Dokumentarfilm über deutsche Programmkinos und ihre Betreiber. Während der Kinoauswertung seines Films „Die Zeit vergeht wie ein brüllender Löwe“ (2013) reiste der Filmemacher Philipp Hartmann quer durch die Republik und filmte dabei die Spielstätten und ihre Besitzer für sein Filmessay. Aus dem Material entstand ein ebenso persönliches wie sentimentales, unterhaltsames wie erhellendes Porträt der Off-Kinolandschaft in Deutschland. Zugleich ist sein Film eine Hommage an jene Menschen, die diese Form der Kinokultur überhaupt möglich machen.
- Sehenswert ab 14.
66 Kinos
Dokumentarfilm | Deutschland 2016 | 98 Minuten
Regie: Philipp Hartmann
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2016
- Produktionsfirma
- Flumenfilm
- Regie
- Philipp Hartmann
- Buch
- Philipp Hartmann
- Kamera
- Philipp Hartmann
- Musik
- Johannes Kirschbaum
- Schnitt
- Philipp Hartmann · Herbert Schwarze · Maya Connors
- Länge
- 98 Minuten
- Kinostart
- 29.05.2020
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Hommage an deutsche Filmkunstkinos und ihre Betreiber
Diskussion
In der Wohnung scheint die Zeit in den 1960er-Jahren stehen geblieben zu sein, mit der Sitzgruppe um das niedrige Tischchen, einer blau-weiß-orange karierten Tischdecke und alten Fotos an den Wänden. In dieser Gästewohnung des Delphin-Palasts in Wolfsburg hat schon Romy Schneider übernachtet. Ein leicht morbides, aber hinlänglich kinotaugliches Detail sind die Bademäntel der ehemaligen Kinobetreiber, die noch immer im Bad hängen. Jetzt nächtigt hier Philipp Hartmann. Der Hamburger Filmemacher ist mit seinem Film-Essay „Die Zeit vergeht wie ein brüllender Löwe“ (fd 42 639) unterwegs auf Kinotour und hat daraus gleich seinen nächsten Film gemacht.
„66 Kinos“ ist gar nicht so weit entfernt von Hartmanns Essay über die Zeit: Auch hier geht es um Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft, allerdings um die des Kinos und der Kinos, die Hartmann porträtiert. Naturgemäß können das nicht alle 66 Spielstätten sein, die der Regisseur auf seiner Tour durch Deutschland besucht hat. Für den Film musste er eine schwierige Auswahl treffen, die sich so offenkundig wie dramaturgisch richtig an Eckpunkten orientiert, etwa dem Sendungsbewusstsein oder der Weitsicht der Betreiber, an der Exotik oder Historie des Ortes, an ihrem Charme, aber auch der Organisationsform sowie den diversen Überlebensstrategien und Programm-Schwerpunkten – und natürlich am großen Bogen, der aus der Vergangenheit in die Zukunft weist.
Persönliche Gründe spielen auch eine Rolle. Der Filmemacher kommentiert aus dem Off und lässt den Film in der Kinemathek in Karlsruhe beginnen, wo er herstammt. Man lernt auch das mit 18 Plätzen kleinste Kino Baden-Württembergs in einem Kloster kennen: das Subiaco in Alpirsbach. Dort stehen Sofas und Sessel im ehemaligen Empfangssaal des Abtes; im Gemeindesaal finden die Kino-Cafés statt, in der Gemeindeküche findet sich ein „Spendentöpfle“.
Viele Kinos spielen noch 35mm-Kopien. Häufig sehen die Programmkino-Macher die Zukunft des Kinos in einem musealen Kontext; hier würden keine Filme „abgespielt“, sondern ausgestellt. Man müsse sich von einer Kosten-Nutzen-Rechnung lösen, respektive einer dementsprechenden Erwartung. Nicht wenige der Kinos werden von der hauseigenen Gastronomie subventioniert. In Bühl konnte sich der Kinobetreiber, ein ehemaliger, auf „amerikanische Schlitten“ spezialisierter KFZ-Mechaniker, nicht von seinem 35mm-Projektor trennen; das hätte ihm „in der Seele wehgetan“. Da steht er nun, der Projektor, ein Dinosaurier, ungenutzt seit 2011. In diesen Momenten atmet „66 Kinos“ ein wenig von der Melancholie in Uli Gaulkes wunderbarem „Comrades in Dreams – Leinwandfieber“ (fd 38 523), einer Liebeserklärung an die aussterbende analoge Projektion.
„66 Kinos“ ist eine Hommage ans Kino, an die Leidenschaft der Kinomacher, für die der Beruf häufig auch Selbstausbeutung bedeutet. Das sei „Labour of Love“, erklärt Bernd Bremer vom Münchner Werkstattkino, der ein Kellerkino mit einem so mitreißenden wie tiefgründigen Programm betreibt, das mitten im durchgentrifizierten Herzen der Stadt überlebt hat und von einem Kollektiv verwaltet wird. Dort entdeckt man während der Filmvorstellung plötzlich den eigenen Nachbarn in der ersten Reihe. „66 Kinos“ ist auch ein Manifest, das ruft: „Geht mit dem Kinoprogramm in der Hand auf die Straße und begebt Euch ins nächste Programmkino. Nicht erst morgen. Jetzt!“
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