Der US-amerikanische Schriftsteller Stephen King ist ein begnadeter Geschichtenerzähler und ein brutaler dazu. Der schockierende Einbruch des Grauens in seinem Roman „Es“ raubt den Atem. Der Tod eines sechsjährigen Jungen markiert allerdings nicht nur den Beginn eines epischen Kampfes gegen das Böse, sondern auch ein Dilemma. Wie kann man einen solchen Schrecken in Bilder übersetzen? Wie kann man den Plauderer, den genauen Chronisten des typisch US-Amerikanischen der 1960er- bis 2000er-Jahre, mit dem grotesken Gewaltfantasten in einem Film vereinen?
1990 stand der Regisseur Tommy Lee Wallace vor diesem Problem, als er den Roman fürs US-Fernsehen realisieren sollte. In der ersten Schlüsselszene lässt er den Clown in der Kanalisation „nur“ die messerscharfen Zähne fletschen und blendet dann ab. Die aktuelle Kinoversion von Andrés Muschietti hat es 27 Jahre später etwas einfacher. Das Publikum ist andere Brutalitäten gewohnt; und zudem handelt es sich um eine Adaption, die sich explizit an Erwachsene richtet. Der kleine Bruder von Bill Denbrough stirbt deshalb einen grausamen, expliziten Tod. Er wird von der Kanalisation verschluckt; bleibt verschwunden wie andere Kinder vor ihm. Sein Verlust aktiviert aber den „Club der Verlierer“ im Kampf gegen Pennywise, jenen Clown, der für das Böse steht, das alle 27 Jahre die Kleinstadt Derry im Bundesstaat Maine heimsucht. Dort leben der Stotterer Bill Denbrough, sein mit großen Brillengläsern und einem noch größeren Mundwerk versehener bester Freund Richie Tozier, der dicke Ben Hanscom, die frühreife Beverly Marsh, der dunkelhäutige Mike Hanlon, das hypochondrische Muttersöhnchen Eddie Kaspbrak und der Jude Stanley Uris. Es geht um das Band, das diese jugendlichen Außenseiter verbindet, um ihre existentiellen Ängste und Neurosen. Denn das Monster, das die Kleinstadt umklammert, bedient sich ihrer Schwächen, um stärker zu werden.
Ben Hanscom ist der Erste, der Es auf die Schliche kommt. Im Archiv der Bücherei stößt er auf Hinweise, die den grauenhaften Morden einen perfiden Sinn geben. Alle 27 Jahre suchte der Tod die Stadt heim und sucht seine Opfern unter den Kindern der Stadt. Gemeinsam könnte es den Kindern des "Clubs der Verlierer" gelingen, dem Bösen Einhalt zu gebieten. Doch Es in Gestalt des Clowns Pennywise tut ales. um dieses Bündnis zum Wanken zu bringen. Und es weiß genau, woran die Seele jedes einzelnen Kindes darbt.
Vier Jahre hat Stephen King an diesem Roman geschrieben, in dem der Club als Kinder und 27 Jahre später als Erwachsene gegen Pennywise antritt. Während im Roman die Zeitebenen kunstvoll verschränkt sind, was der Fernsehzweiteiler von 1990 weitgehend beibehielt, brechen die Drehbuchautoren die virtuos komponierte Struktur fürs Kino nun auf. Von den Erwachsenen ist in diesem ersten Teil von „Es“ zu keiner Zeit die Rede. Das Schlachtfeld bleibt den Kindern überlassen.
Diese sind völlig auf sich allein gestellt, denn Pennywise erscheint nur den Minderjährigen. Nur sie können das Blut an den Wänden sehen und das Monströse erahnen, das in den Abwasser-Katakomben unter Derry haust. Den Erwachsenen scheinen diese Abgründe weitgehend verborgen, was die Gemeinschaft der verwegenen Sieben noch verschworener macht. Es weht der Wind eines unheimlichen Abenteuers durch diesen Film, wie ihn Rob Reiner in der King-Adaption „Stand by Me – Das Geheimnis eines Sommers“ (1986, (fd 26 001)) so kongenial einzufangen wusste. Von daher ist „Es“ nicht nur ein Horrorfilm, sondern er handelt auch vom Erwachsenwerden. Die Inszenierung bewahrt das Dunkle, das Bedrückende, aber auch das Erhebende des Romans: die Beschwörung von Solidarität, Freundschaft und kindlichem Lebenshunger gegen das Grauen von "Es" und gegen die Gleichgültigkeit und Abgestumpftheit der Erwachsenen.
Viele der gesellschaftlichen Brutalitäten, die King in seinen Roman einflicht und in Pennywise einen diabolischen Verstärker finden lässt - etwa Rassismus, Homophobie und andere Formen von Diskriminierung, Kindesmisshandlung und -missbrauch - spart der Film entweder ganz aus oder deutet sie nur an. Die Inszenierung ist konventionell und kompatibel, aber in dieser Hinsicht nahezu perfekt. Den Kindern, die es betrifft, wird der Film durch seine Machart vorenthalten; was schade ist, weil hier doch so viel drinsteckt, was zum Erwachsenwerden führt, auch der Horror. Doch die Älteren werden sich wiederfinden und den eigenen Monstern aus der Kindheit gegenüberstehen. Das macht gutes Kino aus. Es baut Brücken zur eigenen Fantasie.