Tragikomödie | Polen 2018 | 92 Minuten

Regie: Malgorzata Szumowska

Ein junger polnischer Heavy-Metal-Fan, der in seinem Dorf als Außenseiter verschrien ist, stürzt beim Bau einer überdimensionalen Christusstatue in die Tiefe, weshalb er auf eine Gesichtstransplantation angewiesen ist. Nach seiner Genesung wird er zuhause wie ein Fremder begafft und noch mehr angefeindet. Mit unbarmherzigem Realismus enthüllt das ins Groteske ausgreifende Drama die Wurzeln dieser Feindseligkeit in der Verrohung sozialer Beziehungen und dem Fortwirken einer fremdenfeindlichen Historie. Der nahezu dokumentarische Gestus vieler Szenen wird mitunter durch ausgelassene, geradezu fantastische Szenen aufgebrochen, in denen sich überbordendes Pathos mit prägnanten Beobachtungen zur allegorischen Kritik der aktuellen polnischen Gesellschaft verbindet. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
TWARZ
Produktionsland
Polen
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
Nowhere/National Film Archive/TVN/Krakow Festival Office/Kino Świat/Pyramid Film/DI Factory/Platige Films/Dreamsound/Leśnodorski Ślusarek
Regie
Malgorzata Szumowska
Buch
Malgorzata Szumowska · Michal Englert
Kamera
Michal Englert
Musik
Adam Walicki
Schnitt
Jacek Drosio
Darsteller
Mateusz Kosciukiewicz (Jacek) · Agnieszka Podsiadlik (Jaceks Schwester) · Malgorzata Gorol (Dagmara) · Anna Tomaszewska (Jaceks Mutter) · Dariusz Chojnacki (Jaceks Bruder)
Länge
92 Minuten
Kinostart
14.03.2019
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Tragikomödie
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Heimkino

Verleih DVD
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Diskussion

Ein nach einem schweren Unfall durch eine Gesichtstransplantation wiederhergestellter Heavy-Metal-Fan wird in seinem polnischen Dorf wie ein Aussätziger begafft und ausgeschlossen. Ein ins Groteske ausgreifendes Drama als allegorische Kritik der polnischen Gesellschaft.

Eine Menschenhorde stürmt in den Weihnachtsschlussverkauf, kaum dass die Ladentüren geöffnet sind. Doch um das begehrte Angebot in Anspruch nehmen zu können, muss sich jeder am Eingang entblößen. Die polnische Regisseurin Malgorzata Szumowska lässt während dieser surreal-grandiosen Eröffnungssequenz Körper in Unterwäsche aufeinanderprallen, deren Vielgestaltigkeit ein Panorama der polnischen Gesellschaft entwirft. Ob alt oder jung, füllig oder mager, männlich oder weiblich: Jeder Körper offenbart im Fokus der Kamera etwas von seiner gesellschaftlichen Genese und damit einer sozialen Gewalt, die Szumowska in all ihren Filmen bislang in den Blick genommen hat.

„Im Namen des…“ enthüllte, wie sich das sexuelle Begehren auch gegen die Normen und Lebensimperative der Kirche einen Weg bahnt, in „Body“ suchte eine Magersüchtige in einer psychiatrischen Klinik nach spiritueller Fülle, um ihre Trauer verarbeiten zu können. In „Die Maske“ aber geht Szumowska über das Porträt einer konkreten Fallgeschichte hinaus und entwirft eine allegorische Kritik der polnischen Gesellschaft, die sich hinter autoritären Strukturen und Fremdenfeindlichkeit verschanzt.

Auch der junge Querkopf Jacek (Mateusz Kościukiewicz) hat im Schlussverkauf einen Breitwandfernseher ergattert und transportiert ihn auf dem Dach seines kleinen Autos in die entlegene Provinz, aus der er schon lange zu entfliehen versucht. Mit seinen schulterlangen Haaren, der abgeschnittenen Jeans-Weste und einem großen „Metallica“-Aufnäher löst er in seinem Dorf noch immer besorgte Blicke und hektische Bekreuzigungen inklusive Satanismus-Verdacht aus. Was Jacek in den Augen seiner Mitmenschen etwas rehabilitiert, ist seine Mitarbeit an einem ganz besonderen Gemeindeprojekt: Dem Bau der weltgrößten Jesus-Statue der Welt, größer noch als das Exemplar in Rio de Janeiro.

