Auf der Suche nach Ingmar Bergman

Dokumentarfilm | Deutschland 2017 | 99 Minuten

Regie: Margarethe von Trotta

Die Filmemacherin Margarethe von Trotta wagt ausgehend von ihrer eigenen lebenslangen Bewunderung für den schwedischen Regisseur Ingmar Bergman eine dokumentarische Annäherung an dessen Leben und Werk. Ihre entspannten Gespräche mit Weggefährten, anderen Regisseuren und Filmexperten führen zu markanten wie überraschenden Bewertungen von Bergmans Arbeit, während der Blick auf seine Persönlichkeit zwiespältiger ausfällt. Der persönliche Zugang bedingt zwangsläufig viele Leerstellen, weshalb der formal eher konventionelle Film vor allem als Einladung funktioniert, eigene Zugänge zu Bergmans Filmen zu finden. - Ab 14.
Zur Filmkritik filmfriend

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2017
Produktionsfirma
C-Films/Mondex et Cie/CMG Cinema Management Group
Regie
Margarethe von Trotta · Felix Moeller
Buch
Margarethe von Trotta · Felix Moeller
Kamera
Börres Weiffenbach
Schnitt
Bettina Böhler
Länge
99 Minuten
Kinostart
12.07.2018
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Verleih DVD
Universum (16:9, 1.85:1, DD5.1 dt.)
DVD kaufen

Margarethe von Trotta widmet dem schwedischen Regisseur Ingmar Bergman eine persönliche Annäherung an Leben und Werk.

Diskussion

Alles beginnt an einem einsamen Steinstrand zwischen Felsenküste und Meer. Oben ein düsterer Himmel, unten ein Ritter, der aus dem Schlaf erwacht, vor ihm der leibhaftige Tod im schwarzen Umhang. Aus dem ikonischen Anfang von „Das siebente Siegel“ (fd 10 900), dem bildgewaltigsten Film von Ingmar Bergman, dürfte so manche Bergman-Faszination entsprungen sein. Auch bei Margarethe von Trotta war es das Mittelalter-Drama, das entscheidende Impulse gab, sich als Studentin in Paris Anfang der 1960er-Jahre in das Werk des schwedischen Regisseurs zu vertiefen und sich selbst für eine Kino-Karriere zu entscheiden. Fast 60 Jahre später wandelt die deutsche Filmemacherin ein weiteres Mal durch Paris, besucht die Felsen, von denen aus Bergman drehte, und begibt sich von dort aus auf die Spuren seines Lebens und Werks.

Margarethe von Trottas Dokumentarfilm „Auf der Suche nach Ingmar Bergman“ ist eine von mehreren filmischen Auseinandersetzungen mit dem 1918 geborenen schwedischen Regisseur hundert Jahre nach seiner Geburt. Von Trottas Ansatz ist zuallererst persönlich. Neben ihrer frühen Entdeckung und lebenslangen Bewunderung für Bergman führt sie ins Feld, dass diese Wertschätzung durchaus wechselseitig galt. Unter den elf Filmen, die Bergman 1994 als besondere Prägung für sein Schaffen aufzählte, befand sich neben Werken von Victor Sjöström, Akira Kurosawa, Federico Fellini und Andrej Tarkowski auch von Trottas Schwesterndrama „Die bleierne Zeit“ (fd 23 135).

Die symbiotischen Verweise zwischen den Werken der beiden Filmemacher beschränkt von Trotta allerdings auf wenige Ausschnitte, die ihre Gemeinsamkeiten eher erahnen lassen. Über weite Strecken nimmt sich die Regisseurin zurück und scheint ihre Aufgabe vor allem darin zu sehen, den von ihr befragten Weggefährten Bergmans, anderen Regisseure und Filmexperten aufmerksam zuzuhören und eine angenehme Gesprächsatmosphäre zu erzeugen. Formal ist das wenig spektakulär, doch von Trotta erweist sich als gute Vermittlerin. So wird manches Interview von ihr durch eine kurze, kluge Zwischenbemerkung in eine neue Richtung gedrängt.

