„Ich drehe keinen Film“, beteuert der iranische Regisseur Jafar Panahi in „Drei Gesichter“ explizit und schließt damit an das Paradox von „This Is Not a Film“ an, den er 2011 gemeinsam mit Mojtaba Mirtahmasb drehte und angeblich in einem Geburtstagskuchen nach Cannes schmuggelte. Panahi, der seit 2010 im Iran unter Hausarrest steht und mit einem Berufsverbot belegt wurde, ist in „Drei Gesichter“ wie zuletzt in „Taxi Teheran“ (2015) mit dem Auto unterwegs – dieses Mal in Begleitung der Schauspielerin Behnaz Jafari. Erneut spielt Panahi sich selbst; auch Jafari tritt als Jafari auf.
Jafari ist eines der drei Gesichter, die drei Frauenfiguren unterschiedlichen Alters gelten – und drei sehr unterschiedlichen Entwürfen von Handlungsfreiheit. Mit dem ersten Gesicht, das in die Kamera des eigenen Handys gerichtet ist, eröffnet der Film. Ein junges Mädchen namens Marziyeh will unbedingt die Schauspielschule in Teheran besuchen und wendet sich in Form eines Smartphone-Videos verzweifelt an die bekannte Schauspielerin Jafari. Sie soll ihr helfen, ihre Familie, die sie lieber verheiratet sehen will, bei ihrem Vorhaben zu unterstützen.
Auf der Suche nach der Wahrheit
Der Monolog des Mädchens, der sich zu einem Suizid-Szenario steigert, endet abrupt. Jafari unterbricht daraufhin aufgewühlt die Dreharbeiten zu einem Film, um in Begleitung von Panahi das in einem entlegenen Dorf lebende Mädchen ausfindig zu machen oder etwas über ihren Verbleib, vielleicht auch über ihren Tod, zu erfahren. Die Schauspielerin ist allerdings misstrauisch. Hat Marziyeh ihren Selbstmord vielleicht nur inszeniert? Sie glaubt in dem Video einen Schnitt zu erkennen. Bald hat sie Panahi selbst in Verdacht. Arbeitete dieser nicht unlängst an einem Drehbuch, in dem es um Selbstmord ging und in dem sie für eine Rolle vorgesehen war?
Auf der langen Fahrt, die Panahi mit teils langen Einstellungen auf das von leuchtrotem Haar gerahmte Gesicht von Jafari filmt, werden die Großstädter immer wieder mit ländlichen Traditionen, religiösen Überzeugungen und selbst aufgestellten Regeln konfrontiert – etwa einem Hup-Code für enge Bergstraßen. Ein alter Mann, den sie nach dem Weg fragen, weist Panahi zurecht, der selbst aus dieser Gegend stammt: „Das behält man im Blut. Seine Heimat vergisst man nicht.“
Auf einem Friedhof treffen sie auf eine alte Frau, die in ihrem künftigen Grab zur Probe liegt und mit einer Lampe böse Schlangen zu vertreiben hofft. Ein Dorfbewohner erzählt Jafari obskure Vorhaut-Mythen. Manchmal werden Panahi und Jafari freudig erkannt. Es gibt aber auch Beschwerden, dass sich die Städter zu wenig für die Probleme der Menschen auf den Land interessieren – kein Wasser, kein Strom, kein Arzt weit und breit.
Panahi zieht sich auf die Rolle des Übersetzers zurück
Panahi bleibt oftmals lieber im Auto sitzen oder zieht sich auf die Rolle des Übersetzers zurück. Man hat das Gefühl, dass er in diese Sache nicht allzu stark involviert werden möchte. Jafari dagegen scheint immer mehr in die ländliche Realität einzutauchen. Ihre Fragen nach Marziyeh stoßen allerdings auf eine Mauer des Schweigens. Das Mädchen, das offensichtlich seit Tagen verschwunden ist, habe das Ansehen der Familie beschädigt, heißt es. Ihr älterer Bruder tobt wie ein Wilder; in ihm findet sich die patriarchale Kultur geradezu hysterisch verkörpert.
Das dritte Gesicht im Film zeigt sich nicht. Es gehört einer ehemaligen Schauspielerin und Sängerin, die verarmt ist und im Dorf sozial geächtet wird. Sie sei voller Wut auf Filmemacher im Allgemeinen, nicht nur auf die des Kinos vor der Revolution, bringt Jafari in Erfahrung – „die sind doch alle gleich“. Nur einmal sieht man sie durch einen Zaun beim Malen in der Natur, sehr weit weg und nur von hinten. Diese Einstellung strahlt etwas Friedvolles und gleichzeitig etwas seltsam Eigenes, fast Widerspenstiges aus – nicht nur an dieser Stelle zeigt sich, dass sich die drei Frauenfiguren für einfache Zuschreibungen kaum eignen.
Das widerständige Potential der Frauen im Iran
Im Vergleich zu dem quirligen, wortreichen Vorgänger „Taxi Teheran“ ist „Drei Gesichter“ deutlich in sich gekehrter. Während Panahi zuvor seine eigene Marginalisierung vor dem Hintergrund eines möglichst breiten Panoramas der politischen und gesellschaftlichen Äußerung im Iran thematisierte, nimmt er sich jetzt als Figur stark zurück. Sein Blick gilt vor allem den Eigengesetzlichkeiten des ländlichen Raums – und den widerständigen Potentialen der drei Frauen. In der Figur der jungen Marziyeh verbindet sich das mit der Macht der Bilder. Auch ihr Video ist schließlich ein Film – ein sehr wirkungsvoller zudem.