Stanley Kramers Drama „Flucht in Ketten“ (1958, (fd 7244)) ist als engagiertes Statement gegen den Rassismus in die (weiße) Filmgeschichte eingegangen. Sidney Poitier spielt darin einen Häftling, dem zusammen mit einem rassistischen Weißen die Flucht gelingt. Da die beiden zunächst aneinandergekettet sind, müssen beide vorübergehend zu einem Gemeinschaftskörper fusionieren. Gegen Ende gelingt es dem Schwarzen, auf einen vorbeifahrenden Zug aufzuspringen; den geschwächten Weißen aber verlässt die Kraft. Was tut Poitier? Er springt aus Solidarität wieder ab.
In seinem Text „Remember This House“ rekapituliert der afro-amerikanische Autor James Baldwin das sehr gegensätzliche Echo auf die vermeintlich heroische Tat. Während das liberale weiße Publikum mit Erleichterung und Freude reagierte, riefen die Schwarzen: „Spring wieder auf den Zug, du Idiot!“.
Die Repräsentation von Afro-Amerikanern in der US-Kulturgeschichte, in der Werbung oder im Kino zieht sich als wiederkehrendes Motiv durch den essayistischen Dokumentarfilm von Raoul Peck, der mit und durch Baldwins Text (als Erzähler fungiert der Schauspieler Samuel L. Jackson) einen analytischen Blick auf die schwarze, aber auch die weiße Geschichte und Gegenwart der USA wirft.
Zwei sehr gegensätzliche Bilder aus Werbung und Wirklichkeit bringen das Spektrum weißer Herrschaft am treffendsten zum Ausdruck: Der aus der Chiquita-Banane springende fröhliche schwarze (und komplett asexuelle) Onkel und eine zu Boden gedrückte schwarze Frau, auf deren Hals ein Polizist kniet. „Niemand, der wie mein Vater aussah, wäre jemals auf einer amerikanischen Kinoleinwand aufgetaucht ... Alle Helden weit und breit waren weiß“, erinnert sich Baldwin. John Wayne und Doris Day werden zur Verkörperung dieses rein weißen Heldentums. Baldwins Text ist gesellschaftliche Reflexion und persönliche Lebenserinnerung in einem, wobei jede Erinnerung, sei es ein früher Kinobesuch mit der Mutter, sei es eine Exkursion mit Medgar Evers, unweigerlich eine gesellschaftliche Dimension besitzt.
„Remember This House“ sollte ursprünglich eine Auseinandersetzung des Schriftstellers mit den Biografien dreier für sehr unterschiedliche politische Positionen stehende Freunde werden, die alle zwischen 1963 und 1968 ermordet wurden: Medgar Evers, Malcolm X und Martin Luther King. Baldwin wollte die drei Leben aufeinanderprallen und sich gegenseitig enthüllen lassen. Peck folgt dieser Dialektik des Autors, wenn er einen Ausschnitt aus einer Fernsehdebatte mit Martin Luther King und Malcolm X zeigt. Malcolm X nennt King darin polemisch einen „modernen, einen religiösen Onkel Tom“. Am Ende verbinden sich die beiden Figuren im selben Bild: ein toter Körper in einem Sarg.
„I Am Not Your Negro“ zeigt auf erschütternde Weise, wie wenig die 30 Manuskript-Seiten, aus denen nie ein fertiges Buch wurde, an Aktualität eingebüßt haben. Der in Haiti geborene Peck, der als Teenager mit Baldwins Schriften in Berührung gekommen war, bebildert den Text mit Archivaufnahmen, Interviews und Fotos aus der Zeit der Bürgerrechtsbewegung. Aber auch die Bilder jüngerer Ereignisse wie etwa die Proteste in Ferguson, die auf die Erschießung des afro-amerikanischen Jugendlichen Michael Brown folgten, fügen sich nahtlos in die Narration ein. Die Bilder von damals, von der Zeit dazwischen, etwa die des brutalen Polizeiübergriffs auf Rodney King im Jahr 1991, der gewalttätige Unruhen auslöste, und die heutigen gleichen sich; allein der Polizeiapparat ist deutlich hochgerüsteter.
In den Aufnahmen des weißen Mobs, der in den 1950er-Jahre gegen die Integration von Schwarzen an Schulen protestierte, in den „Wir wollen Hass“-Rufen, den Hakenkreuz-Symbolen und Lynchmorden manifestiert sich ein Selbstverständnis weißer Überlegenheit, das das jetzige Machtmonopol rechter Kräfte überhaupt erst hervorgebracht hat. „Das große Haus des Westens, aus dem ich komme, ist ein Haus. Und ich bin eines der Kinder dieses Hauses“, schreibt Baldwin, der ein schwarzes Selbstverständnis immer mit der Frage verbindet, was es für die weiße Psyche bedeutet, die Figur des „Nigger“ überhaupt erfunden zu haben.
Eine weiße Lehrerin, die den jungen Baldwin mit Büchern versorgte, mit Literatur über die Geschichte Äthiopiens etwa oder den Nationalsozialismus, wurde für ihn zur prägenden Figur. Allein wegen ihr konnte er die Weißen nicht hassen; gegenüber einem umgedrehten Rassismus, wie ihn etwa die Black Panther oder die Black Muslims vertraten, ging Baldwin auf Distanz. Der Ambivalenz seiner eigene Position war sich Baldwin dabei stets bewusst: „Ich war damals die große schwarze Hoffnung des großen weißen Vaters.“