Hochmut kommt vor dem Fall – und die Krise befruchtet die Alltagsroutinen. Gerade erst hat Georg, der Musikkritiker einer etablierten Wiener Tageszeitung, einer jungen, ehrgeizigen Kollegin herablassend die Autorität geballter Ignoranz bewiesen, da sitzt er auch schon auf der Straße. Mit seinem „alten Vertrag“ komme der Journalist dem Verlag zu teuer; außerdem könne er weder Jugend noch Familie zu seinen Gunsten ins Feld führen.
Lustig ist: Wer als „Instanz“ glaubt, sich um die Differenz zwischen Jack White (The White Stripes) und Jack White (Schlagerfuzzi) nicht bekümmern zu müssen, führt in der Not „erwartbare Leserproteste“ ins Feld, mit denen allerdings nicht mehr zu rechnen sei, weil die emphatischen Leser, die dafür einmal standen, längst tot sind, erklärt der Piefke von einem Chefredakteur kalt lächelnd. Er, Georg, könne ja jetzt ein Buch schreiben. Als der Feuilletonist erst bettelt und dann offen beleidigend wird, ist das Gespräch beendet – und Georg räumt seinen Arbeitsplatz.
Zuhause erwartet ihn seine jüngere Frau Johanna, eine routinierte Paartherapeutin, mit ihrem mittlerweile nachdrücklichen Kinderwunsch. Als alternder Kulturkritiker in Krisenzeiten zu teuer, als alternder Erzeuger im Bett zu lustlos und langsam – ein klarer Fall von Midlife Crisis!
Routiniert entwickelt Georg zunächst ein alternatives Tagesprogramm: tagsüber im Prater abhängen, abends ins Konzert, wo nicht nur Schuberts Streichquartett Nr. 14 „Der Tod und das Mädchen“ auf die Tränen drückt, sondern auch eine Begegnung mit der in Sachen Klassik völlig ahnungslosen Jungredakteurin wartet, die zu gerne wüsste, was die selbsterklärte „Instanz“ vom Abend hält. Als deren ungewohnt freundliche Konzertkritik dann auch noch unter Georgs Namen und mit seinem Foto erscheint, ist das Maß voll. Es beginnt eine Zeit der Rache, die sich zunächst einmal am Cabrio des Chefredakteurs austobt.
„Das Tragikomische ist für mich (...) die beste Abbildung dessen, was man Leben nennt“, notiert Josef Hader zu seinem Regiedebüt, für das er das Drehbuch schrieb und auch die Hauptrolle übernommen hat. Entsprechend gering ist die Fallhöhe des Protagonisten in dieser „Tragikomödie“ eines lächerlichen und nicht sonderlich sympathischen Mannes. Haders Figur fällt aus einem Teil seines Lebens heraus und will in einen anderen Teil lieber gar nicht erst hinein. Die Spannung dieser Krise mit durchaus existenziellen Zügen agiert die Figur dahingehend aus, dass sie einerseits im Pratermilieu Zeit totschlägt, andererseits ihre kindliche Wut in aller Wurstigkeit bis hin zur Selbstbewaffnung und dem Faustkampf regressiv-personalisierend gegen denjenigen richtet, der für die Misere verantwortlich scheint: den Chefredakteur Waller.
Interessanterweise bietet die Kultur, die Musik zumal, dem Feuilletonisten weder Trost noch Ablenkung. Vielmehr deutet einiges darauf hin, dass seine Selbstwahrnehmung als Außenseiter dazu geführt hat, für seine Verrisse so gefürchtet wie bewundert zu sein. Das wird deutlich, als er später auf dem Polizeirevier einem echten Fan seiner Kritiken begegnet, der zwar die verehrten Texte seit einigen Tagen vermisst, aber gewiss nicht auf die Idee käme, sich zu einem Leserprotest aufzuschwingen. Dafür wird Georg seinerseits selbst Opfer der Rache eines Ex-Musikers, den die Kritik des Rezensenten zum Koch eines China-Restaurants beförderte. Man sieht schnell, dass Hader hier mit einer ganzen Reihe von Dopplungen und Spiegelungen arbeitet, die alle um den Komplex der Unfähigkeit zur Kommunikation gruppiert sind.
Auf dem Prater begegnet Georg auch einem etwas jüngeren ehemaligen Mitschüler, Erich, mit dem er sich anfreundet und ihm dann hilft, die Achterbahn „Wilde Maus“ zu renovieren. Erich hat nicht nur eine rumänische Freundin, mit der er sich nicht verständigen kann, sondern aus Liebeskummer auch schon mal einen Selbstmordversuch unternommen. Weil die Rumänin wie Georg etwas Italienisch spricht, kommen die beiden ins Gespräch. Während Johanna wiederum ihre Berufsregeln verletzt und einen persönlichen Kontakt zu einem homosexuellen und veganen Patienten zulässt, der wiederum unglücklich mit einem anderen Protagonisten dieser Geschichte liiert ist.
Hader spielt mit den Tonlagen, erfreut sich an Klischees, deutet den Ernst hinter den Konflikten an, verweigert sich aber entschieden den existenziellen Untiefen, indem er viele Szenen pointiert humorvoll auflöst, wobei der Humor unterschiedliche Niveaus kennt. Dabei besitzt der Film durchaus schmerzhaft zugespitzte Szenen, wenn etwa die Beziehung von Johanna und Georg dessen Krisenmanagement nicht gewachsen ist oder wenn Georg glaubt, sich seinen Problemen mittels der „österreichischen Methode“ entziehen zu können – sich mit einer Flasche Schnaps in den Schnee zu legen und auf das Ende zu warten.
Man kann dem Film seine auch durchs Genre bedingte Inkonsequenz und Unschärfe als Mutlosigkeit und Indifferenz vorhalten. Man kann die prinzipielle Absage an ein bürgerliches Heldenleben aber auch als Haltung des Filmemachers zu seinen Figuren interpretieren, der zufolge man es hier mit Menschen aus einem Milieu zu tun hat, das über ein Repertoire verfügt, Lebenskrisen bis zu einem gewissen Punkt zu genießen und bestimmte Konstellationen (die Therapie, den Alkohol, die Beziehungskrise, den Flirt, den Prater, die Gewalt gegen Sachen, den Suizid) lustvoll durchzuspielen und zu „konsumieren“ (Hader in einem Interview).
Nimmt man diese Hinweise ernst – und die explizit fade und herausfordernd harmlose Auflösung am Schluss scheint dies zu bestätigen –, dann rückte „Wilde Maus“ in die Nähe der dramatischen Vexierbilder eines Carl Sternheim, bei denen auch nie ausgemacht ist, wo und vor allem wie Affirmation in radikale Kritik umschlägt und umgekehrt.