Dokumentarisches Porträt des österreichischen Schriftstellers Peter Handke, dem die Dokumentaristin Corinna Betz vier Jahre lang rare Momente einer süß-sauren Annäherung abgerungen hat. Die Aufnahmen aus seinem Refugium in einem Pariser Vorort werden von einem Bildfluss erhabener Landschaften, vollgekritzelter Notizhefte und vielen Textausschnitten getragen, in denen Handkes um Andersartigkeit ringende Prosa wie ein flirrender Sound einer vergangenen Epoche klingt. Der beeindruckende Film konzentriert sich auf die literarische Welterkundung des Autors und entlockt ihm durch einen klugen Schnitt manche Selbstbeschreibung.
- Sehenswert ab 14.
Peter Handke - Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte
Dokumentarfilm | Deutschland 2016 | 89 Minuten
Regie: Corinna Belz
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2016
- Produktionsfirma
- Zero One Film
- Regie
- Corinna Belz
- Buch
- Corinna Belz
- Kamera
- Nina Wesemann · Axel Schneppat · Piotr Rosolowski
- Schnitt
- Stephan Krumbiegel
- Länge
- 89 Minuten
- Kinostart
- 10.11.2016
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm | Künstlerporträt
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Heimkino
Annäherungen an den öffentlichkeitsscheuen Schriftsteller Peter Handke
Diskussion
Ein Österreicher aus Kärnten gegen den Rest der Welt. Nicht nur in der Rolle eines von seiner luziden Überlegenheit beseelten Wutjünglings, der 1966 den etablierten Kollegen aus der Gruppe 47 auf einer Tagung in Princeton „Beschreibungsimpotenz“ vorwarf. Auch als Senior, der sich zwar filmen lässt, aber nur unter Protest. Peter Handke ist „nicht erotisiert“. Nicht von der Kamera, die ihn beim Lesen beobachtet, ausgestreckt auf einem Bett unter den vergilbten Fotografien nächster Verwandter. Weder vom Literaturbetrieb, der ihn seit Jahrzehnten ehrt, noch von den Betroffenheitsheuchlern, die sich mit den Opfern von Srebrenica solidarisieren.
Regisseurinnen, die sonderbare Fragen stellen, sollten eigentlich draußen bleiben. Computer ebenfalls. Die kommen ihm ohnehin nicht ins Haus. Die ganze „scheißtechnische Welt“ kann dem Schriftsteller gestohlen bleiben. Auf mechanischen Schreibmaschinen zu schreiben, sei allen Neuerungen immer noch vorzuziehen. Besser sei noch, gleich mit der Hand zu schreiben. Wenn dieser gepflegte Anachronismus nicht funktioniert, dann stickt der mit der Konsens-Mehrheit fremdelnde Schriftsteller vor sich hin. Oder geht in den Wald, um Pilze zu sammeln. Hinterher schneidet er sie auf und genießt dabei die Geräusche dieser Wesen aus einer zwar vergehenden, aber so beruhigend „kleinteiligen Welt“.
Die deutsche Innerlichkeit lebt in einem Vorort von Paris, flankiert vom österreichischen Weltekel und französischer Angriffslust. Corinna Belz hat sich nach ihrem Film über Gerhard Richter (fd 40 616) in eine weitere Höhle männlicher Grandiosität gewagt. Immer wieder, vier Jahre lang. Das hätte schiefgehen können, zumal der Gefilmte gerne mit seiner Unlust kokettiert, die leise Stimme plötzlich zornig erhebt, nur um wenige Momente später offen zuzugeben, es habe ihn schwer getroffen, dass ihn kein einziger Journalist wegen seiner proserbischen Auslassungen zum Jugoslawien-Konflikt verteidigt habe. Eine tiefergehende Krise hat diese mediale Ablehnung aber offenbar nicht verursacht. Handke frönt weiterhin seinem entschleunigten Künstlerdasein.
