Musikdokumentation | Großbritannien 2017 | 138 Minuten

Regie: Tim Van Someren

Konzertfilm aus der Sportarena in Prag, wo der Hollywood-Komponist Hans Zimmer während seiner Welttournee im Sommer 2017 Station machte und mit Chor, Orchester und knapp zwei Dutzend Solisten ein atemberaubendes Spektakel mit Ausschnitten aus seinen Werken aufführte. Die zurückgenommene Dokumentation konzentriert sich ganz auf die Kraft der Musik und präsentiert das Konzert als epischen Überblick über Zimmers gut 35-jähriges Schaffen. Im zweiten Teil unterstützt eine klug gesetzte Lichtshow das Konzert, das sich nie als Nummernrevue, vielmehr als langer aufregender Fluss versteht und in einem dreiviertelstündigen Crescendo mit Science-Fiction-Arrangements von „The Dark Knight“ bis „Inception“ gipfelt. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
HANS ZIMMER LIVE
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
2017
Produktionsfirma
Eagle Rock Film Prod.
Regie
Tim Van Someren
Kamera
Rolf Dekens
Musik
Hans Zimmer
Schnitt
Tim Van Someren
Länge
138 Minuten
Kinostart
28.09.2017
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Musikdokumentation
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Ein erschöpfend-erhabener Konzertfilm mit Filmmusik von Hans Zimmer als kondenzierter Trip durch die jüngere Unterhaltungsfilm-Geschichte. Das Konzert wurde im Sommer 2017 in Prag aufgezeichnet.

