Die Wiederbegegnung von Karl „Charlie“ Schmidt und seinem alten Kumpel Ferdi nach fünf Jahren ist für die beiden „historisch“, doch auch „filmgeschichtlich“ hat sie ihren Reiz. In der Verfilmung des Sven-Regener-Romans „Herr Lehmann“ (2003) von Leander Haußmann spielte Detlev Buck jenen Karl Schmidt, der am Tag des Mauerfalls seelisch zusammenklappte und in die Psychiatrie musste. Mit „Magical Mystery“ kehrt der Ex-Künstler Charlie zurück, nunmehr grandios gespielt von Charly Hübner, während Detlev Buck als „visionärer“ Techno-Plattenproduzent Ferdi zu sehen ist. Wenn sich der alte und der neue Charlie-Darsteller in Berlin erstmals wieder treffen, scheint die Handlung für einen winzigen Moment innezuhalten; die beiden stutzen und umkreisen sich offenbar im Wissen um diese Situation, bevor sie in ihre aktuellen Rollen zurückkehren. Das ist ein gänzlich unbedeutender und doch schöner Insider-Gag, der zeigt, wie bewusst und zugleich unprätentiös und entspannt der schreibende Musiker Sven Regener („Element of Crime“) auch als Drehbuchautor mit seinem Material jongliert und seinen ganz unvergleichbaren „Klang“ kreiert.
Regeners Buch wie auch Arne Feldhusens Verfilmung mäandern für einige Tage und Wochen durch das Deutschland des Jahres 1994 und umspielen launig die Frage, ob sich die „Magie“ einer vergangenen Epoche noch einmal neu heraufbeschwören lässt. Mal melancholisch, mal mit hinreißend trockenem Humor, mal lustvoll albern und im nächsten Moment selbstironisch-altersweise geht die Reise quer durch Deutschland: als „Magical Mystery Tour“ ohne Beatles, dafür aber mit den gerade angesagten Techno-Klängen, aufgelegt von flippigen, meist komplett zugedröhnten DJs von BummBumm Records. Dieses Label hatten Ferdi und Raimund als unabhängiges Start-up gegründet, mit dem wachsenden Erfolg reagierte „der Markt“ und pumpte sie mit viel Geld zu. Doch nun fürchten Ferdi, immerhin schon Anfang 50, und der nicht viel jüngere Raimund, die Bodenhaftung zu verlieren; mit ihrer Techno-Tour wollen sie noch einmal „voll das Hippie-Ding“ durchziehen und den Geist der alten Zeiten mit einem neuen „Spirit“ beleben. Charlie kommt ihnen dafür gerade recht: Sie locken ihn aus der tristen Sicherheit seiner drogentherapeutischen Hamburger WG, wohl wissend, dass er weder Alkohol noch Drogen nehmen darf und ihrem durchgeknallten Wanderzirkus nicht nur als Fahrer, sondern auch als Mädchen für alles, Aufpasser und disziplinierender Organisator dienen kann. Was sie in ihrer sorglosen Gutherzigkeit allerdings weniger ahnen: Für den psychisch alles andere als stabilen Charlie ist der Ausbruch in die Freiheit ein ständiger Tanz auf der Rasierklinge.
Die chaotische Tour des streitlustigen, sauf- und kifffreudigen DJ-Trupps gestaltet sich als permanenter Wechsel aus Höhenrausch und Katerstimmung, als extremer Selbstversuch aller Beteiligten, ihr Leben möglichst intensiv zu spüren und ihm das Optimum abzugewinnen. Dieses Jonglieren mit Krisen und Konflikten ist vor allem für Charlie existenziell, wobei ihm der Film mit jener anrührend liebevollen Menschlichkeit begegnet, die bereits den Roman so auszeichnete. Ohne den literarischen Ich-Erzähler und seine introspektive Selbstversicherung setzt der Film vorrangig auf die Tragfähigkeit der Dialoge, die mitunter surreal-absurde Höhen erreichen. Oft folgt Regener dabei seinem Roman, gelegentlich gelingen ihm aber auch einige virtuose Neuerfindungen, etwa die „Grabrede“ für das Tour-Meerschweinchen Lolek, die zur hinreißenden Bestandsaufnahme dieser kuriosen Gruppendynamik gerinnt. Auch gewinnt nun der Musikkosmos um Techno und Rave einen eigenständigen auditiven Stellenwert und gibt dem charmant-trägen Erzählfluss des Romans eine gänzlich neue filmische Dynamik hinzu. Wobei es das größte Kunststück ist, all die disparaten Elemente unter den „1990er-Jahre-Hut“ zu bekommen, um die Euphorie einer Epoche ebenso zu zelebrieren wie sie liebevoll ironisch zu hinterfragen. Daran haben besonders die Darsteller ihren Anteil, die „gestandenen“ wie auch die jungen; dank des herben Charmes der vorzüglichen Annika Meier durchweht den Film dann sogar ein Hauch von Lotte Lenya.