Er sei ein Kind mit einer Maske, sagt „First Order“-Anführer Snoke herablassend zu seinem Meisterschüler Kylo Ren. In dem schwarz gekleideten Ritter der dunklen Seite sieht er keinen neuen Darth Vader, sondern nur einen jungen Mann, der in sich zerrissener ist als zuvor. Was, wie so manches in Rian Johnsons „Star Wars: Die letzten Jedi“, überrascht: Hatte Kylo Ren nicht in „Star Wars: Das Erwachen der Macht“ durch den Mord an Han Solo seine Ergebenheit für die dunkle Seite bewiesen?
Doch offensichtlich sind Snoke wie auch Regisseur Rian Johnson anderer Meinung: Selbst eine so monströse Tat wie der Vatermord besiegelt Kylos Schicksal nicht endgültig. Die helle Seite, die dunkle Seite – sie mögen konträre Prinzipien sein, doch das Menschenherz ist kein Prinzip, es ist zwiespältig und wandelbar. Kylo wird kurz danach frustriert seinen Helm, hinter dem er zuvor seine Züge verbarg wie einst sein Großvater Darth Vader, schrottreif schlagen und fortan der Welt mit seinem für einen Superschurken zu weichen, zu beweglichen Gesicht gegenüber treten. Besteht noch Hoffnung, dass Ben Solo wieder zum Vorschein kommt, der Junge, der er einst war? Oder ist das menschliche Gesicht nur eine weitere Maske?
Dass das neue „Star Wars“-Epos trotz seiner Länge ungemein spannend ist, liegt auch daran, dass es Johnson immer wieder schafft, einen mit den Entwicklungen und Entscheidungen der Figuren in Atem zu halten. Und das, obwohl die Geschichte motivisch und strukturell treu in den Spuren der ersten Trilogie wandelt (diesmal: „Das Imperium schlägt zurück“). Das „First Order“-Regime macht mobil, um die von Prinzessin Leia angeführte Widerstandsbewegung zu vernichten und seinen totalitären Machtanspruch zu zementieren. Die Sternzerstörer von General Hux nehmen Kurs auf die Basis der Rebellen, die ihre Streitkräfte evakuieren und fliehen müssen. Während Rebellenpilot Poe Dameron und der ehemalige Sturmtruppen-Deserteur Finn damit beschäftigt sind, die Flucht auf je eigene Weise bei diversen Scharmützeln zu unterstützen, befindet sich Rey – die dritte der in „Das Erwachen der Macht“ eingeführten jungen Heldenfiguren – auf ihrer eigenen Mission: Sie will Luke Skywalker aus seinem freiwilligen Exil holen, damit er das Erbe der Jedi an eine neue Generation weiter gibt. Und sie wird sich erneut mit Kylo Ren auseinandersetzen müssen, mit dem sie ein besonderes Band verbindet.
Ein schönes Altersporträt von Kultfigur Luke Skywalker. Und eine Liebeserklärung an Frauen wie Prinzessin Leia
Dafür, dass das „Star Wars“-Universum moralisch einfach in Schwarz und Weiß gestrickt ist, gelingt es Johnson verblüffend gut, zwischen den spektakulären Weltraumschlachten menschlich-zwischenmenschliche Grauzonen zu finden, in denen die Figuren in Ungewissheiten tappen. Die anrührendste rankt sich um den ergrauten Luke Skywalker, der ähnlich schroff wirkt wie die einsame Insel, auf die er sich zurückgezogen hat. Mark Hamill darf seine Kultrolle als spannungsvollen Charakter weiterentwickeln, der alles andere als mit sich selbst im Reinen ist: ein wunderbar melancholisches Altersporträt, feinfühlig rückgekoppelt an die (Film-)Geschichte der Figur. Eingebettet wird dies in eine Vielzahl anderer Geschichten, in denen Figuren entscheiden müssen, wem sie trauen, wem sie folgen oder für wen sie kämpfen sollen – wobei der Film nicht zuletzt eine Liebeserklärung an die Frauen ist, die in den Rängen der Rebellen diesmal noch zahlreicher vertreten sind als zuvor: Während bei der „Ersten Ordnung“ die männliche Führungstrias Snoke-Kylo-Hux einen internen Zickenkrieg ausficht, feiert Johnson den selbstlosen, umsichtigen Einsatz von Leia, Rey und vielen weiteren weiblichen Nebenfiguren.
Das "Star Wars"-Universum treibt bunte Blüten
Dabei darf sich die Handlung in die Breite entfalten, was nach den Maßstäben klassischer Filmdramaturgie eine Zumutung, aber ganz im Sinne des „Worldbuilding“ ist: Es geht nicht darum, eine Story effizient voranzutreiben, sondern einen prallen Erzählkosmos einzurichten, was Johnson ähnlich gut gelingt wie J.J. Abrams, mit Kreaturen und Orten, aus denen sich ein schillernder (multi-)kultureller Background formt. Da sieht man, wie sich Luke ernährt, indem er beim Speerfischen monströse Fischwesen aus den Fluten holt und friedliche Alien-Seekühe melkt, wie beim „First Order“-Regime Uniformen gebügelt werden oder wie in einer Stadt voller dekadenter Waffenschieber die wunderlichsten Glücksspiele von den wunderlichsten Wesen gespielt werden. So hart das „First Order“-Regime in den zentralen Handlungssträngen auch zurückschlagen mag und so melodramatisch die inneren Konflikte werden: Die schiere Vitalität und Buntheit dieses filmischen Kosmos sorgt dafür, dass der Film nie eine heiter-utopische Grundtonlage verliert. Die Macht muss wahrlich gewaltig sein, wenn sie von der Energie dieses überbordenden Lebens gespeist wird.