Das nennt man dann wohl Timing! Während die „documenta“ in Kassel durchwachsene Schlagzeilen macht, gern über die Übernahme der Berliner „Volksbühne“ durch den „Kurator“ Chris Dercon oder so genannte Political Correctness gestritten wird, hat sich der schwedische Filmemacher Ruben Östlund den Kunstbetrieb als Handlungsraum seiner neuen, teilweise polemischen Versuchsanordnung namens „The Square“ vorgenommen.
In einer Reihe von Episoden, die um Christian zentriert sind, den ebenso attraktiven wie reflektierten Kurator des Stockholmer X-Royal Museums, zeichnet „The Square“ ein böses, provokantes und satirisches Porträt eines spezifischen Milieus, das zwischen Kunst und Leben zu laborieren gewohnt ist.
Welche Rolle spielt die Kunst im Leben? Was wurde eigentlich aus dem alten Avantgarde-Projekt einer Überführung von Kunst ins Leben? Östlund spielt in seinem Film erstaunlicherweise mit allerlei reaktionären Ressentiments, die über die Kunstszene kursieren, versteht als Adressaten seines Films aber (hoffentlich) die Szene selbst und nicht diejenigen Kreise, die derlei Ressentiments hegen. Der Film ist folglich eher Spiegel als Kritik.
Für eine neue Ausstellung hat sich Christian das Konzept „The Square“ ausgedacht. Mit diesem Quadrat, so die Idee, wird eine Utopie der Fürsorglichkeit formuliert, die der Realität offenkundig abgeht. Christian versteht sich glänzend darauf, seine Konzepte in den aktuellen Kunstdiskurs zu verpacken, wenngleich er seine spontane Eloquenz mitunter vor dem Spiegel einüben muss. Seine Intelligenz verschafft ihm Respekt und Anerkennung, macht ihn aber auch sexy. Die Inszenierung schickt den Protagonisten und mit ihm das Milieu, in dem er sich bewegt, durch ein Minenfeld von Handlungen und Entscheidungen, in denen es immer darum geht, Gesellschaftsvertrag und Individualethik miteinander abzugleichen.
Der Zuschauer wird dabei mit Widersprüchen zwischen Wort und Tat oder mit den Konsequenzen des Handelns konfrontiert. Einmal liefert ein Künstler bei einem Dinner für die Mäzene des Museums eine umwerfende Performance als Affe ab. Er rückt dem Publikum auf die Pelle, veralbert und provoziert. Doch die Performance lässt sich nicht einfach abschalten; die Situation gerät außer Kontrolle, als der Künstler über eine Frau herfällt. Lange dauert es, bis ein paar Gäste aufspringen und der Frau zu Hilfe eilen. Der Künstler wird verprügelt.
In einer Abfolge solcher Szenen auf unterschiedlichen Niveaus werden die Rollen, die Christian zu erfüllen hat, durchdekliniert: der Mann, der Vater, der Citoyen, der Chef, der Kurator, der Gastgeber, der Arbeitgeber. Dazu gesellen sich Milieu-Beschreibungen, die Christian einen Rahmen liefern: Kunstwerke, die von Putzfrauen entfernt, weggewischt werden (ein dummer Witz!), Mäzene, die sich mehr fürs Buffet als für die Kunst interessieren, eine Öffentlichkeit, die für die Kunst interessiert werden muss, die Medien, die ihre eigene Agenda verfolgen, soziale Netzwerke, die niedrigste Instinkte bedienen.
Mit geradezu beckmesserischer Konsequenz, aber ohne die Oberlehrerhaftigkeit eines Michael Haneke, katalogisiert Östlund ein mal komisches, mal populistisches Netzwerk von Widersprüchen in einem Milieu, das im weitesten Sinne für die Selbstreflexion der Gesellschaft verantwortlich zeichnet. Leider kommt dabei nicht viel mehr heraus, als das mit intellektuellem Habitus Wasser gepredigt und Wein getrunken wird. Was der Filmemacher nicht reflektiert, ist die Tatsache, dass sein Film als Kunstwerk selbst Teil des Spiels ist und innerhalb seines Diskurses Konkurrenz durch ein Skandalvideo erhält, das Christian seinen Job kostet und die Frage der (Selbst-)Zensur auf die Tagesordnung setzt.
Insofern ist es nicht ohne Ironie, dass „The Square“ die „Goldene Palme“ in Cannes gewonnen hat und so auch offiziell Teil dessen wird, was er zu kritisieren vorgibt. Eine moralische Erzählung für eine Gesellschaft, die selbstkritische Reflexion als Freizeithobby, als Spiel ohne Konsequenz betrachtet. Das Publikum, bei dem die populistische und tendenziell anti-intellektuelle Ranküne gegenüber dem hohlen Kunstbetrieb auf Gegenliebe stoßen könnte, wird „The Square“ nicht zu sehen bekommen. Manchmal ist das „Arthouse-Ghetto“ eben auch ein Glücksfall.