Drama | Deutschland 2017 | 89 Minuten

Regie: Dirk Kummer

In den 1970er-Jahren verleben zwei Schulfreunde in der DDR eine unbeschwerte Kindheit, bis die alleinerziehende Mutter des einen die Ausreise in den Westen beantragt. In der Folge müssen die Jungen jeglichen Kontakt beenden, träumen aber insgeheim weiter von einem selbstbestimmten Leben als Sportler. Nach der Ausreise des Freundes trainiert der Zurückbleibende bis zur Selbstaufgabe für die Chance, an den Olympischen Spielen im Jahr 2000 in Australien teilnehmen zu können. Einfühlsames, mitunter poetisches (Fernseh-)Drama, das die Lebenswirklichkeit in der DDR aus der Sicht von Heranwachsenden beschreibt. Geschickt verbindet der Film Reales mit Kinderfantasien, ohne in politische Stereotypen oder vereinfachte Wahrheiten zu verfallen. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2017
Produktionsfirma
Claussen+Putz Filmprod.
Regie
Dirk Kummer
Buch
Dirk Kummer
Kamera
Christian Marohl
Musik
Thomas Osterhoff
Schnitt
Simon Quack · Gisela Zick
Darsteller
Tilman Döbler (Fred Ernst) · Valentin Wessely (Jonas Gramowski) · Katharina M. Schubert (Michaela Ernst) · Christian Friedel (Günter Ernst) · Deborah Kaufmann (Olivia Gramowski)
Länge
89 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama | Tragikomödie
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Einfühlsames, mitunter poetisches (Fernseh-)Drama, das die Lebenswirklichkeit in der DDR aus der Sicht von Heranwachsenden beschreibt.

Diskussion

Dieser nach Form und Inhalt eher ungewöhnliche Film spielt im Jahr 1979 in Brandenburg in der DDR, nahe der damaligen deutsch-deutschen Grenze zu West-Berlin. Er zeichnet sich durch einen strikten Realismus aus, der den detailgetreu abgebildeten Lebensraum so fremd erscheinen lässt, als gehöre er einer lange vergangenen Epoche an. Andererseits handeln und reden die Menschen so alltagsrealistisch, dass diese Vergangenheit durchaus als zeitnah empfunden werden kann. Der oft mühselige DDR-Alltag wird akribisch geschildert, aber niemand als Knallcharge überzeichnet. Auch nicht die Staatsfunktionäre, wenn sie ihre Anschuldigungen vorbringen, oder die Lehrerin, wenn sie Kinder aus nicht linientreuen Elternhäusern im Unterricht diskriminiert. „Zuckersand“ von Dirk Kummer fehlt jede affektheischende Melodramatik. Die Tragödie, von der er erzählt, kommt wie auf leisen Sohlen daher.

Der Film spielt im Familienmilieu und beschreibt eine typische Kindheit von heute 50-Jährigen in der früheren DDR. Im Mittelpunkt der Handlung stehen zwei zehnjährige Jungen, Fred und Jonas, die eine innige Freundschaft verbindet. Wegen dieser Protagonisten im Kindesalter könnte man „Zuckersand“ zunächst für einen Kinderfilm halten. Doch der Film richtet sich an Erwachsene, und das nicht nur, weil er eine so ernste, bedrückende Wende nimmt. Dabei sorgt der aus kindlicher Perspektive erfolgende Blick auf die Lebenswelt der Erwachsenen auch für gelegentlich durchaus unterhaltsame Situationskomik; vor allem führt der Film vor, wie eingeengt und zeitgebunden diese an die unmittelbare Lebensrealität angepasste Denk- und Sprechweise der Erwachsenen ist.

Demgegenüber erscheint die Fantasiewelt der Kinder oft zeit- und grenzenloser, aber auch gefährlicher. Denn sie suggeriert eine Freiheit der Gedanken und des Lebensraums, den ein vernunftgesteuerter Realismus nicht bieten kann – erst recht nicht der real existierende Sozialismus in der DDR.

Der Freundschaft zwischen den beiden Jungen tut es zunächst keinen Abbruch, dass die beiden aus sehr unterschiedlichen Elternhäusern kommen: Freds Familie ist linientreu, sein Vater arbeitet als Grenzsoldat; Jonas hingegen wächst bei seiner alleinerziehenden Mutter auf, die kirchlich orientiert ist. Als jedoch Jonas’ Mutter Olivia einen Ausreiseantrag für sich und ihren Jungen stellt und Freds Vater Günter seinem Sohn daraufhin verbietet, weiter mit Jonas zu spielen, droht dieser Freundschaft Gefahr. Der begegnen die Jungen mit kindlicher Fantasie und einer Abenteuerlust, die sie auf gefährliche Wege führt.

Ein wichtiger Aspekt, an dem sich die unterschiedlichen Lebenswelten der beiden Familien zeigt, ist der religiöse Glaube: Jonas und seine Mutter beten, was in Freds kommunistischer Musterfamilie auf Unverständnis trifft. Als der Film Jonas zeigt, wie er Klavier spielt, fällt der Kamerablick auch auf das auf dem Instrument stehende Schwarz-weiß-Foto, das offensichtlich seinen Vater zeigt. Über dessen Schicksal wird nichts berichtet; eine kurze Bemerkung der Mutter lässt aber vermuten, dass er ein Opfer des DDR-Regimes geworden ist. Er steht als Pfarrer vor einem Kirchenportal; im Hintergrund ist ein Plakat mit dem Slogan „Ohne Frieden keine Zukunft“ zu sehen. Das verweist auf die evangelische Jugendbewegung, wie sie seit den 1970er-Jahren in der DDR aktiv war und mit Plakaten dieser Art Aufmerksamkeit erregte; bekannt wurde sie auch mit Slogans wie „Schwerter zu Pflugscharen“ oder „Frieden schaffen ohne Waffen“.

Ein weiteres Leitmotiv des Films ist das Fernweh, das sich durch die Fantasiewelt nicht nur der Kinder zieht. Konkretisiert wird es durch den Traum der Kinder von Australien. Der wird gleich zu Beginn des Films durch den australischen Bumerang ausgelöst, den ein Rentner aus der Nachbarschaft von seiner „West“-Reise mitgebracht hat. Als die Jungen den Bumerang später über die Grenzbefestigungen nach West-Berlin werfen, kommt er nicht mehr zurück.

Das ist so symbolträchtig wie die Rolle, die der heimische märkische Sand im Film spielt. Er ist sehr feinkörnig, weshalb er „Zuckersand“ genannt wird, er rieselt und rutscht, so dass er letztendlich ein Leben und eine Freundschaft unter sich begräbt. Es ist ein bemerkenswerter Film, der eine sehr berührende private Geschichte in leisen, kammerspielartigen Tönen erzählt und damit doch auch die große Bühne der Zeitgeschichte füllt.

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