Episodisches Drama aus Bulgarien, das dem gesellschaftlichen Nachhall der Ermordung eines Bankers durch einen verzweifelten Taxifahrer nachspürt. Während im Radio eine hitzige Debatte über die Tat entbrennt, entfaltet der Film fünf beispielhafte Konflikte, die jeweils in einer ungeschnittenen Sequenz im Inneren eines Taxis spielen. Sie beleuchten schlaglichtartig die Zerrissenheit der postkommunistischen bulgarischen Gesellschaft zwischen Indifferenz, Arroganz und der Wut der wirtschaftlichen Verlierer. Inszenatorisch überzeugt das düstere Szenario eines Landes im Strudel zwischen Krise und Korruption vor allem durch den realistischen Duktus von Schauspielern und Kamera.
- Ab 16.
Directions - Geschichten einer Nacht
Drama | Bulgarien/Deutschland/Mazedonien 2017 | 103 Minuten
Regie: Stephan Komandarev
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Filmdaten
- Originaltitel
- POSOKI
- Produktionsland
- Bulgarien/Deutschland/Mazedonien
- Produktionsjahr
- 2017
- Produktionsfirma
- Argo Film/Aktis Film/Sektor Film
- Regie
- Stephan Komandarev
- Buch
- Stephan Komandarev · Simeon Ventsislavov
- Kamera
- Vesselin Hristov
- Schnitt
- Nina Altaparmakova
- Darsteller
- Anna Komandareva (Nikol) · Vasil Vasilev-Zuek (Misho) · Ivan Barnev (Vlado) · Borislava Stratieva (Lora) · Georgi Kadurin (Popov)
- Länge
- 103 Minuten
- Kinostart
- 10.05.2018
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Drama | Episodenfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Düsteres episodisches Drama aus Bulgarien, in dem sich in Taxis fünf beispielhafte Konflikte entfalten.
Diskussion
Ein gelbes Taxi fährt durch die Straßen der bulgarischen Hauptstadt. Misho bringt seine Tochter zur Schule. Er ist angespannt. Hinter ihm liegt ein heftiger Streit mit dem Gerichtsvollzieher, der im Hof von Mishos kleiner Kabelfirma darauf wartet, die Maschinen und andere Gegenstände zu pfänden; vor Misho liegt ein Gespräch mit seinem Anlageberater bei der Bank. Misho ist Taxifahrer aus Not, seine Firma ist pleite. Er hätte die Chance, eine EU-Förderung zu bekommen, braucht dafür jedoch den Kredit einer bulgarischen Bank.
Es wird kein guter Tag für Misho. Denn der Anlageberater verlangt das Doppelte des vereinbarten Bestechungsgelds: „In diesem Lande sind wir Gott!“, sagt er und droht mit der Vernichtung der Firma und seiner ganzen Familie. Von Panik überwältigt holt Misho die Pistole aus dem Handschuhfach des Autos und schießt den korrupten Angestellten nieder. Wenig später erschießt er sich selbst.
Hier könnte der Film als in sich geschlossener und schlüssiger Kurzfilm enden. Doch für Regisseur Stephan Komandarev ist dies lediglich der Auftakt, da er davon erzählen will, welchen Nachhall das scheinbare Einzelschicksal bei anderen hat.
Die Ermordung eines 50-jährigen Bankers durch einen verzweifelten Taxifahrer erregt die Gemüter und führt zu einer hitzigen Debatte in einer nächtlichen Radiosendung. Geschildert wird das aus der Sicht von vier Taxifahrern und einer Taxifahrerin, die nachts während ihrer Touren die Sendung hören. Jeder von ihnen kämpft mit einem speziellen Schicksal; jede Taxifahrt schildert eine Episode, gefilmt in einer ungeschnittenen Einstellung.
Da ist der Herzchirurg, der zu seiner letzten Operation unterwegs ist, da er am nächsten Tag Bulgarien verlassen und in einer deutschen Klinik neu beginnen will. Da ist der arrogante Geschäftsmann, in dem die Taxifahrerin den Mann wiedererkennt, der vor 30 Jahren ihr Leben und ihre Karriere zerstörte. Jetzt schwimmt er wieder ganz oben, aber sie wird sich rächen. Da ist der alte Mann, der jüngst seinen einzigen Sohn verloren hat und jetzt das höhnende Gelächter der Fahrgäste ertragen muss; ein junger Taxifahrer, der einen verarmten Philosophielehrer vom Sprung in die Tiefe abzuhalten versucht, der geizige Gerichtsvollzieher, der seinen Fahrer mit einem Pflasterstein bewusstlos schlägt, sowie ein orthodoxer Priester, der nachts Taxi fährt, um seine Familie zu ernähren, aber niemand findet, der noch an Gott glauben will.
Diese Episoden beleuchten schlaglichtartig die Zerrissenheit der bulgarischen Gesellschaft, sie schildern Indifferenz und Arroganz und vor allem die Wut jener, die zu den Verlierern des wirtschaftlichen Transformationsprozesses zählen, gegen sich selbst und gegen andere.
Für Regisseur Stephan Komandarev ist der Film eine „ehrliche Bestandsaufnahme“ einer gestörten Gesellschaft. Er schildert die nächtlichen Episoden vor dem Hintergrund einer ständig präsenten „vox populi“, den teils verwirrten, teils aggressiven und zornigen Kommentaren der Radiohörer. Inszenatorisch überzeugt dabei vor allem der realistische Duktus der Schauspieler und der Kamera, die in langen Plansequenzen immer dicht bei den Protagonisten bleibt.
Auch wenn Komandarev sich an die Struktur von Filmen wie Robert Altmans „Short Cuts“ (fd 30 588) oder Alejandro González Iñárritus „Babel“ (fd 37 924) anlehnt, erinnert die Inszenierung eher an Jim Jarmuschs „Night on Earth“ (fd 29 256) oder mit Blick auf die zerfallende Gesellschaft an Martin Scorseses „Taxi Driver“ (fd 19 983), in dem die frustrierende Suche nach Gerechtigkeit auch in Selbstjustiz mündete. Im Gegensatz zu Scorseses Figuren sind Komandarevs Protagonisten aber Opfer sozialer Verhältnisse und wirtschaftlicher Umschichtungen, mithin Teil eines kollektiven Schicksals.
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