Diskussion
Die riesige Halle der Arena in Prag ist in Dunkelheit gehüllt. Nur die Percussion-Instrumente stimmen einen lässigen Groove an. Der Lichtspot lenkt die Aufmerksamkeit auf ein schlichtes Piano. Ein Mann mittleren Alters betritt die Bühne, setzt sich und ergänzt das Hauptthema von „Miss Daisy und ihr Chauffeur“ (fd 28 159). Ein anderer mit Hut und Klarinette kommt hinzu und übernimmt die Melodie, während er zur Mitte schlendert. Weiter gesellen sich hinzu: ein Keyboarder, eine Violinistin, eine E-Cellistin und eine Kontrabassistin. Langsam füllt sich die Bühne, bis sich mehr als ein Dutzend Solisten um den Pianisten versammelt haben und die eigentlich intime Melodie immer ausschweifender klingen lassen. Ein wenig erinnert das an die boulevardesken Zusammenkünfte des Konzert-Profis und Walzerkönigs André Rieu. Mit dem einen Unterschied, dass die Vortragenden hier nicht in kitschigen Rokoko-Kostümchen auftreten, sondern eher alltagstauglich gekleidet sind. Die musikalische Tonfarbe schwenkt derweil abrupt von lässig zu verschmitzt, von Miss Daisy zu „Sherlock Holmes“ (fd 39 717). „Discombobulate“, lautet der Name des Tracks, und wie der Name sagt, wirbeln die Protagonisten nun heftig durcheinander, bis nach sechs Minuten der Rhythmus abermals wechselt, wenngleich die Stimmung ausgelassen bleibt. Die Musik zu „Madagascar“ (fd 37 131) ist zwar keine Offenbarung, doch die Art des Arrangements lässt aufhorchen. Denn plötzlich hebt sich der schwarze Rückvorhang der Bühne und gibt den Blick auf ein ausgewachsenes Orchester samt eines bislang nur im Takt wippenden Chores preis. Erstmals kling etwas an, was an mehr erinnert als an ausgelassenen Bigband-Sound: Filmmusik. Nur ein paar euphorische Sekunden. Dann herrscht Stille. Der Herr am Klavier ist natürlich der Held des Abends: Hans Zimmer. Der 60-Jährige hat seine alten Weggefährten Richard Harvey (Klarinette) und Nick Gleenie-Smith (Keyboard) sowie knapp zwei Dutzend andere Solisten mitgebracht, um, wie er kundtut, eine kleine Cocktail-Party zu halten: Ein wenig Unterhaltung, ein wenig Musik. Nichts Aufwendiges. Das Gegenteil ist der Fall. Hans Zimmer macht seit fast 40 Jahren Musik, seit 1984 auch für den Film. Zunächst in England für das ungezogene englische Kino à la „Mein wunderbarer Waschsalon“ (fd 25 795), dann bald in Hollywood, wo er mit Blockbustern wie „Rain Man“ (fd 27 420) oder „Miss Daisy und ihr Chauffeur“ durchstartete. Millionen Alben hat er seither verkauft. Der erfolgreichste Entertainer des Filmmusik-Business füllt inzwischen aber auch Hallen in Stadiongröße, wo er „ein wenig mit Freunden“ spielen will, wie er auch in Prag nicht müde wird zu betonen. Die Tournee, die ihn 2017 von Hollywood auch nach Deutschland führte, war binnen Stunden ausverkauft, und das trotz Kartenpreisen von weit über 100 Euro. Keine schlechte Idee also, das Spektakel interessierten Musikliebhabern als Konzertfilm näher zu bringen. Was treibt einen Studiomusiker und Tonbastler in die Öffentlichkeit? Zum Live-Auftritt? Mit einer melodiösen, aber doch seltsam hermetischen, mitunter abstrakten Musik, die eigentlich nur dazu da ist, Filme zum Leben zu erwecken? Wie schafft es Zimmer, die Magie von der Leinwand in den Konzertsaal zu transportieren und den Zuhörer noch mehr zu packen als im Kinosaal? Das Entree hat gerade neun Minuten gedauert, da geht die Zeitreise zurück ins Jahr 1995, in die hohe Zeit der elektronischen Score-Musik. „Crimson Tide“ (fd 31 423), eigentlich kein Karriere-Highlight. Doch als Arrangement für Chor, Orchester und E-Gitarre ist das Stück ein erstes Ausrufezeichen für das konzertante Konzept: keine Nummernrevue, sondern ein langer, aufregender Fluss. Deshalb folgt nach dem ersten Emotionsschub pure Atemlosigkeit. „160 PBM“ aus „Angels & Demons“ (fd 39 300) als flirrende Chor-, E-Gitarren- und Percussion-Extravaganz. Darin zeigt der Komponist erstmals, was seine Musik ausmacht: nämlich filigrane Überwältigung. Die achtminütige „Angels & Demons“-Schlagwerk-Improvisation ist ein wirrer Wahnsinn, der in normalen Konzerten den krönenden Abschluss markieren würde. Hier aber sind nicht einmal 30 Minuten vergangen. Der Drummer Satnam Ramgotra bildet sicherlich das Fundament des Konzerts, doch einzelne Solisten herauszunehmen, wäre wahrlich nicht statthaft. Immerhin gibt es da Czarina Russell, die im „Gladiator“-Part die Originalstimme von Lisa Gerrard ersetzt. Oder Mike Einziger und Johnny Marr an den E-Gitarren, die den schmutzig-rockigen Sound in die Partituren von „Pirates of the Caribbean“ über „Man of Steel“ (fd 41 784) bis zu „The Dark Knight“ (fd 38 851) bringen. Bevor im zweiten Teil Superhelden-Scores und „ernste“ Science-Fiction-Musik der Emotionsschraube eine letzte Drehung verpassen, kommen zunächst noch „The Da Vinci Code“ (fd 37 623) und „König der Löwen“ (fd 31 054) an die Reihe. Zimmer lässt sich für alle Stücke viel Zeit und arrangiert entgegen der Erwartung. So wird der „Circle of Life“-Refrain aus „König der Löwen“ nur kurz zitiert, während die Vocalisten Buy Zama und Lebo M. mitreißend über die afrikanische Seele improvisieren. Mit solchen Akzenten lässt sich auch abgeschmackte Filmmusik wiederbeleben. Ganz ähnlich funktioniert es beim „Pirates“-Gassenhauer. Hier gibt Tina Guo ein Cello-Concerto mit tatkräftiger Unterstützung der Violinistin Rusanda Panfini, zu der sich ein Ensemble aus Streichern und Gitarren gesellt. So hat man Zimmers bekannteste Musik noch nie gehört. „Hans Zimmer Live“ ist ein immens kondensierter Trip durch die neuere Unterhaltungsfilm-Geschichte. Dass dafür weit über zwei Stunden veranschlagt werden, gehört zu den bemerkenswerten Aspekten dieses Projektes. Denn als mit der „True Romance“-Marimba-Improvisation gerade erst die Halbzeit des Konzerts erreicht ist, scheint die Aufnahmefähigkeit des Publikums schon bedenklich erschöpft. Doch die Choreografen wissen mit Hilfe des Bühnenlichts die Konzentration neu zu fokussieren. Während die erste Hälfte klassisch ausgeleuchtet ist, beginnt im zweiten Teil die Leinwand hinter der Bühne zu strahlen. Nicht mit Filmausschnitten, sondern mit abstrakten Farbeindrücken. Höhepunkt ist hier die Suite zu „Der schmale Grat“ (fd 33 554), die nahezu in kompletter Dunkelheit erklingt, nur von einem schmalen blutroten Farbband illuminiert, das sich zu Zimmers wagnerisch-brillanten Orchesterklängen krümmt. Ohnehin ist diese zweite Hälfte des Konzerts ein einziges Exerzitium – und oberdrein eine Offenlegung der Zimmerscher Kompositionsweise. Seine Stücke beginnen verhalten, intim und solistisch, um dann aber bolerohaft anzuwachsen und in einem infernalischen Crescendo zu enden. Diese Dramaturgie erstreckt sich von „The Amazing Spider-Man 2“ (fd 42 331), „The Dark Knight“ und „Interstellar“ (fd 42 700) bis zu „Inception“ (fd 39 996) über eine Dreiviertelstunde. Man kann nur erahnen, wie sich die Zuhörer in Prag am Ende dieser physischen Erfahrung eines elektro-akustischen Feuersturms gefühlt haben müssen. Aber auch im Kino und auf der Leinwand wird man sich der musikalischen Kraft von Hans Zimmers Komposition bewusst. Und selbst im Heimkino verspürt man ein Hochgefühl: Entkräftung gepaart mit Erfüllung.
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