Ende der 1930er-Jahre flohen die Berliner Juden und Jazz-Enthusiasten Alfred Lion (1908-1987) und Frank „Francis“ Wolff (1908-1971) im Abstand von mehreren Jahren aus Deutschland und emigrierten in die USA. In New York gründete Lion das „Blue Note“-Label und produzierte erste Schallplatten mit Boogie Woogie und „Summertime“ von Sidney Bechet als erstem Hit. Wolff schloss sich 1939 dem alten Freund Lion an.
Nach eher bescheidenen Anfängen erwies sich Lion als begnadeter Talentscout, mit dem ultimatives und nicht zu diskutierendes Qualitätskriterium der Musik : „It must Schwing!“. Gemeinsam mit dem legendären Tonmeister Rudy van Gelder (1924-2016), Wolffs fotografischem Talent und den Ideen des Grafikers Reid Miles (1927-1993) wurden „Blue Note Records“ in den 1950er- und 1960er-Jahren zu einem der renommiertesten Jazzlabels mit einer Corporate Identity und Musikern wie Bud Powell, Sonny Rollins, Thelonious Monk, John Coltrane, Horace Silver, Art Blakey, Herbie Hancock, Donald Byrd, Don Cherry oder Wayne Shorter.
Im Gegensatz zu anderen Labels zahlte man bei „Blue Note Records“ auch die Probesessions bezahlt, und als Fans der Musik begegneten Lion und Wolff den zumeist afro-amerikanischen Musikern mit Respekt und auf Augenhöhe. Gerade dieses für jene Zeit und in dieser Branche ungewöhnliche Ethos machte „Blue Note Records“ zu etwas ganz Besonderem, zu einer Art gelebter Utopie, weshalb der Hamburger Filmemacher Eric Friedler in seiner etwas zu sehr auf die US-Perspektive setzenden Dokumentation „It must Schwing! – The Blue Note Story“ genau darauf besonderes Gewicht legt.
Friedler hat für seine atemlose Montage nicht nur jede Menge illustrer Zeitzeugen wie die Musiker Herbie Hancock, Benny Golson, Sonny Rollins, Ron Carter, Bernie Maupin, Lou Donaldson, Sheila Jordan und Rudy van Gelder vor die Kamera geholt, sondern allerlei „Leerstellen“ mit so vielen sentimentalen und letztlich redundanten Animationsszenen im Doku-Drama-Stil gefüllt, dass man sich mitunter in einer Vorstellung von „Bambi“ (fd 1016) wähnt. Da kullert manche Träne. Man kann sich schon fragen, wem damit gedient sein soll, dass man Wolffs Ausreise aus Deutschland mit dem Schiff nach New York nicht einfach erzählt, sondern animiert wird. Als Lion seine künftige Ehefrau Lorraine einmal zum Abendessen einlädt, führt er sie nicht ins Restaurant, sondern nur an den eigenen, bestürzend leeren Kühlschrank, weil er nicht von seiner Leidenschaft, der Arbeit für „Blue Note Records“, lassen kann. Spätestens, wenn Billie Holiday animiert „Strange Fruit“ singt und Mitglieder des Ku-Klux-Klans sich dazu im Takt durchs Bild bewegen, beginnt man ernsthaft nach dem Budget des Films zu fragen.
Dabei ist die Geschichte der Freunde, die aus Liebe zum Jazz aus Nazi-Deutschland in die USA immigrieren, um dort zu erleben, dass ihre Musik als „Race Music“ in die Regale sortiert wird, absolut erzählenswert. Dass man eine Plattenfirma gründet, um mit den Musikern, die man bewundert, Zeit verbringen zu können. Dass man sich beim Geschäft weniger am Profit oder gar persönlichem Wohlstand orientiert, sondern eher daran, das Unternehmen am Laufen zu halten. Dass man nicht aus kommerziellen Erwägungen Entscheidungen trifft, sondern aus Liebe zur Musik. Dass man die Musiker nach einem Konzertabend ins Aufnahmestudio einlud und dann mit Taxis nach New Jersey expedierte, wo Rudy van Gelder alles vorbereitet hatte. Man staunt nicht schlecht, wenn die befragten Zeitzeugen auch nach Jahrzehnten später noch immer etwas befremdet und amüsiert vom Geschäftsgebaren und auch den Freundlichkeiten und Idiosynkrasien der beiden Freunde Lion und Wolff berichten.
Doch der Film, der im Hintergrund permanent die „größten Hits“ aus dem „Blue Note“-Katalog laufen lässt, sich aber für die Musik als Musik überhaupt nicht zu interessieren scheint, belässt es nicht dabei, sondern will das Ganze zu einer Haltung stilisieren. Dass man den Antisemitismus in Deutschland umstandslos mit dem grassierenden Rassismus der US-Gesellschaft der 1940er- und 1950er-Jahre vergleichen könnte, ist eine gewagte These, die sich der Film von den befragten Zeitzeugen „ausleiht“. So wird der Schlagzeuger Art Blakey mit den Worten zitiert: „Alfred Lion came to the US to become a nigger!“ Doch gerade diese „Nigger-Werdung“ des Juden führt dazu, dass „Blue Note Records“ gewissermaßen zur Avantgarde der Bürgerrechtsbewegung stilisiert wird und Jackie McLeans Aufnahme „Let Freedom Ring!“ von 1962 Martin Luther King auf die Idee brachte, von Freiheit zu träumen.
Zwei Dinge sind festzuhalten: Noch immer scheint es in Musikdokumentationen legitim, die Geschichte des Jazz anhand von Anekdoten zu kolportieren. Anstatt sich einmal ordnend auf eine analytische Ebene zu begeben, wird lieber der nächste Zeitzeuge vor die Kamera gesetzt, um ein, zwei, zumeist banale oder aus dem Zusammenhang gerissene Sätze zum Thema vom Stapel zu lassen, die unmittelbar durch das darauffolgende Bild bestätigt werden. Zudem herrscht eine Angst vor Widersprüchen, Disparatem und Offenen, weshalb eine Verfügbarkeit von Material suggeriert wird, die eine audiovisuelle Lückenlosigkeit von Information zulässt.
„It must Schwing!“ führt diese Untugenden allzu deutlich vor, wenn der Film für das behauptete politische Ethos von „Blue Note Records“ keine O-Töne von Lion und Wolff präsentiert, die sich in dokumentierten Interviews immer als idealistische und enthusiastische Musikfans ausgaben. Friedler gelingt zwar der Blick in den leeren Kühlschrank von Alfred Lion, hat für dessen rätselhafte Überraschung, am Grab des verstorbenen Freundes Wolff damit konfrontiert zu werden, dass dieser mit einer afro-amerikanischen Freundin und deren Kindern zusammenlebte, aber keinen Zeitzeugen in petto.