musiker Jason Charles Beck aka Gonzo aka Chilly Gonzales einfach angesprochen, ohne allzu viel über die schillernde Künstlerfigur zu wissen. Beide waren sich sympathisch, und am Ende fungierte Gonzales sogar als Co-Produzent des Porträts mit dem Recht auf den Final cut. Was er dann aber angeblich nicht wahrgenommen hat. Die Fakten: Der Kanadier Jason Charles Beck, Jahrgang 1972, ist der Sohn eines erfolgreichen Bauunternehmers, Bruder des erfolgreichen Filmkomponisten Christophe Beck, Enkel eines nach Kanada immigrierten jüdischen Großvaters aus Ungarn. Beck aka Gonzo aka Chilly Gonzales ist ein Exzentriker, ein erklärter Entertainer und ein „Grammy“-prämierter Pianist, dessen einzige Konstante im Leben die Veränderung zu sein scheint. Ob als größenwahnsinniger Anarcho-Clown, als Grenzgänger zwischen Rap und Elektro, Jazz und Neo-Klassik oder später als Salonmusiker am Klavier überraschte Gonzales sein Publikum stets durch radikale Veränderungen und kalkulierte Brüche der Erwartungshaltung. Als Künstler kollaborierte Gonzales unter anderem mit den Puppetmastaz, Peaches, Leslie Feist, Mocky, Jarvis Cocker, Daft Punk und Drake und produzierte Alben von Jane Birkin und Charles Aznavour. Der Film folgt der Biografie streng chronologisch und erstaunlich materialreich, zeigt Gonzales als jungen Jazz-Piano-Studenten in Montreal, mit seiner ersten Indie-Rock-Band, der Clique um Peaches, Mocky und Feist. Man erfährt über Gonzales’ musikalisches Wirken als selbsterklärter Präsident des Berliner Undergrounds in den späten 1990er-Jahren und über seine Umzüge nach Paris und dann nach Köln, die ihn zunächst zum Produzenten werden ließen und anschließend in die großen Philharmonien der Welt brachten. Durch das Verflechten von Interviews, Konzertmitschnitten und doku-fiktionalen Szenen, in denen sich der megareflektierte Gonzalez selbst spielt oder eine ganze Gruppe von „Doppelgängern“ Gonzales spielen, beleuchtet der Film recht unorthodox die durchdachten Widersprüche und Ambivalenzen seiner von Selbstzweifeln, Größenwahn und Lust an der humorvollen Mehrdeutigkeit geprägten Bühnen-Persona. Schon früh wird man als Zuschauer vom Protagonisten gewarnt. Er sei „total verlogen“ und nehme „alles gar nicht ernst“. Später wird er rappen: „Try to live your life as a concept!“ Irgendwann heißt es: „Was wollen Sie wissen?“ Was haben Sie denn aktuell im Angebot, lautet die angemessene Antwort. „When the legend becomes fact, print the legend.“ Eine Künstler-Biografie voller „ups and downs“, mit schönen Mythen und einer Familie im Hintergrund, in der Erfolg die Religion ist. Jedicke spielt das Spiel mit und schafft eine seltsame Interviewsituation als Rahmen. Hier stellt die indifferente Schriftstellerin Sibylle Berg Fragen, die der Befragte bestenfalls akzeptiert, aber dann doch seine Sicht der Dinge multimedial einspeist und sogar ein „Rosebud“-Motiv anbietet: den Swimming Pool im einstigen Elternhaus. Da ist die klassische Klavier-Ausbildung des „poor little rich boy“, die erst einmal mit einem Punk-Gestus und diversen Fake-Personae („Gonzo, the musical genius“) über Bord geworfen werden muss, bis das dynamische Spiel mit Konzepten zur Verausgabung führt. Dann der Bruch, die Liebe zu Eric Satie, der Respekt vor Beethoven, Brahms und dem musikalischen Großvater. Aus dem Lautsprecher reift ein Meister der leisen Töne, der nicht länger in Underground-Clubs spielt, sondern in den großen Konzertsälen gastiert, dort allerdings von den klassisch ausgebildeten Musikern als Freak belächelt und bestaunt wird. Und sich doch den Luxus gönnt, das Publikum spielerisch und doch sehr physisch mit seiner Lust auf „Crowdsurfing“ zu konfrontieren. Subversiv. Aber vielleicht ist das alles auch nur ein weiteres abgekartetes Spiel?
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