Damit Horrorfilme Angst und Schrecken verbreiten, braucht es immer wieder neue, furchtbarere Manifestationen des Bösen und drastischere Schocks – vermeintlich! Tatsächlich kommt es für die Wirkmächtigkeit des Horrors nicht nur darauf an, uns vor jemandem oder etwas Angst zu machen, sondern vielleicht noch mehr darauf, uns um jemanden bangen zu lassen. Eine der wichtigsten Ressourcen des Genres, dem oft Sadismus unterstellt wird, ist nämlich gerade unsere Empathie, unsere Bereitschaft, uns in jemanden hineinzuversetzen, Leiden mitzuempfinden.
Die besten Filme des Genres beherzigen das und sind denn auch diejenigen, die gut altern und deren Schrecken sich nicht abschleift, wenn die Tabu-Grenzen des Genres wieder einmal weiter sinken. Man denke etwa an Roman Polanskis „Rosemaries Baby“ (fd 15 794), dessen Teufels-Fabel so gut funktioniert, weil die zarte, verletzbare Mia Farrow als unwiderstehlicher Anker für die Anteilnahme des Publikums fungiert.
„Hereditary“ von Ari Aster erinnert ein wenig an dieses Genre-Meisterwerk, weil auch hier das Thema Muttersein eine zentrale Rolle spielt und eine Mutterfigur im Zentrum steht; andererseits aber auch, weil die Raumpoetik hier ebenso einen nicht unwesentlichen Anteil am Schauder trägt.
Annie Graham (Toni Collette), die mit ihrem Mann, ihrem Sohn und ihrer Tochter in einem abgeschiedenen Haus lebt, ist Miniatur-Künstlerin. Sie baut in ihrer Werkstatt detailverliebte Modelle von Häusern, Zimmern, Straßen und bevölkert sie mit winzigen Requisiten und Puppen. In der Eingangssequenz bewegt sich die Kamera auf ein solches Miniaturhaus zu, hinein – und überblendet von der Puppenstube ins Schlafzimmer von Annies Teenager-Sohn Peter (Alex Wolff): Eine formale Spielerei, die auch an späteren Stellen des Films wieder aufblitzt, wenn das einsam gelegene Heim der Familie Graham plötzlich ins Modellhafte changiert – als atmosphärische Verunsicherung, die zugleich ein zentrales Motiv des Films variiert: Indem die Figuren dezent den Status von Puppen bekommen, stellt sich automatisch die Frage, wer – oder was – denn mit ihnen spielt, wer oder was die Körper beseelt.
Gleich zu Beginn erfährt man, dass Annie und ihre Familie gerade einen Verlust verschmerzen mussten: Annies Mutter ist verstorben. Zu der hatte die Künstlerin zwar ein eher distanziertes, belastetes Verhältnis, trotzdem trifft sie der Tod so, dass sie Unterstützung in einer Selbsthilfegruppe sucht. Während sie sich dort den familiären Ballast von der Seele zu reden versucht, zeigt sich immer mehr, dass die Vergangenheit keineswegs tot und begraben ist. Im Haushalt der Grahams, vor allem mit der in sich gekehrten, seltsamen Tochter Charlie, stimmt etwas nicht; und dass Annie die Präsenz ihrer toten Mutter zu fühlen meint, ist dabei nur der Anfang.
Als dann ein grauenhafter, bizarrer Unfall passiert, eskaliert die Situation zusehends. Das ohnehin schon angespannte Verhältnis der Mutter zu ihrem Sohn verschlechtert sich rapide, die familiären Bande verlieren ihre Tragfähigkeit – gerade, als die Grahams sie angesichts des Grauens, das sie erfahren, am meisten brauchen.
Es ist keine typische US-amerikanische Filmfamilie, die Aster, der auch das Drehbuch geschrieben hat, da präsentiert; dafür sind die Figuren zu spröde, die Kinder zu wenig niedlich, die Beziehungen untereinander zu komplex – was sie umso glaubwürdiger und eindringlicher macht. Vor allem Toni Collette liefert eine geradezu markerschütternde Performance ab und zeichnet eine Mutterfigur, die man so schnell nicht vergessen wird: eine Frau, deren Liebe zu ihrer Familie vermischt ist mit einem wahren Mahlstrom widersprüchlicher Gefühle und den Blessuren, die sie noch aus ihrer eigenen Kindheit und Jugend mit sich herumschleppt.
„Hereditary“ heißt „erblich“. Was für ein Erbe es ist, das nach dem Tod der Großmutter an die Grahams übergeht und die Familie langsam von innen zersetzt, lässt der Film lange offen und hält sich mit der Eskalation des Übernatürlichen fast bis zum Ende zurück; der Schrecken entfaltet sich langsam, aber unerbittlich und zeigt sich nicht zuletzt in den emotionalen Kollateralschäden, die er in der kleinen Familie anrichtet. Ein Gespräch am Abendbrottisch, bei dem auf einmal latente Gefühle an die Oberfläche dringen, ist kaum weniger furchtbar als das explizit blutige Geschehen, das ihm zugrunde liegt.
Wenn die Inszenierung dann doch die Karten auf den Tisch legt und das Unheil konkretere Gestalt annehmen lässt, wirkt das, wie so oft in Horrorfilmen, fast etwas enttäuschend. Bis dahin ist man Annie und den übrigen Grahams jedoch längst viel zu nah gekommen, um nicht trotzdem gepackt zu sein.