Anders als die Schwedin Jane Magnusson, die in „Bergman – A Year in a Life“ (2018) ihrem Landsmann für seine Egozentrik und seine Haltung im Umgang mit Frauen posthum kräftig auf die Finger klopft, hat Margarethe von Trotta keine Abrechnung im Sinn. Sie betrachtet die in der Bergman-Rezeption immer wieder benannten Ängste und Selbstzweifel des Regisseurs und auch die traumatischen Folgen der harten Kindheit im strengen protestantischen Pfarrhaus voller Mitgefühl. Bergmans Entscheidung, nach den Querelen mit den schwedischen Steuerbehörden in den 1970er-Jahren das Land zu verlassen, kann sie mit Blick auf seine Furcht vor Demütigungen nachvollziehen. Trotzdem bleiben auch bei von Trotta kritische Anmerkungen zur Persönlichkeit Ingmar Bergmans nicht aus: Vor allem sein Sohn Daniel Bergman, ebenfalls Regisseur, steuert einiges zu einem schwierigen, selbstbezogenen Mann bei, der sich von Frauen trennte, sobald er ihrer überdrüssig war, und zu seinen Kindern ein distanziertes Verhältnis hatte, während er im Alter in Selbstmitleid zerfloss, weil er seine Schauspieler vermisste. Menschliche Defizite, die auch Margarethe von Trotta einräumen muss: „Er war seiner eigenen Kindheit näher als seinen Kindern.“

Bergmans künstlerische Wegbegleiter sind, wo sie zu Wort kommen, deutlich positiver gestimmt. Liv Ullmann nennt ihn noch immer die große Liebe ihres Lebens, Gunnel Lindblom und die Produzentin Katinka Faragó, die bei Bergman als Script-Girl anfing, sind voll des professionellen Lobes. Allerdings fehlen auch Stimmen, die man erwartet hätte: Weder kommt Max von Sydow zu Wort, noch Harriet Andersson oder Bibi Andersson. Dass US-amerikanische Bewunderer wie Woody Allen, Martin Scorsese und Paul Schrader außen vor bleiben, mag als Entscheidung noch konsequent sein, doch auch bei den von Bergman beeinflussten europäischen Filmschaffenden weist der Film Leerstellen auf, etwa Pedro Almodóvar und François Ozon.

Das darf man vor allem deshalb bedauern, weil „Auf der Suche nach Ingmar Bergman“ dort am stärksten ist, wo Bergmans Einfluss (und dessen Grenzen) auf das Kino von seiner Zeit bis heute beschrieben wird. Olivier Assayas und Mia Hansen-Løve benennen das sehr präzise für den französischen Film, Ruben Östlund skizziert die seit den 1960er-Jahren bestehende Zweiteilung der schwedischen Filmlehre in zwei Lager, eines in der Tradition von Bergman und eines, das sich dem Realismus von Bo Widerberg verpflichtet fühlt. Auch über Bergmans deutsche Phase Ende der 1970er-/Anfang der 1980er-Jahre ist von früheren Mitarbeitern viel Interessantes zu erfahren.

Ein Verdienst ist es in jedem Fall, dass der Film zeigt, wie sich Ingmar Bergman noch immer jeder verkürzten Analyse entzieht und weiterhin große Faszinationskraft besitzt. Dass mancher im Zusammenhang mit seinem Werk und Leben zentrale Aspekt bei von Trotta zu kurz kommt oder ganz fehlt, kann man ihr kaum vorwerfen; die Komplexität dieses Regisseurs muss den Rahmen jeder dokumentarischen Annäherung nahezu zwangsläufig sprengen.

Der Film hätte auch mehr darauf eingehen dürfen, wie es mit einem etwaigen Einfluss Ingmar Bergmans auf das künftige Kino bestellt sein könnte. Dass Margarethe von Trotta das machtvolle Bild eines am Strand über ihr schwebenden Monolithen beschwört, ist immerhin eine Einladung: es ihr gleichzutun und ausgehend von „Das siebente Siegel“ eine eigene filmische Reise in die Welt von Ingmar Bergman zu beginnen.

Kommentar verfassen

Kommentieren