Still legt sie Hände und Stirn an die Wand, auf die sie gerade noch farbigen Mörtel gestrichen hat. Direkt hinter dem Gemäuer formt sich ein Herz aus fettweißer Masse und fängt an zu pochen. Deutlicher könnte dieser Einbruch des Fantastischen nicht ausdrücken, dass die namenlose junge Frau das Organ ist, das dieses Haus am Leben erhält. All ihr Herzblut steckt in der Renovierung des viktorianischen Holzhauses, das sie mit ihrem Mann, einem berühmten Dichter, bewohnt. Von einem früheren Brand ist die Rede, der alles zerstört hat.
In ihrer Ehe wird an ganz anderer Stelle gezündelt. Ein fremder Mann klopft an ihre Tür, der von Hausherrn eingelassen und zum Bleiben aufgefordert wird. Dem Fremden, der sich immer ungenierter in ihren Räumen bewegt und sich die Seele aus dem Leib hustet, folgt seine Ehefrau, die dem eher nachlässigen Haushalt der Gastgeberin die Hölle heißmacht, während unten im Keller der Heizkessel bedrohlich vor sich hin glüht.
Lebendig rot leuchtet zu Beginn das Herz, das noch häufiger hinter den Wänden erscheint und jedes Mal ein paar absterbende Areale mehr anzeigt, während die Herzanfälle der jungen Frau immer stärker werden.
Bis dahin bewegt sich alles innerhalb der Geisterhaus-Genrekonventionen. Doch dann stehen plötzlich die beiden Söhne des fremden Paares im Vestibül und kommen sich in blutigster Kain- und Abel-Konsequenz in die Haare. Durch diesen Einbruch des Außen droht Regisseur Darren Aronofsky seine Inszenierung zu entgleiten. Der anfängliche Verdacht, dass es Aronofsky erneut auf eine Schizophrenie-Geschichte als eine „Rosemary’s Baby“-Variation abgesehen hat, gerät ins Wanken, weil sich das, was das Publikum und die junge Frau präsentiert bekommen, plötzlich wie eine aus dem Ruder laufende Theaterinszenierung anfühlt. Unecht in seiner überfallartigen Dramatik, aber immer noch realer als das, was folgt.
Es ist schwer, die großartige Phantasmagorie von „mother!“ zu beschreiben, ohne zu viel von der Handlung preiszugeben. Ironischerweise verfällt man als Autorin dabei in dieselbe narzisstische Falle, in der sich auch der Ehemann der jungen Frau verfängt. Aus den zwei Besuchern werden unzählige Eindringlinge, die der Hausherr trotz flehender Bitten seiner Frau nicht wegschicken will, weil er die Bewunderung der Fremden als Heilmittel für seine Schreibblockade erachtet. In das Haus fallen in der Folge solche Massen ein, dass die Grenzen von Innen und Außen verschwimmen. In einer fantastischen Plansequenz wird das Unheil, das Menschen über Menschen bringen, komprimiert: die Dichotomie von Gut und Böse, von Frau und Mann, Madonna und Weltenlenker, Erschaffen und Zerstören, „Bauchgeburt“ versus Kopfgeburt, Okkultismus, Abschottung und der Vorstellung von einer Welt. All das wird, auf 16mm-Schmalfilm, geboren und vergehen.
Aronofsky holt hier mit der ganz großen Kelle aus, um in der Ursuppe der menschlichen Verworfenheit zu fischen, und den Albtraum des Kontrollverlusts dem Publikum ins Gesicht zu klatschen. Was sich nicht zuletzt auch als aktueller Zeitkommentar zu den Ängsten einer aus dem Ruder laufenden Migration lesen lässt oder auf einen sich überhitzenden Globus, auf Gier, Gewalt und Übergriffe, all das, was entfesselte Massen auf kleinstem Raum hervorbringen.
In der jungen Frau zeichnet Aronofsky keine sich aufopfernde, gebärende Mutterfigur. Vielmehr (be-)zeichnet er die Macht und Respektlosigkeit, die mit dem rücksichtslosen Narrativ „des Mannes“ seit Menschengedenken gegenüber „der Frau“ verbunden sind.
Staunend wie ein Kind sitzt man vor dem packend-blutigen Schlacht-Tableau, das immer wieder zu kippen droht, obwohl es die Inszenierung eindeutig mehr auf Seherfahrung denn auf eine konsistente Geschichte abgesehen hat. Die Darsteller könnten dafür nicht besser gewählt sein: mit dem düster und immer verschlossener werdenden Antlitz von Javier Bardem und dem seltsam wächsernen, wie mehrmals übertöpfert wirkenden Gesicht von Jennifer Lawrence, deren Augen nicht fassen können, was dem Herzen ihrer Figur schon länger zusetzt. Das ist vielleicht auch der Effekt, den „mother!“ bei den Zuschauern bewirkt, inklusive Herzrhythmusstörungen und Abstoßungsreaktionen angesichts mancher Tabubrüche. Selbst die gläsern flirrende und grausam knackende, lautstark vibrierende Tonspur macht den gnadenlosen Terror, den Aronofsky in „Pi“
(fd 33 608) oder „Black Swan“
(fd 40 279) immer nur kurz einbrechen ließ, perfekt. Und dann kritzeln und schaben sich auf den Abspann die Schriftzeichen ein, wie das selbstreflexive Geständnis des eigenen Schöpfer-Narzissmus. Da weiß man, dass man hier einem großen Geschichtenerzähler gefolgt ist.