Die Verführten (2017)

Drama | USA 2017 | 93 Minuten

Regie: Sofia Coppola

Ein verwundeter Nordstaaten-Soldat wird während des US-amerikanischen Bürgerkriegs in einem abgelegenen Internat gepflegt, in dem nur noch zwei Pädagoginnen und fünf heranwachsende Mädchen leben. Ein vorzüglich ausgestattetes, stilistisch exquisit gefilmtes Drama, in dem es weniger um die Macht verdrängter Sexualität als um das im Puritanismus besonders ausgeprägte System repressiver Kontrolle geht. Dabei verschiebt die Romanverfilmung den Fokus der früheren Adaption von Don Siegel („Betrogen“, 1970) zugunsten der Frauen, die um die Gunst des Verletzten konkurrieren. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
THE BEGUILED
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2017
Produktionsfirma
American Zoetrope/FR Prod.
Regie
Sofia Coppola
Buch
Sofia Coppola
Kamera
Philippe Le Sourd
Musik
Phoenix
Schnitt
Sarah Flack
Darsteller
Colin Farrell (John McBurney) · Nicole Kidman (Martha Farnsworth) · Kirsten Dunst (Edwina Dabney) · Elle Fanning (Alicia) · Angourie Rice (Jane)
Länge
93 Minuten
Kinostart
29.06.2017
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Literaturverfilmung | Western
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Verleih DVD
Universal (16:9, 1.66:1, DD5.1 engl./dt.)
Verleih Blu-ray
Universal (16:9, 1.66:1, dts-HDMA engl., dts dt.)
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Südstaaten-Drama über Begehren und die Folgen einer repressiven Kontrolle. Regie: Sofia Coppola

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Eine Männerfantasie, die zu einer Frauenfantasie wird. Ein schwer verwundeter Soldat der Nordstaaten wird während des US-amerikanischen Bürgerkriegs im Wald von Virginia von einem Mädchen aufgefunden. Es bringt ihn in die nahe gelegene Mädchenschule, in der es lebt. Dieser Ort ist wie eine einsame Insel, abseits von Zeit und Geschichte, und so erzählt der Film auch eine Robinsonade. John, der Soldat, darf sich bis zu seiner Genesung hier aufhalten. Das ist keineswegs selbstverständlich, denn Feinde, so will es die Vorschrift, sind den konföderierten Truppen auszuhändigen. Zudem ist das Wissen über die Gefahren, die Frauen im Krieg drohen, immer präsent. Doch da sind auch die Versuchungen dieses seltsamen Ausnahmezustands. Neben der Schulleiterin Martha gibt es die Lehrerin Edwina und fünf junge, unterschiedlich reife Mädchen, zum Teil noch vor der Pubertät, zum Teil schon halb erwachsen wie die kokette Alicia, die sich alle erkennbar freuen, dass plötzlich ein Mann in ihrer Nähe ist. Manche spüren ein vergessenes Verlangen, andere entdecken Sexualität und Begehren erst jetzt. Sie alle sind irgendwie übriggeblieben und haben sich vor dem Krieg in dieses verwunschene Paradies zurückgezogen, in dem die Zeit stehengeblieben scheint. Durch Johns Anwesenheit aber ändern sie ihr Verhalten. Sie werden von seiner Präsenz verführt, von dem, was sie in ihn hineinprojizieren – wie umgekehrt auch der Mann verführt wird von den Möglichkeiten. „Die Verführten“ ist das Remake eines Films von Don Siegel (fd 18 442) aus dem Jahr 1970. Clint Eastwood spielte seinerzeit die Hauptrolle. Die Neufassung von Sofia Coppola entspricht zwar weitgehend der Vorlage, die auf einem Roman von Thomas Cullinan fußt, doch sie entschlackt die Handlung und verschiebt an entscheidenden Punkten die Perspektive: weg vom Mann, hin zu den Frauen. Coppola zeigt die Schattenseiten des Weiblichen, den Konkurrenzkampf um die Gunst des Fremden. Umgekehrt kommt auch dieser Hahn im Korb nicht gut weg: John ist ein Manipulator, der seine Situation ausnutzt, und die sieben Frauen geschickt gegeneinander ausspielt. Es geht um subtilere Dinge als darum, wer mit wem in ein Bett steigt. Das passiert zwar auch, aber es ist schon deshalb nicht die Hauptsache, weil die US-amerikanische Gesellschaft des 19. Jahrhunderts puritanisch ist: Sanfte Repression und zur Gewohnheit gewordene Rituale bestimmen den Alltag. Regelmäßig wird gebetet; die Mahlzeiten sind aufwändig, man zieht sich dafür um. Die Menschen beobachten sich genau, denn sie haben nur sich. Die Inszenierung entfaltet ein System der kleinen, unscheinbaren Zeichen, worauf sich Sofia Coppola besonders versteht: Das Mehrdimensionale und Tiefe ist in den Oberflächen zu entdecken. Auch der Humor. Nie verliert der Film den Sinn für das Kuriose des Geschehens. Coppola ist eine Humanistin, die jeder Figur etwas abgewinnt, ihr spezifische Momente gönnt. Und sie ist eine Ästhetin. Jedes Detail ist sprechend: Man hört Lieder aus dem Bürgerkrieg, sieht pastellene, wunderschön gestaltete Bilder, mit Weichzeichner gefilmte Morgennebellandschaften und immer wieder Sonnenuntergänge. Der zur Schule umfunktionierte Ort ist eine für eine Handvoll Menschen viel zu große Südstaaten-Villa mit einem prächtigen, etwas heruntergekommenen alten Garten voller Rosen und riesigen Bäumen: ein typischer Sofia-Coppola-Ort, innerlich verwandt dem Hotel aus „Lost in Translation“ (fd 36 315), dem Wunderkammer-Versailles mit seinen vielen Fluren aus „Marie Antoinette“ (fd 37 865) und dem Paris-Hilton-Haus in „The Bling Ring“ (fd 41 855) mit seinen überquellenden Zimmern. Nachts sind die Räume und die hellen Kleider der Mädchen nur vom Kerzenschimmer erleuchtet. Die Gefahren und Bruchstellen bleiben unter der idyllischen Oberfläche aber stets spürbar: Urplötzlich durchzieht ein kühler Hauch die Schwüle. Mitunter ist von fern Geschützdonner zu hören, oder es sind Rauchschwaden zu sehen – der Krieg bleibt nahe, und doch wirkt alles wie aus der Zeit gefallen. Dieses Märchen für Erwachsene aus dem alten Süden der USA ist auch eine Untergangsgeschichte, die von mehr handelt als den Folgen eines Kriegs. Sie erzählt vom Abschied von einer Zivilisation, ihren Manieren, ihrem Lebensstil. Ein hochaktuelles Vorlaufen zum Tod.
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