Zu Godards viel zitiertem Ausspruch, Film sei Wahrheit 24 mal in der Sekunde, gibt es beliebte Entsprechungen aus der Welt des Sports. Etwa von André Agassi. Darin heißt es sinngemäß, dass das, was bei einem Wettkampf stattfinde, „ein Leben im Kleinen“ sei. Der Film „Borg/McEnroe“, dem das Agassi-Zitat vorangestellt ist, hält sich im Wesentlichen an diese etwas schlichte Weisheit. Und da es um nichts weniger als das Leben im Kleinen gehen soll, spielt in Janus Metz’ Doppel-Biopic leider auch der Sport eine nur marginale Rolle, auch wenn auf dem Filmplakat das „o“ in Borg sehr hübsch von einem Tennisball eingenommen wird.
Erzählerischer Kern des Films sind die Wimbledon Championships 1980. Der Schwede Björn Borg, bester Tennisspieler der Welt, außerdem blonder Schwarm kreischender Frauen und Mädchen, hat das Turnier bereits vier Mal hintereinander gewonnen. Alle Welt erwartet einen fünften Triumph, gleichzeitig liegt spürbar der Wunsch nach einer Entthronung in der Luft. Ein supertalentierter Nachwuchsspieler, der mit cholerischen Anfällen auf dem Tennisplatz von sich reden macht, will ebenfalls den Titel erobern; der Schauspieler Shia LaBeouf macht aus John McEnroe einen coolen Punk, das Gallige des Cholerikers bleibt da etwas auf der Strecke. Ein „perfect match“ für ein Duell. Der emotionslose Kontrollfreak gegen den hitzigen Flegel oder: der edelmütige Schwede gegen den „schlimmsten Amerikaner seit Al Capone“. Die Medien pushen den Zweikampf der widerstreitenden Temperamente immer weiter hoch – und der Film jagt ihnen erst mal hinterher. Um dann aber zu sagen: In beiden steckt die gleiche fragile Sportlerseele, auf das auch das gleichsetzende Schrägzeichen im Titel anspielt.
Mit 24 Jahren fühlt sich Borg bereits wie ein alter, ausgebrannter Mann; er befindet sich in den Händen seiner Manager, die ihn zu Schauturnieren auch mal ins von der Apartheid dominierte Südafrika schicken, wenn die Gage nur stimmt. Borg ist an einem kritischen Punkt seines Lebens. Er hat eine Heidenangst; die Dämonen der Vergangenheit machen ihm zu schaffen.
Während sich der Film von Runde zu Runde dem Finale nähert, entfalten sich Rückblenden aus dem Leben der beiden Tennisspieler. Der jähzornige Borg, Sohn aus kleinbürgerlichen Verhältnissen, gilt als „nicht richtig im Kopf“, man legt ihm nahe, ins eher proletarische Eishockeyfach zu wechseln. Erst durch seinen Trainer Lennart Bergelin lernt er, „wie ein Dampfkochtopf zu sein“. McEnroe ist hingegen das hochbegabte Kind, das von seinen Eltern angestachelt wird, in allem und überall der Beste zu sein; dass darüber seine menschliche Entwicklung auf der Strecke bleibt, gehört zu den Kollateralschäden. Bei Borg wiederum äußert sich die Dampfkochtopfwerdung in einer Ansammlung bizarrer Zwanghaftigkeiten. Zu seinen zahlreichen Neurosen gehört das wundersame Ritual, vor einem Match ungefähr fünfzig Tennisschläger im Hotelzimmer auszulegen und so lange darauf herumzutappen, bis sich der Schläger mit der perfekten Bespannung gefunden hat.
Nach einigen Krisen und küchenpsychologischen Weisheiten stehen sich Borg und McEnroe schließlich auf dem Center Court gegenüber. Das Re-Enactment des historischen Spiels, das über fünf Sätze ging, mit einem Tiebreak von 16:18, scheitert vor allem an der etwas stereotypen Inszenierung, die den Bewegungs- und Handlungsablauf des Spiels in lauter ähnliche fade Teile zerstückelt. Auch hier zeigt sich, wie weit „Borg/McEnroe“ von dem entfernt ist, was Metz ursprünglich im Sinn hatte: eine Tennisversion von Martin Scorseses „Wie ein wilder Stier“
(fd 22 856).