Es passiert nicht oft, dass man sich den Anfang eines Films lauter wünscht. Bei „Baby Driver“ aber ist dies der Fall. Erst rollt von links ein Auto ins Bild und hält, so nahe, dass man nur den Kotflügel sieht, so rot, dass man daran lecken möchte. Im Auto sitzt der titelgebende Fahrer, Sonnenbrille im adoleszenten Gesicht; drei weitere Sonnenbrillenträger steigen aus. Das sind härtere, dunklere Gestalten. Sie überqueren die Straße und verschwinden in einer Bank, während der Fahrer seinen iPod nach einem Lied durchsucht. Es ist „Bellbottoms“ von der Jon Spencer Blues Explosion, und der Driver explodiert entsprechend mit: Er wippt und schnippt und trommelt auf allem, was das Auto hergibt. Da wäre große Lautstärke schön.
Die Musik setzt sich fort, das Zentrum der Action bleibt fern. Man sieht nur durch die Fenster der Bank, was drinnen vor sich geht: ein schneller, professioneller Überfall. Die Außenperspektive wird beibehalten, bis die drei zurück zum Auto rennen. Dann fährt der Driver sie mit einem spektakulären Start davon, noch immer befeuert von „Bellbottoms“. Auf diese Weise klärt der Film schon vor den Anfangstiteln drei Dinge: Es handelt sich um einen Bankräuber-Thriller mit einem jugendlichen Nerd in einer tragenden Rolle. Der Film wird nur aus dessen Perspektive erzählt. Und die Inszenierung misst der Musik einen ähnlichen Wert bei wie dem Bild. Bei einem Regisseur wie Edgar Wright würde man eigentlich auch nichts anderes erwarten. Immerhin stammt von ihm der bisher beste Nerd-Film des Jahrhunderts – und damit ist nicht seine Zombie-Groteske „Shaun of the Dead“
(fd 36 839) gemeint, sondern „Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt“
(fd 40 119).
Hier heißt die Hauptfigur „Baby“ und wird von Babyface Ansel Elgort gespielt. Der schon als Kind verwaiste Baby hält sich meistens wortlos und recht autistisch aus der Welt heraus. Die Inszenierung kontrastiert diesen Autismus mit einer fast surreal üppigen Umgebung. Um Baby herum glühen alle Farben, jeder Hintergrund ist sorgfältig choreografiert, die Bilder bieten einen steten Wechsel von kleinen Entdeckungen und großer Einordnung. Das macht den Film zu einem Thriller, der einer cinematografischen Form wieder näherkommt als einer bloßen Adrenalin-Erfahrung, worauf es die meisten aktuellen Action-Knaller anlegen. Trotzdem gibt es bestechend raffinierte Verfolgungsjagden. Baby fährt smart trotz allem Geschwindigkeitsrausch, und Wright achtet darauf, dass man von der Schönheit einer Gangschaltung genauso viel sieht wie vom Highway-Irrsinn der Stadt Atlanta.
Durch diese Stadt tanzt der Driver nach der Flucht; dank der Musik in seinen Kopfhörern ist er auch zu Fuß ein Herr der Straßen. Egal ob mit oder ohne Auto: der Driver funktioniert nur mit Musik. Sein Boss „Doc“ hat zwar für wenig Verständnis, aber dafür schon. Kevin Spacey gibt diesen Gangsterboss als einen, dem sich niemand widersetzt. Baby hatte einst den Fehler begangen, ihm einen Mercedes zu klauen. Der Doc hat ihn gefunden und sein Fahrtalent erkannt; seitdem muss Baby für Docs Leute der Fluchtfahrer sein, bis der Mercedes abbezahlt ist. Dieser Moment steht jetzt bevor. Ein Job noch, dann wird Baby in die Legalität zurückkehren. Das glaubt der gute Junge jedenfalls.
Der Film erzählt einerseits also eine Gangstergeschichte. Extrem auf Outlaw stilisierte Männer können ihre Finger nicht von den Schusswaffen lassen und benehmen sich auch sonst daneben; immer wieder pöbeln sie Baby an, weil er nicht den Konventionen entspricht. Das klingt komödiantisch, wird irgendwann aber ziemlich ernst. Andererseits handelt „Baby Driver“ davon, was Musik alles kann. Sie treibt die Überfälle an wie einst in „Reservoir Dogs“
(fd 29 780). Sie führt Baby zu dem Mädchen Deborah, mit dem zusammen er die perfekte Rock’n‘Roll-Fantasie ergibt. Und auch das Ende der Geschichte kommt wie das Liebeslied einer Girlgroup daher.
Dem Film hätte etwas weniger Kitsch gut gestanden, doch Wright ist kein Mann fürs Nüchterne. Dafür ist er einer für die Verzögerung. Erst über den Schlusstiteln, nach dem letzten Bild, heben Paul Simon und Art Garfunkel an: „I was born one dark pretty morn with music coming in my ears, in my ears. They call me baby driver...“