Im Inneren einer weißgepolsterten Limousine: Während der schwerverletzte Mr. Orange auf dem Rücksitz schreit, stöhnt, röchelt und sich in seinem Blut wälzt, müht sich Mr. White am Steuer um aufmunternde Worte. Die Fahrt führt nicht zu einem Arzt, sondern zu einem leerstehenden Lagerhaus. Dort trifft man auf den nervösen Mr. Pink. Während Orange sich am Boden wälzt, rekapitulieren White und Pink die Situation. Der ausgeklügelte Überfall auf einen Juwelier ist schiefgegangen, Polizisten haben das Gangstersextett erwartet. Mindestens ein Komplize ist tot, Mr. Orange schwerverletzt, die Lage unübersichtlich. Nur soviel scheint klar: ein Verräter in den eigenen Reihen muß die Polizei informiert haben. Von hier ab entwickelt sich "Reservoir Dogs" mehr oder minder zu einer Tragödie klassischen Zuschnitts. Nach und nach tauchen die überlebenden Gangster im Lagerhaus auf, und jedesmal wiederholt sich das Ritual gegenseitiger Beschuldigungen, Verdächtigungen und Handgreiflichkeiten. Ein gefangener Polizist wird vom sadistischen Mr. Blonde brutal gefoltert. Als schließlich die Polizei auftaucht, haben sich die Gangster in einem absurden Showdown gegenseitig niedergeschossen. Der gefesselte Polizist, der Verräter und der Mann, der ihm vertraut hat, sind schwer verletzt -und auch sie können nicht alle überleben.Das Regiedebüt des in Los Angeles lebenden Autors Quentin Tarantino ist einer jener irritierenden Filme, die in der Lage sind, Kritik und Publikum radikal zu spalten. Gewalttätig bis an die Schmerzgrenze des Zuschauers, erweist sich "Reservoir Dogs" gleichzeitig als Werk eines überaus talentierten Regisseurs. Wahren die Lagerhaus-Sequenzen in bester Theatermanier die räumliche und zeitliche Einheit, so rollen diverse Rückblenden die Vorgeschichte des Verbrechens auf: Rekrutierung der "Mitarbeiter", Ausarbeitung des Plans, "Training" des Polizeispitzels. Der Überfall selbst bleibt bis auf die mißglückte Flucht ausgespart; nicht die Kriminalstory, sondern das Drama um Vertrauen, Loyalität und Verrat interessieren Tarantino - traditionelle Werte innerhalb einer Gruppe, die sich ansonsten außerhalb des gesellschaftlichen Wertesystems gestellt hat.Nicht von ungefähr erinnert "Reservoir Dogs" immer wieder an Scorseses "Good Fellas" (fd 28 549) und "Mean Streets" (fd 19 864). Wie in Scorseses Filmen entlädt sich die Gewalt mitunter kraß und plötzlich, ohne spekulativ ausgestellt zu werden. Sie macht dort Sinn, wo sie - vor allem zu Beginn - ein von jeder Ethik losgelöstes Gruppenbewußtsein auf den Punkt bringt, und sie ist unterschwellig schon präsent, wenn sich (noch vor den Vorspanntiteln) die Gangmitglieder zum Essen in einem Lokal zusammenfinden. Die Kamera rückt den Akteuren meist dicht auf den Leib; wo sie sich zurückzieht und den distanzierten Blick auf die Gangster in der Lagerhalle eröffnet, erscheinen deren Aktionen als (im doppelten Sinn) theatralische Posen - Abziehbilder von (Kino-)Gangstern in einem ebenso lächerlichen wie brutalen Schauspiel.Bei alledem bleibt Raum für eine Portion düsteren Humors und für ein lustvolles Experimentieren mit filmischen Ausdrucksmitteln. Da bereitet ein Polizei-Ausbilder den Spitzel auf seinen Einsatz vor, indem er ihn ins "method acting" im Stile Marlon Brandos einweist. Die anschließenden schauspielerischen Gehversuche des Polizisten illustriert Tarantino mit einer sehr witzigen Kette von Einstellungen, in deren Verlauf er seinen Monolog in immer haarsträubenderen Situationen zum besten gibt - bis die Grenzen zwischen Rolle und Realität programmgemäß verschwinden. Kaum nötig zu erwähnen, daß auch Tarantino seinen durchweg brillanten Darstellern alle Freiheit zur Improvisation läßt. Vor allem Buscemi und Keitel liefern sich Rededuelle, die allein "Reservoir Dogs" als Action-Film ad absurdum führen. Überhaupt dürfte sich Tarantino (bewußt) zwischen die Stühle gesetzt haben. Formal zu anspruchsvoll für den schnellen Konsum, gleichzeitig zu blutig für sensiblere Cineasten - da schrumpft der potentielle Zuschauerkreis beträchtlich. Daß Tarantino nach diesem furiosen Debüt eine Regie-Karriere offensteht, ist kaum zu bezweifeln.