Szenen aus vier Ehen: 4 mal 2 Menschen, die sich auf derselben Party kennen lernen, verlieben, miteinander leben, streiten und versöhnen. Mit minimalistischem dramaturgischen Aufwand und maximaler Situationskomik gelingt Yilmaz Erdoğan eine pointierte Beziehungskomödie mit großem Wiedererkennungswert – Loriot lässt grüßen.
Als Mitbegründer des Comedy-Theaters „Beșiktaș Kültür Merkezi“ und Regisseur von Filmen wie „Vizontele“
(fd 35 087) und „Organize Isler – Krumme Dinger am Bosporus“
(fd 37 430) gehört Erdoğan nicht nur zu den erfolgreichsten Humoristen seines Landes, sondern schrieb auch wesentlich an den bis heute gültigen Grundrezepturen für erfolgreiche türkische Komödien mit: den Leuten aufs Maul schauen, einen Spiegel vorhalten. Ein Humor, der mitunter nah an der Grenze zum Vulgären rumort, aber fein genug bleibt, um ein bildungsnahes Publikum anzusprechen, ohne bodenständige Wurzeln zu verleugnen.
Der Stoff von „Tatlım Tatlım“ (auf deutsch: „Schatzi, Schatzi“) hat bereits eine längere Entwicklungsgeschichte hinter sich. Einige der Pointen sind bereits als Buch erschienen, einige Dialoge entstammen einer Comedy-Show mit ähnlichem Thema, die Erdoğan über mehrere Jahre zusammen mit Demet Akbağ inszeniert hat. Das filmische Ergebnis ist beachtlich: acht Menschen reden ununterbrochen miteinander, und man fühlt sich 99 Filmminuten lang als Gast in deren Wohnzimmern, die – allen sozialen Unterschieden der vier Paare zum Trotz – doch alle ziemlich ähnlich aussehen. Eigentlich reichen für die vier miteinander verschränkt erzählten Geschichten ein Sofa, ein Couchtisch und natürlich ein Bett als Kulisse von der ersten schüchternen Annäherung, dem Verstricken in lustvolle Gespräche über nichtige Themen, den Telefongesprächen, bei denen keiner auflegen will, den Albernheiten nach und vor dem Sex, den nichtigen Anlässen, die zu sinnlosen, aber heftigen Streits eskalieren, bis zur Trennung und Wiederversöhnung.
Die lange Erfahrung mit dem Stoff hat sich gelohnt. Erdoğan und sein großartiges Ensemble, darunter die abrupt zwischen rauhbeinig und hintergründig naivem Charme agierende Gupse Özay, 2015 für ihre Rolle der pöbelnden Kiez-Göre „Deliha“
(fd 42 756) als erfolgreichste weibliche Schauspielerin der Türkei ausgezeichnet, und der zwischen zurückhaltendem Respekt und provozierender männlicher Sensibilitätsferne pendelnde Serkan Keskin, spielen ihre Wechselbäder der zwischenmenschlichen Gefühle mit Charakterstärke und Lebensfreude aus.
Klar, hier geht es wieder mal um sattsam Bekanntes. Um die Achterbahnfahrten zwischen Leidenschaft und Eingemachtem, Glücksgefühlen, Scham und Scheitern, Erotik und Dünnhäutigkeit. Wenig neu, und wahre Cineasten mögen mit Recht argwöhnisch von abgefilmtem Theater sprechen. Doch „Tatlım Tatlım“ macht einfach Spaß. Die Würze liegt im genauen Hinsehen und in Dialogen wie „Der Erste Weltkrieg ist wohl auch ausgebrochen, weil ein Serbe zum österreichischen Thronfolger falsch ‚Guten Morgen‘ gesagt hat“ beim Frühstücksstress, „Wir kommen aus den Flitterwochen, aber du sprichst wie ein Überlebensopfer der ‚Titanic‘“ nach dem Hochzeitsurlaub oder „Hast du Polypen in der Nase, dein Gehirn bekommt keinen Sauerstoff“ in der Phase unmittelbar vor der Trennung. Harter Tobak trifft auf pointierte Beobachtung, und am Ende sitzt sogar jede noch so alberne Pointe – Glückwunsch an den wagemutigen Drehbuchautoren.
Schließlich endet die Versuchsanordnung so versöhnlich, wie sie begonnen hat. Dazwischen liegen zwei Stunden, in denen Erdoğan zeigt, wie aus Schweigen Gespräche, aus gegenseitigem Interesse Nähe, aus Langeweile Wut, aus Missverständnis Streit, aus Gereiztheit Trennung und aus Trauer Versöhnung werden. Und das, ohne ein einziges Mal unter die Gürtellinie oder in die Schubladen abgeschmackter Geschlechterrollenwitze zu greifen. Beziehungs- und Beziehungskrisenwitz zwischen Loriot und „Caveman“ – nur ohne Nudelholz und Therapiezwang. Womit „Tatlım Tatlım“ den selbstgesteckten Anspruch, gute Unterhaltung zu liefern, zu 100 Prozent erfüllt.