Es gehört zu den „Misteri italiani“, dass Regierungskrisen und politische Skandale nicht abreißen wollen. Immer wieder werden Vorwürfe des Amtsmissbrauchs, der mafiösen Verstrickung, der Vetternwirtschaft und Korruption laut. Wie kann man in einem solchen Klima noch die moralisch verrohten, kriminellen Strukturen ästhetisch bannen, deren Zerschlagung die Mehrheit längst aufgegeben hat? Stefano Sollima, der als Regisseur an der Mafia-Serie „Gomorrha“ mitwirkte, setzt biblische Ausmaße ins Werk, baut Spannung auf, indem er die Geschichte als den Ablauf der letzten Tage vor dem Jüngsten Gericht erzählt.
Dauerregen kündet beständig von dessen naher Ankunft. In sieben Tagen wurde die Welt erschaffen, hier wird sie in sieben Tagen Stück für Stück wieder zerlegt, was der Film in bizarr-grotesken Bildern ausmalt. In der kurzen Spanne geschehen in den Reihen einflussreicher Personen folgenschwere Dinge, die die Stunde der Abrechnung heraufbeschwören. Während der Papst sein Amt niederzulegen beschließt, werden dem Parlamentarier Filippo Malgradi seine sexuellen Exzesse zum Verhängnis. Nachdem in seinem Hotelzimmer eine minderjährige Prostituierte an einer Überdosis Kokain starb, soll deren Kupplerin Sabrina das Unglück vertuschen, wofür sie die Mafia einspannt und so ihrem Kunden ein Mitglied des Zigeunerclans der Anacleti auf den Hals hetzt. Ein Verbrechen nährt das nächste. Der skrupellose Politiker will den „Schmarotzer“ loswerden und schaltet eine zweite Mafia-Familie ein, den Sohn Adamis, was einen Vergeltungskrieg zwischen den beiden tonangebenden Familien auslöst. Als Vermittler greift ein dritter Clan in den Machtkampf ein, der des Mafioso „Samurai“, der im Hafenviertel Ostia gerade den Bau eines italienischen Las Vegas in die Wege leitet und die Blutrache durch Erpressung, Wiedergutmachungsleistungen und Beteiligung an dem Riesengeschäft ruhigstellen will. Für die notwendige Bauordnung soll der Politiker Malgradi die Mehrheit der Stimmen hinter sich sammeln. Das aber muss geschehen, bevor durch den drohenden Rücktritt des Ministerpräsidenten die Regierung aufgelöst wird.
Sollimas Film basiert auf einem Thriller des Duos Bonini und De Cataldo. In dem setzte noch ein Kommissar dem bösen Treiben ein Ende, während es im Film nun keinen Arm des Gesetzes mehr gibt. Die Stadt ist vom Bösen usurpiert, Rom zum Hauptsitz der Mafia verkommen. Sinnbildlich quillt das Abwasser aus dem Gully und überspült einen Innenhof, keiner wäscht mehr seine Hände in Unschuld, und das auch, weil die Mafia mit alttestamentarischem Zorn die Schuld der Väter bis ins nächste oder übernächste Glied verfolgt. Es ist eine vormoderne Stammesgesellschaft, die mit patriarchalen Prinzipien riesige Geldströme dirigiert. Der Film spielt bereits im Titel darauf an, der ein Viertel im antiken Rom mit einem dort ansässigen städtischen Subproletariat bezeichnet und verwendet wird, um einen Ort der Amoral und des Verbrechens zu markieren. Zudem verweist er auf das Buch „La Suburra“ von Filippo Ceccarelli (2010), der die politische Klasse als von sexuellem Verlangen und Gier nach der Macht beherrscht sah. Das fiktive Geschehen nimmt Bezug auf tatsächliche Ereignisse und Personen, etwa den neofaschistischen Verbrecher Massimo Carminati, auf den Rücktritt Berlusconis, seine berüchtigten Sexpartys, den Rücktritt Benedikts XVI. im Februar 2013. Indem er dies zeitlich zusammenzieht, erscheint der Rücktritt des Papstes als Kapitulation gegenüber den Verbrechen im eigenen Haus; denn auch ranghohe Vertreter des Vatikans wollen an der Groß-Investition verdienen.
„Suburra“ untersucht das Gefüge der Macht und spürt dem unersättlichen Sex-Rausch, der materiellen Gier und der blutigen Rache nach. Dabei setzt er auf Kontraste, nutzt dramatische Lichteffekte, steigert Bildelemente ins Formlose, Monströse, erzeugt ein gespanntes Verhältnis zwischen Figur und Raum, getragen von einem tranceartigen elektronischen Sound und den Fließgeräuschen des allgegenwärtigen nassen Elements. Das neureiche, mit kitschigen Kunstwerken überladene Establishment des Familienclans der Anacleti badet geradezu in barocken Farben, schweren, sinnlichen Gold- und Rottönen, die sich im Finale zu dämonischem Blaugrau eintrüben. Mit der bildmächtigen manieristischen Zeichnung der korrupten Politiker und verbrecherischen Geschäftemacher ergänzt „Suburra“ bestens Sorrentinos „La grande bellezza“, der die Lage der Intellektuellen analysierte. Beide malen ein desillusioniertes Sittenbild einer Gesellschaft im Zerfall.