„China ist ein schlafender Löwe, lasst ihn schlafen! Wenn er aufwacht, verrückt er die Welt!“, heißt es mit einem Bonmot von Napoleon Bonaparte eingangs der Romanverfilmung „Crazy Rich Asians“ von Jon M. Chu. In einem in London spielenden Prolog löst der Films das Zitat sogleich ein. Bei strömendem Regen drängt eine Gruppe durchnässter Chinesen – zwei Frauen, zwei kleine Kinder – in die Lobby eines Luxushotels. Man habe eine Suite reserviert. Das Personal reagiert abweisend, unfreundlich-snobistisch; es könne sich nur um einen Irrtum handeln. Kurz darauf, ein Anruf genügt, ist das Hotel gekauft, und die neue Besitzerin maßregelt die Unbotmäßigen, souverän, aber nicht zu streng. Geld regiert die Welt – das gilt auch und insbesondere für die „crazy rich asians“. Die passende Musik dazu: „Money (That’s What I Want)“, selbstredend in einer chinesischen Version.
New York im Jahr 2018. Rachel und Nick sind sehr ineinander verliebt. Sie sind schon länger ein Paar, wissen aber noch lange nicht alles über einander. Rachel, jung, klug, bildhübsch und selbstbewusst, hat eine Wirtschaftsprofessur inne und ist eine Spezialistin für Spieltheorie. Sie kam als kleines Kind einer alleinerziehenden Mutter in die USA, die sich hier als Maklerin etablierte. Den höchst attraktiven und sehr charmanten Nick hat Rachel an der Uni kennengelernt. Irgendwann begleitet sie ihn nach Singapur zur Hochzeit seines besten Freundes. Erst jetzt, vor Ort, wird ihr langsam klar, dass ihr Geliebter der Erbe einer superreichen Immobiliendynastie ist. Nun soll sie Nicks Familie kennenlernen.
Zunächst aber folgt eine flotte, auf Spektakel setzende Mischung aus Stadt-Marketing, Party, Luxus- und Food-Pornografie, unterlegt mit Popmusik und Dialogen in Screwball-Manier. Rachel trifft sich mit ihrer ehemaligen Kommilitonin Peik Lin, die zwar mit der Verve der 1980er-Jahre-Madonna agiert (selbst „Material Girl“ ist hier zu hören, ebenfalls auf Chinesisch), dies aber vor dem Hintergrund ihrer ziemlich schrägen Neureichen-Familie tut.
Peik Lin fungiert für Rachel, die zum ersten Mal in Asien ist, als Dolmetscherin in Kultur-, Verhaltens- und Modefragen. Ihre Verblüffung ist groß, als Rachel nebenbei verrät, mit wem sie auf wessen Hochzeit eingeladen ist. Diese Vermählung gilt in Singapur als Jahrhundertereignis der Big-Money-Society, und Nick dürfte der wohl begehrteste Junggeselle Asiens sein.
Während Peik Lins Familie mit ihrer Vulgarität und ihrer Geschmacklosigkeit noch mögliche Vorurteile über schnell reich gewordenen Chinesen bestätigt, ändert sich das Bild schlagartig, als Nicks Familie ins Spiel kommt. Hier wird binnen kürzester Zeit aus der selbstbewussten Akademikerin Rachel eine „Banane“, außen gelb, innen weiß, unvertraut mit jahrhundertealten Traditionen, die mit Stolz gepflegt werden. In Singapur, zumal im Milieu von Nicks Familie, gilt ihre Beziehung schlicht als Mesalliance, als undenkbar.
In der federleichten, fast schon übermütige Liebeskomödie mischen sich durchaus ernsthafte Identitätsfragen, Momente von Klassenkampf und „Cultural Clash“.Westlicher Individualismus steht gegen Familiensinn. Nick, so die herrschende Meinung, war lange genug im Ausland; jetzt müsse er seinen Pflichten in der Familie nachkommen. Tatsächlich scheint sich Nick dem familiär-kulturellen Druck nicht entziehen können. Die Beziehung zu Rachel steht schnell zur Disposition. Zumal Nicks stolze Mutter Eleanor sich als nicht zu unterschätzender Widerpart erweist, die aus ihrer Verachtung für Rachel kein Geheimnis macht.
Da die hier vorgeführte Gesellschaft matriarchale Strukturen aufweist, ist Nicks Spielraum ohnehin begrenzt. Rachel hat es hochsymbolisch mit zwei Frauenrollen zu tun: dem stolzen, opferbereiten Pflichtbewusstsein Eleanors und dem mutigen Ausbrechen aus der Tradition ihrer Mutter, die gerade deshalb in die USA ging. Durch eine Reihe von Nebenfiguren wie den flamboyanten Modemacher Oliver, Nicks Schwester Astrid und deren wenig erfolgreichen Mann werden beide Erzählebenen, die märchenhafte Romantische Komödie mit ihren Intrigen und die ernsthaften Identitätsfragen mitsamt komplexen Widersprüchen, rund um die eindrucksvoll inszenierte Hochzeit erstaunlich differenziert verhandelt, ohne dass der Film darüber an Tempo verlieren würde.
Die Schlusspointe fällt allerdings überraschend überraschungslos im Sinne des Aschenputtel-Stoffes aus, könnte aber durchaus auch als Respektsbekundung vor Rachels Mutter verstanden werden, zumal das bunte Treiben der Jeunesse dorée der Superreichen mit ihrem Sinn für Schmuck, Mode, Sportwagen, Pop- und Jazzmusik und Auslandsstudien heftig an der Tradition nagt.
Die Agenda von „Crazy Rich“ (im Original: „Crazy Rich Asians“) dürfte sich herumgesprochen haben. Der Film ist seit „Töchter des Himmels“
(fd 30 776) von Wayne Wang die erste Hollywood-Produktion mit einem All-Asian-Cast und sondiert Stoffe für asiatisch-stämmige Schauspieler, Regisseure und Drehbuchautoren. Der überraschende Kassenerfolg des Films hat die Erwartungen in den USA noch übertroffen. Auf einschlägigen Foren kann man von Zuschauern lesen, die an Stellen lachen konnten, deren Witz dem nicht-asiatischen Publikum verschlossen blieb. Dass der Film selbst mit der Figur der Rachel dem Publikum noch ein vermeintlich konventionelles Identifikationsangebot macht, um nicht mit der Ausstellung asiatischen Selbstbewusstseins durch materiellen Reichtum und kulturelle Tradition zu provozieren, scheint ein kluger Schachzug. Hierzulande, wo der entsprechende Claim durch die prolligen Geissens abgesteckt ist, scheint die Nachfrage allerdings überschaubar; der Film läuft weitgehend vor leeren Sälen.