Neun Jahre nach dem Tod seines Lehrers erhält Lama Norbu in einem Kloster in Bhutan die Nachricht, daß wahrscheinlich die Wiedergeburt seines verehrten Meisters auf Erden wandelt, und zwar in Seattle, USA, in der Gestalt des achtjährigen Jesse. Flugs wird eine Delegation zusammengestellt, und die amerikanische Familie Konrad staunt nicht schlecht, als plötzlich buddhistische Mönche vorstellig werden und unumwunden ihr Anliegen vortragen. Man will den kleinen Jesse im fernen Bhutan Prüfungen unterziehen, um Gewißheit zu haben. Alles weitere, d.h. ob der Junge zum buddhistischen Mönch ausgebildet wird, liegt im Ermessen der Eltern. Diese zögern zunächst - wer glaubt in Seattle schon an Reinkarnation -, doch auf eine übernatürliche Art fühlt Jesse sich zu der fremden Religion und ihren ruhigen, heiteren Mönchen hingezogen. Während die Mutter ein wenig mit dem Gedanken kokettiert, einen zukünftigen Lama geboren zu haben, bleibt der Vater skeptisch; er fürchtet, sein Sohn würde der Familie entfremdet. Den Buddhisten gelingt es, ihn umzustimmen, und Dean kann seine Frau, die mittlerweile eine ablehnendere Haltung eingenommen hat, überzeugen, daß die Prüfung in Bhutan das Beste für Jesse wäre.Vater und Sohn fliegen in den fernen Himalaya, doch bevor sie das Kloster erreichen, müssen noch zwei Mitkandidaten der Wiedergeburt eingesammelt werden: ein vorwitziger Straßenjunge und ein affektiertes Mädchen. In einer Vision erleben die drei Kinder die Erleuchtung Siddhartas, der meditierend unter einem Baum sitzt und dem Fürsten der Finsternis trotzt; dann naht der große Tag der Prüfung. Alle drei bestehen den Test, der sich im nachhinein als sehr minimalistisch herausstellt, und treten in die Klostergemeinschaft ein. Lama Norbu ist am Ende seines Weges angelangt und meditiert sich in einen friedlichen Tod hinein; seine Asche wird später von den drei Lama-Eleven in alle Winde zerstreut werden.Bemardo Bertolucci, seit seinem Film "Der letzte Kaiser"
(fd 26 488) Asienerfahren, hat auch diesmal weder Mühen noch Kosten gescheut, um seinen "Little Buddha" auf die Leinwand zu bannen. Das Ergebnis ist ein opulent ausgestatteter Monumentalfilm, der alles aufweist, was man von dieser Gattung erwarten kann: exotische Schauplätze (Bhutan, Katmandu) und häufige Schauplatzwechsel, ein Heer von Komparsen, eine Reihe von Spezialeffekten - die allerdings ein wenig veraltet ausschauen, so als hätte man daran gespart - und eine grell-bunte Geschichte in der Geschichte, deren Inszenierungsstil nicht von ungefähr an triviale indische Filmopern erinnert.Erzählt wird die Geschichte des Prinzen Siddharta, der zunächst vom wirklichen Leben abgeschottet aufwächst, sein bisheriges Leben jedoch hinter sich läßt, als er vom Leid der Menschen erfährt, und auszieht, um Erlösung und Erleuchtung zu suchen. Nach Jahren der Entbehrung, einigen Irrwegen und vielen Enttäuschungen gelangt er an sein Ziel. Bertolucci erzählt diese Geschichte, die immer wieder die linear entwickelte Handlung des Films unterbricht, volkstümlich und naiv und folgt dabei dem Bilderbuch, das die Mönche dem kleinen Jesse als Geschenk und Anreiz überreichen. Doch was schauprächtig und erhaben wirken soll, wirkt nur schwülstig und kitschig; der amerikanische Schauspieler Keanu Reeves, der für die Rolle des indischen Prinzen Siddharta verpflichtet wurde, kann dem Zuschauer nur leid tun, wenn er ausgezehrt als asketischer Bettelmönch durch die Szenerie wandelt. Aber er ist nicht die einzige unglaubwürdige Person des überlangen Films. JessesEltern werden nicht als glaubwürdige Charaktere eingeführt und aufgebaut, sondern bleiben schlicht und naiv und thematisieren nie, was mit ihrem Sohn passieren könnte, den sie ja schließlich einer lebenslangen Infiltration aussetzen. Auch in der Auswahl seiner Filmkinder hatte Bertolucci keine glückliche Hand. Was da als Reinkarnation des verstorbenen Lamas und damit als Identifikationsfigur für die Zuschauer angeboten wird, gibt sich dermaßen arrogant bzw. unausgesetzt quirlig, daß einem bald das Hinschauen verleidet wird.Nur die Mönche sind glaubwürdig gezeichnet: in sich ruhend und erhaben, mit beiden Beinen im Leben stehend und dennoch ein wenig entrückt. Diese Sympathieverteilung kommt gewiß nicht von ungefähr. Man ist geneigt, Bertolucci, der seit Jahren dem Buddhismus anhängt, Missionierungsabsichten zu unterstellen; auch die Einbeziehung seines Lehrers Dzongsar Khyentse Rinpoche als technischen Berater (den Buddhismus betreffend) legt diese Vermutung nahe. Schon die Farbdramaturgie spricht Bände: Amerika ist blau und kalt, während Asien in Farben schwelgt; nur am Ende, wenn beide Welten sich angenähert haben, strahlt auch Seattle ein wenig Wärme aus. Dem sachlichen westlichen Leben ohne spirituelle Tiefe wird der farbenprächtige und zu Prunk neigende Buddhismus tibetanischer Ausprägung gegenübergestellt, und er wird als Buddhismus überhaupt ausgegeben. Das macht insofern Sinn, weil der tibetanische Buddhismus zu den expandierenden Religionen gehört, die weltweite Missionierung betreiben, und er kommt den Menschen im Westen nahe, die Spiritualität und Lebenssinn suchen, aber nicht auf die Institutionalisierungen des eigenen Kulturkreises verzichten wollen: Prunk, Feierlichkeit - etwas fürs Auge. Kargere, asketischere und strengere Formen des Buddhismus - wie etwa Zen, bei dem Strenge gegen sich selbst oberstes Gebot ist - hätten gewiß nicht in Bertoluccis Konzept gepaßt.So ist "Little Buddha" nicht nur filmisch eine Enttäuschung, sondern inhaltlich sogar ein gewisses Ärgernis, weil man schon erkennt, daß der Film ein Mittel der Manipulation ist. Enttäuschend aber vor allem, weil der Film von einem Mann kommt, der wunderbare politische Epen geschaffen hat ("Der Konformist", "1900"), die sich auch analytisch mit der Vergangenheit und ihren Auswirkungen auf die Gegenwart in Bertoluccis Heimat auseinandersetzten. Doch der Regisseur scheint zumindest seine politische Heimat verloren und sich einer Ersatz-Religion zugewandt zu haben. Darunter hatte sein letzter Film zu leiden und mit ihm der Zuschauer, der sich einer argen Strapaze aussetzen muß.