Félicité
Drama | Frankreich/Senegal/Belgien/Deutschland/Libanon 2017 | 124 Minuten
Regie: Alain Gomis
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Nachts singt eine großgewachsene Frau mit rauer Stimme für die Menschen in einer Straßenbar in Kinshasa, tagsüber arrangiert sie sich mit ihrem entbehrungsreichen Alltag. Als ihr Sohn bei einem Motorradunfall schwer verletzt wird, muss sie viel Geld für eine Operation auftreiben. In dem kraftvollen Porträt der Sängerin, das zugleich ein Bild des Lebens in der Republik Kongo skizziert, prallen Lebensfreude und Solidarität auf Gewalt, Korruption und Mitleidlosigkeit. Ein Film der krassen Gegensätze, der gegen Ende zwar zunehmend zerfasert, aber auch dann noch in seiner enigmatischen Hauptdarstellerin einen geradezu magischen Anker findet.
- Sehenswert ab 14.
Filmdaten
- Originaltitel
- FÉLICITÉ
- Produktionsland
- Frankreich/Senegal/Belgien/Deutschland/Libanon
- Produktionsjahr
- 2017
- Produktionsfirma
- Andolfi/Granit Films/Cinekap/Need Prod./Katuh Studio/Shortcut Films
- Regie
- Alain Gomis
- Buch
- Alain Gomis
- Kamera
- Céline Bozon
- Musik
- The Kasaï Allstars
- Schnitt
- Fabrice Rouaud
- Darsteller
- Véro Tshanda Beya (Félicité) · Gaetan Claudia (Samo) · Papi Mpaka (Tabu) · Nadine Ndebo (Hortense) · Elbas Manuana (Luisant)
- Länge
- 124 Minuten
- Kinostart
- 05.10.2017
- Fsk
- ab 6; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Drama
- Externe Links
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Heimkino
Musik und Mut gegen desolate Verhältnisse: Bewegendes Frauenporträt aus Kinshasa
Diskussion
Mit einem stillen Lächeln im Gesicht sitzt Félicité in dem kleinen, zur Straßenbar umfunktionierten Hof. Mit den Musikern im Rücken beginnt die große Frau zu singen, wobei sie genau beobachtet, wie das Parlieren, Schimpfen und Trinken der Zuhörer von ihrer Stimme angetrieben wird. Alle sprechen durcheinander, Félicités Gesang spricht zu allen. Einen treibt sie dabei besonders an: Tabu, einen ausufernden Mann, der auch an diesem Abend wieder die Klappe aufreißt und am nächsten Morgen kleinlaut bei Félicité auf der Schwelle steht, um ihren Kühlschrank zu reparieren.
Félicité lebt in den Armenvierteln der 10-Millionen-Stadt Kinshasa, wo der Dampf des verbrannten Mülls in den Himmel steigt und die Menschen in den flachen Hütten von der Hand in den Mund leben. Hier geht es Félicité mit ihren Engagements als Sängerin noch verhältnismäßig gut. Doch dann erreicht sie ein Anruf aus dem Krankenhaus, wo ihr Sohn Samo nach einem Motorradunfall mit einem offenen Beinbruch liegt.
Félicité stiefelt los, und mit ihr taucht der Film von Alain Gomis unvermittelt in eine blau leuchtende Halle ein, wo ein Symphonieorchester Arvo Pärts „Fratres“ anstimmt. Die melancholisch zerbrechlichen Klänge erden den Film des senegalesischen Regisseurs. Sie ziehen eine unwirkliche Dimension ein, die Möglichkeiten zur Distanzierung eröffnen und eine Art Gegengewicht zu Félicités rauer Stimme mit Liedern der Kasai Allstars bilden.
Pärts Klangfolgen läuten die Versuche der Titelfigur ein, eine Million Kongo-Francs, etwa 500 Euro, für die Operation des Jungen einzutreiben. Und sie stehen am Anfang der nächtlichen Traumsequenzen, in denen Félicité im dunklen Dschungel auf einen Fluss und ein Okapi trifft, jenes giraffenartige braune Huftier mit Zebrastreifen an den Beinen, das sie zu streicheln beginnt.
Wie dunkles, kühles Wasser fallen diese Sequenzen der Ruhe und Abgeschiedenheit in einen Ort, der tagsüber vor Leben nur so sprudelt, im Guten wie im Schlechten. Auch dafür braucht die Inszenierung nicht viele Worte: „Du hast einen Banditen großgezogen“, bekommt Félicité von Samos zahlungsunwilligem Vater an den Kopf geknallt. Das hätte sie nun von ihrem Stolz und ihrer Unabhängigkeit, um deren willen sie ihn verlassen habe. Da wird plötzlich klar, wie leicht man im Kongo ein Kind auch an die Kriminalität verlieren kann. Wo man auf der Strecke bleibt, wenn man die Kosten für eine Operation nicht auftreiben kann; oder wo man Polizisten bestechen muss, um sein Recht durchzusetzen.
„Félicité“ ist nicht nur das Porträt einer Frau, es ist auch das Porträt eines Landes, in dem man haarscharf an Gewalt und Tod vorbeischrammen kann. Einmal wird Tabu Zeuge, wie auf dem Markt Ladendiebe geschnappt und brutal verprügelt werden. Der Firnis zur Eskalation ist hauchdünn, die Wut entlädt sich so schnell auf dem Rücken derer, die aus der Not heraus einen Schritt gehen, den sich die anderen nicht zu gehen trauen.
All das erzählt Alain Gomis nur am Rande eines Films, der sich in der Mitte in zwei Geschichten teilt und keineswegs eine Milieustudie sein will. Vielmehr nimmt „Félicité“ mit einer Leichtigkeit für sich ein, die immer wieder in die Schwere einbricht: wenn ausgerechnet ein widerspenstiger Kühlschrank und sein prahlender Reparateur nicht nur Félicité, sondern auch Samo zum Lachen bringen. Oder wenn selbst die Ruhelosigkeit der Straßenbar eine Atmosphäre kreiert, die Félicité als Schlüssel zum Paradies versteht.
Alain Gomis hat einen Film und eine Figur geschaffen, von denen eine kraftvolle Unmittelbarkeit ausgeht, die sich nicht nur der Kamera verdankt, die so geschickt an den Menschen klebt, und auch nicht nur der Tonspur, die von quirliger Lautstärke zur alles einebnenden Ruhe wechselt. „Félicité, du bist so schön wie Brombeerblätter. Wenn sie lachen, sieht sie keiner“, sagt Tabu einmal zu der Frau, die er liebt und die er doch betrügt, womit sich die Sängerin mal mehr, mal besser arrangiert, genauso wie mit den Missständen ihrer Heimat. Es ist die Schauspielerin Véro Tshanda Beya, die einen ergreift, wenn ihre Figur ihr Schicksal mit einer den Umständen geschuldeten Unerbittlichkeit anpackt. Dazu passt ihr stoisch-spöttisch sich verschließendes Gesicht, auf das sich dank Tabu, dank Samo und dank der Musik immer wieder ein Lächeln schleicht.