Stalin herrscht im Winter 1952 zwar noch immer mit eiserner Hand über die Sowjetunion, doch der Diktator ist alt geworden. Noch wagt keiner über seinen Tod hinauszudenken, aber der Kampf um die Macht hat schon begonnen.
Mit „The Death of Stalin“ setzt der schottische Regisseur Armando Iannucci zu einer schaurigen Komödie über politische Macht und staatlichen Terror an, bei dem hinter dem Witz immer der Schrecken verborgen ist. Im Zentrum steht der engste Zirkel um den Diktator, die mächtigsten Männer des Riesenreichs, die sich in alkoholisierten Männerrunden mit jungenhafter Kameraderie und zotigen Witzen bei Stalin anbiedern: Geheimdienstchef Lawrenti Beria, ZK-Sekretär Nikita Chruschtschow, Außenminister Wjatscheslaw Molotow, der Außenhandelsminister Anastas Mikojan und Generalsekretär Georgi Malenkow, Stalins eifriger Zögling.
Noch ist der Einfluss des fast 75-Jährigen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens zu spüren. Nach einem Philharmonie-Konzert klingelt im Studio von Radio Moskau das Telefon: Es ist der 2. März 1953. Stalin selbst ruft an und will die Tonaufnahme haben. Der verantwortliche Hörfunkredakteur gerät in Panik, denn das Konzert wurde gar nicht aufgezeichnet. Publikum und Musiker müssen zurück in den Saal, das Konzert wird für die Tonaufnahme wiederholt. Aber der Herrscher über die Sowjetunion hat nicht mehr viel Freude an der Musik. Im herrschaftlichen Arbeitszimmer auf dem Lande erleidet er einen Schlaganfall. In seinem servilen Umfeld breitet sich hektischer Aktivismus aus; keiner traut sich den Alten anzurühren, der auf dem Teppich in seiner eigenen Urinlache liegt. Ratlosigkeit und Misstrauen lähmen die Anwesenden; neben den politischen Erben stehen die leiblichen Kinder des Diktators und der in Ungnade gefallene Held von Berlin – General Georgi Schukow.
Mit schwarzem Humor und bittersüßen Dialogen entfaltet Iannucci den Kampf um die Macht in den Tagen zwischen Tod und Begräbnis: Stalins Henker, der allmächtige Geheimdienstchef Beria, wird plötzlich menschlich und holt vermeintliche Tote aus dem Lager zurück, etwa Molotows jüdische Ehefrau. Doch sein Kampf um die Macht wird immer mehr ein Kampf ums Überleben. Während Malenkow noch an seine eigene Zukunft als Nachfolger von Stalin glaubt, hat Chruschtschow längst einen Plan zur Auslöschung des verhassten Geheimdienstchefs ausgearbeitet.
Während die blutigen Machtkämpfe im Zentralkomitee auf eine Entscheidung hinauslaufen, hat der Film für die Opfer des Regimes kaum Aufmerksamkeit übrig. Eine der wenigen Ausnahmen ist die Pianistin Marija Yudina, die nicht für Stalin spielen will, weil der ihre ganze Familie auf dem Gewissen hat. Im Mikrokosmus zynischer Machtgier ist es schwer, die Opfer mit ihm Blick zu behalten; der Film bleibt dem stalinistischen Terror gegenüber wenig empathisch, zumal die Protagonisten unentwegt über die Opfer der stalinistischen Willkür spotten.
„The Death of Stalin“ ist eine Satire über die Dekadenz und die Brutalität der Macht, ein Palastdrama mit sehr britischem Humor. Es ist insbesondere auch ein beeindruckender Ensemblefilm mit hervorragenden Schauspielern, etwa Steve Buscemi als Nikita Chruschtschow, Simon Russell Beale als Beria und Jeffrey Tambor als Malenkow. Sie verkörpern die grotesken Hauptfiguren distanziert mit humorvollem Zynismus und tragikomischen Eitelkeiten. Dieser Grundton von „The Death of Stalin“ ist allerdings schon in der Vorlage angelegt, der Graphic Novel „The Death of Stalin“ und deren Fortsetzung „The Funeral“ von Fabien Nury und Thierry Robin.
In seiner Mischung aus Schrecken, Grausamkeit und Dialogwitz erinnert der Film an Terry Gilliams „Brazil“
(fd 25 074), fällt allerdings weitaus weniger poetisch aus; auch an Ernst Lubitschs „Sein oder Nichtsein“ (fd 9062) muss man denken, wenngleich hier die Regimegegner als Hoffnungs- und Handlungsträger fehlen. Die Inszenierung lässt keine Hoffnung aufkommen: Die neue Zeit kündigt sich mit der gleichen Brutalität wie die vorherige Schreckensherrschaft an. Stalins Datscha wird mit aseptischer Gründlichkeit leer geräumt; alle Requisiten des Personenkults wandern auf den Müll oder in die Reliquienkammer. Die Vergangenheit wird entrümpelt und weggesperrt, aber nicht bewältigt.
Die russische Regierung hat „The Death of Stalin“ übrigens Ende Januar verboten; in der Begründung heißt es, dass es sich um eine gezielte Provokation handle, die Unfrieden in die russische Gesellschaft trage. Kann sich eine politische Komödie eine höhere Auszeichnung wünschen?