Ein folgenschwerer Unfall

Doch ausgerechnet dort kommt es zu einem folgenschweren Unfall. Jacek stürzt in die Tiefe und zerstört sich dabei sein Gesicht, das in einer bislang beispiellosen Transplantation unter Verwendung von Haut und Knochen eines Verstorbenen von Ärzten wiederhergestellt werden kann. Neben einem Sprachfehler bleibt eine Unähnlichkeit zu seinem früheren Aussehen zurück, die von den Dorfbewohnern als Entstellung erfahren wird und zu seiner Ausgrenzung führt.

Diese Zurückweisung beginnt schon in der eigenen Familie, wenn ihn seine Mutter nicht mehr in die Arme schließen will und stattdessen den Pfarrer um Beistand für einen Exorzismus bittet. Doch selbst die weniger drastischen Reaktionen auf Jaceks neues Gesicht sind von einer tiefen Aversion durchdrungen, die bisweilen aber auch Momente der Faszination miteinschließt. Etwa wenn Jacek vor der weißen Kirche von Dörflern umringt wird, die mit ihren Handys Fotos machen, bis die Menschentraube ihn zu verschlucken scheint.

Unweigerlich kommt dabei die Szene aus Claude Lanzmanns Shoah in den Sinn, in welcher der jüdische Überlebende Simon Srebnik in die polnische Stadt Chelmno zurückkehrt, um vor der Dorfkirche, die einst als Lager gedient hat, erneut als Fremder begafft und schließlich ausgegrenzt zu werden. Szumowska findet viele solcher Szenen, in denen sich die aktuellen Anfeindungen gegen Einwanderer oder Sinti und Roma mit denen aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges zu einer Kontinuität verbinden.

Der Hund zerfetzt den Schweineschädel

Mit einem unbarmherzigen Realismus, der immer wieder ins Grotesk-Komische kippt, zeigt sie aber auch, wie diese Feindseligkeit von einer Verrohung der sozialen Beziehungen herrührt. So sieht man einmal, wie Kinder mit einem abgeschlagenen Schweinskopf Fußball spielen, bis ihr Hund den Schädel zerfetzt. Dies steht in einem denkwürdigen Kontrast zur Szene, in der ein Kran der Christus-Statue schließlich das gekrönte Haupt aufsetzt – versehentlich aber verkehrt herum, so dass die Statue in die falsche Richtung blickt.

Unter der behaupteten Frömmigkeit, die eigentlich nur Konformität meint, liegen allzu menschliche Triebrealitäten, die Szumowska mit grimmigem Humor auf den Punkt zu bringen versteht – Michael Haneke nicht ganz unähnlich. Allerdings durchbricht sie die fast dokumentarischen Szenen immer wieder mit ausgelassenen, beinahe fantastischen Momenten, um affektive und satirische Zuspitzungen zu erzeugen. Wenn Jacek mit seiner Freundin auf einem Pferd in den Sonnenuntergang reitet und dazu der trashige Italo-Electro-Hit „L’amour toujours“ von Gigi D’Agostino erklingt, was in eine typisch osteuropäische Disco-Szenerie übergeht, dann ist das ebenso überbordender Pathos wie prägnantes Gesellschaftsporträt.

Ein von schwarzem Humor durchsetzter Blick

Es ist die Präzision, mit der Szumowska ihre Akteure nicht nur anleitet, sondern auch durch Kostüm und Ausstattung so ins Bild setzt, dass sich ihre Lebensrealität transportiert. Unterstützt von Kameramann Michał Englert, der immer wieder mit starken Unschärfen an den Bildrändern arbeitet, entsteht eine intensive Atmosphäre, die auf die Erfahrungen der Figuren fokussiert, aber auch ein innovativer, von schwarzem Humor durchsetzter Blick auf eine Gesellschaft der Intoleranz und die problematische Konstruktion von Identität.

Gänzlich fiktiv ist „Die Maske“ tatsächlich nicht: Die 36 Meter hohe Christus-König-Statue, die 2010 in der Kreisstadt Świebodzin gebaut wurde, sorgt auch in Polen bis heute für Kontroversen.

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