Alles fließt an Bord, zuallererst die Kamera von Seamus McGarvey, die in aufreizender Langsamkeit die Gänge der International Space Station durchfährt, sich kurz an die schwebende Figur eines Crewmitglieds hängt, dann bei einem anderen verweilt und schließlich mit großer Aufmerksamkeit den Trudelflug einer Packung Astronautennahrung beobachtet. Diese Fließbewegung verhält sich sonderbar kontrapunktisch zur Dringlichkeit, die jeder an Bord behauptet, sie setzt das orchestral unterstützte Erhabene gegen die menschliche Technik, gegen das menschliche Wort, womöglich gar gegen das menschliche Gefühl.
Was geht da vor sich? Eine Sonde kommt vom Mars mit wertvoller Fracht, sie ist aus der Bahn geraten, droht die Station zu verfehlen. Der Techniker Roy Adams, von Ryan Reynolds mit einer proletarisch-kumpelhaften Kraftmeier-Attitüde gespielt, die so gar nicht zu seinen Kollegen und zum Film generell passen will, bereitet sich auf einen Weltraumspaziergang vor, um das Gerät abzufangen.
Die Operation gelingt. An Bord kommt ein Organismus, der erste Beweis für Leben außerhalb der Erde. Dort gerät über dieser Nachricht alles außer sich, auf dem New Yorker Times Square versammeln sich die Massen, um das Wesen „Calvin“ zu taufen. Oben füttert derweil der Biologe Hugh Derry diesen Calvin mit Wärme und Glukose und siehe da: ein zartes Tier mit Extremitäten, die aussehen wie geäderte Blättchen, umtanzt seinen Handschuh mit scheinbarer Zuneigung.
Jede Zelle, stellt Derry bewundernd fest, sei Muskelzelle, Hirnzelle und Wahrnehmungsapparat in einem. Für ein zeitgenössisches Publikum scheint es kaum möglich zu sein, auf Calvin zu schauen, ohne an Ridley Scotts „Alien“ (1979,
(fd 22 226),
(fd 36 196)) zu denken und an all die ähnlichen Stoffe, die davor oder danach kamen – eine Ahnenreihe, in die der Film von Daniel Espinosa sich viel nahtloser einreiht als in die zeitgenössische Science Fiction rund um „Der Marsianer“
(fd 43 390), den ebenfalls Ridley Scott inszenierte, oder Produktionen wie „Gravity“
(fd 41 917), „Interstellar“
(fd 42 700) oder „Arrival“
(fd 44 310).
Dennoch fehlt es zunächst an jeder Bedrohlichkeit: Nach ihrem majestätischen Schweben durch die Korridore heftet sich die Kamera nahe, ungewöhnlich nahe an die Gesichter ihrer Figuren, an das der russischen Kommandantin Ekaterina Golovinka, an den Steuerungs- und Kommunikationsexperten Sho Murakami, an die Mediziner Miranda North und David Jordan. Auch wenn das Filmmarketing eifrig die Stars in Stellung bringt, den schönen Reynolds neben Jake Gyllenhaal und Rebecca Ferguson, so handelt es sich in Wahrheit um einen Ensemblefilm.
Und auch nachdem Calvin ausgebrochen ist und begonnen hat, eine mörderische Spur in der ISS zu hinterlassen, zeigen die Mitglieder der Besatzung noch im Sterben, welche Bedeutung das Menschliche für die Filmemacher hat. Jeder Tod ist hier ein Todeskampf, qualvoll langsam, dadurch anteilnehmend und kaum spektakulär. Calvin durchbohrt, zerfetzt, enthauptet nicht; er nimmt seine Opfer in eine tödliche Umarmung, er fährt in sie hinein, er quetscht, zerdrückt. Er überführt die Neugier und das Staunen über sein Design in eine Art Empathie für die, die in seinem Weg schweben.
Dieser Effekt der Schwerelosigkeit, des nur scheinbar ungehinderten Driftens durch den Raum, verspricht eine Freiheit, die von den klaustrophobisch engen Gängen der ISS, nachgebaut von Produktionsdesigner Nigel Phelps, sofort widerlegt wird. Es stimmt schon, dass hier alles fließt, aber alles ist auch so wahnsinnig dicht beieinander, eine Dichte, die bei Espinosa geradezu physisch zu spüren ist. Die wuchtigen Metall-Ungetüme, in deren verzweigten Systemen die Monster aus dem All sich sonst so häufig verstecken, ziehen sich hier in funktionaler Komprimierung zusammen. Wer davonkommen will, muss sich von Wand zu Wand stoßen wie im Strömungsbad. Die Greifarme aber sind überall ganz nahe.