Es ist noch längst nicht alles erreicht. Trotz der „Ehe für alle“ müsste man schon in einer sehr hermetischen, liberal-emanzipatorischen Blase leben, um zu glauben, dass es in Deutschland keine Homophobie mehr gibt. Zwischen dem berüchtigten Paragraphen §175 StGB und den reformierten Bestimmungen des Paragraphen §1353 BGB hat sich enorm viel getan. Sonst wäre ein Film wie Chris Mieras „Ein Weg“ gar nicht denkbar. Und das nicht deshalb, weil das Drama provokativ an Tabus rütteln würde, sondern weil es ganz im Gegenteil so unaufgeregt und selbstverständlich von der Beziehung zwischen zwei Männern erzählt, dass das Geschlecht für die Geschichte kaum eine Rolle spielt.
Damit ist über den Film schon viel gesagt. Denn er bewegt sich exakt in einer jener eingangs erwähnten Blasen, die in diesem Fall allerdings bewusst konzipiert ist. Miera und sein Drehbuchautor Philipp Österle konzentrieren sich in ihrer Abschlussarbeit an der Filmhochschule Babelsberg Konrad Wolf ganz auf die Szenen einer Beziehung. Die daraus resultiere kammerspielartige Atmosphäre tut dem Werk gut. In den feinen Zwischentönen und den emotionalen Nuancen entwickelt sich eine große Intensität und Lebendigkeit. Mit dramaturgischen Pegelausschlägen hält sich die Inszenierung hingegen zurück. Es ist eine Geschichte wie von nebenan, die wechselweise in einer zeitlos-behaglichen Kleinstadt und an einer herbstlichen Ostseeküste spielt, wo Andreas und Martin regelmäßig Urlaub machen.
Die Stadt könnte statt in Thüringen auch im Schwarzwald liegen. Es sind zumeist menschenleere Symbollandschaften, die eine sozial weitgehend austauschbare Kulisse für die zwischenmenschlichen Erkundungen liefern. Die ostdeutsche Realität wirft lediglich in Form prekärer Lebensverhältnisse Schatten auf die Liebe der beiden Männer. 13 Jahre sind sie schon zusammen, als die Handlung einsetzt. In jeder Szene, in nahezu jeder Einstellung und in jedem der großartigen, weil ganz und gar lebensnah geschriebenen Dialoge ist zu spüren, wie vertraut sie miteinander sind, aber bisweilen auch extrem überdrüssig.
Seit Andreas’ einstige Lebensgefährtin gestorben ist, kümmern sie sich gemeinsam um dessen Sohn Max. Als der junge Mann auszieht, hinterlässt das eine Leere, die sich schleichend zwischen Andreas und Martin breitmacht. Andreas betreibt eine Tischlerwerkstatt, mit der er die Familie nur mühsam über Wasser halten kann. Martin ist schon seit Jahren arbeitslos und hat die Hoffnung auf einen Job längst aufgegeben. Seine Trägheit und sein Frust sind für Andreas nur schwer zu ertragen. Martin dagegen kommt mit den aufmunternden Ratschlägen seines Partners immer weniger klar. Beide reagieren gereizt; ihre Beziehung scheint das Verfallsdatum überschritten zu haben.
Aus dieser nebligen Grundstimmung blendet der Film zurück zum Anfang. Man sieht, wie sich Andreas und Martin auf einem Konzert ineinander verlieben, wie sie mit dem kleinen Max in die Ferien fahren, als Familie zusammenziehen. Dann springt das Geschehen wieder neun Jahre nach vorne. Eine Entscheidung steht an. Martin könnte den Blumenladen übernehmen, in dem er arbeitet; der Kaufvertrag liegt schon bereit. Aber es fehlt am Geld. Er sucht sich stattdessen einen neuen Job, findet aber keinen. Wie das Leben eben so spielt. Viele kennen das. Trotzdem gerät das nicht langweilig, weil Mike Hoffmann und Mathis Reinhardt immer dann zu Höchstform auflaufen, wenn es für ihre Charaktere schwierig wird. Vor allem Hoffmann, den man bislang allenfalls aus Fernsehserien wie „SOKO Köln“ oder „Sibel & Max“ kannte, ist mit seiner charismatischen Aura eine echte Entdeckung.
Doch immer dann, wenn Andreas und Martin miteinander harmonieren, schwächeln die Darsteller so sehr, dass man ihnen Romantik und Leidenschaft einfach nicht abnimmt. Da funkt und zündet nichts. Die Erzählung von der großen Liebe gerät illustrativ und schleppt sich träge dahin. Der penetrant gleichförmige Gitarren-Synthesizer-Soundtrack macht das nicht besser. Auch wirkt die analoge Kamera, mit der sie sich gegenseitig ständig fotografieren, metaphorisch aufgesetzt. Es passt auch so gar nicht zur unprätentiösen Haltung, die den Film sonst auszeichnet. Doch trotz kleinerer oder größerer handwerklicher Mängel überzeugt der Debütfilm, weil er den wohlfeilen Klischees der Beziehungsdramen stets doch noch entrinnt. Eine so filigrane, nonchalante Wirklichkeitsnähe bekommt man – nicht nur im deutschen Kino – viel zu selten zu sehen.