Man sieht ihn beim Schneiden von Baumästen im Garten, in der Metro auf dem Weg ins Café am Montparnasse, beim Besuch seiner zwei Töchter und den nicht wenigen Versuchen, mit einem charmanten Lächeln den Eindruck eines grantig-launigen Alten zu zerstreuen. Seine eigenen Texte aus dem Off persönlich vorzulesen, lässt sich der Sprachvirtuose dann doch nicht nehmen. Belz gelingt es, einen eindringlich mit atmosphärischer Jazz- und Barockmusik unterlegten Fluss aus erhabenen Landschaften, vollgekritzelten Notizheften und über das Bild gleitenden Textausschnitten dazwischen zu montieren, die den Zuschauer zum eifrigen Leser mutieren lässt. Und das, obwohl die Elaborate mitunter auch reichlich Konzentration abverlangen. Man nimmt diese angestrengt um ihre Andersartigkeit ringende Prosa wie einen flirrenden Sound aus einer fernen Zeit wahr, als das Querulantentum noch sexy war und das öffentliche Philosophieren über existenzielle Fragen des Lebens kein Hindernis für eine breite mediale Reichweite.
Konterkariert werden diese süß-sauren Annäherungen durch Ausschnitte aus Filmen des Freundes Wim Wenders, der auch einige Werke von Handke adaptierte. Für „Himmel über Berlin“ (fd 26 452) schrieb Handke das Drehbuch. Kostproben der legendären Theateraufführung der „Publikumsbeschimpfung“ in der Regie von Claus Peymann fehlen ebenso wenig wie aus heutiger Sicht unfreiwillig komische Fernsehinterviews, in denen der junge Handke sein fragendes Gegenüber mit todernster Wortakrobatik straft. Jede Menge Passfotos und bisher unveröffentlichte Polaroids aus unterschiedlichen Lebensphasen outen ihn als manischen Selbstporträtisten. Ob aus Eitelkeit, Sorge um seine postmortale Rezeption oder lediglich aus dem Wunsch heraus, die Zeit festzuhalten, bleibt in der Schwebe. Immerhin finden sich in den Archivkästen auch unzählige Bilder der Tochter Amina, die Handke seit Anfang der 1970er-Jahre allein erzog. Bei einem Tête-à-Tête am Wirtshaustisch schwärmt er auch heute noch von der „Anwehung von Paradies“, die für ihn das Zusammenleben mit dem Kind als „Ansporn zum Weitertun“ bedeutete.
Als die erwachsene Tochter einwendet, dass sie die Trennung von der Mutter tief verstört habe und es eigentlich alarmierend gewesen sei, dass sie viel zu viel geschwiegen habe, will er ihre Sicht der Dinge nicht teilen, denn ihr Schweigen sei doch so schön gewesen. Kein Wunder, dass die so über ihre eigenen Empfindungen Belehrte feststellt, sie kenne ihren Vater manchmal überhaupt nicht. Nur als der Selbstmord von Handkes Mutter zu Sprache kommt, den er 1972 in der Erzählung „Wunschloses Unglück“ thematisierte, entlockt ihm der traumatische Einschnitt keine ambivalenten Reaktionen. Betroffen verschließt er sich wie eine der Muscheln, die er als Wegweiser auf seinem Waldpfad verstreut.
Nicht alle biografischen Etappen kommen zur Sprache. Auf die Begegnung mit Jeanne Moreau wartet man vergeblich. Wenders wird zur Abwechslung nicht ausgehorcht, und auch die Sicht der französischen Kritik spielt keine Rolle. Dafür wird Handkes zweite Ehefrau Sophie Semin befragt. Die zarte Französin, die in der Stadt lebt, damit der Ruhebedürftige über sein Refugium in Chaville allein verfügt, kann bis auf ein beschützendes Mitgefühl keine unbekannten Facetten beisteuern. Das rastlose Herumreisen, die Panikattacken, die zeitweilige Rückkehr nach Österreich werden außen vor gelassen.
Diese Lücken tun dem gelungenen Porträt aber keinen Abbruch. Belz konzentriert sich auf Handkes Welterkundungen aus dem Text heraus. Seine Selbstbeschreibungen entlockt sie ihm dank eines klugen Schnitts wie nebenbei. Ohnehin bekommt man den Eindruck, dass diesem eigenbrötlerischen Ichling die Kommunikation mit Menschen lästig ist. Er überlebt im Schreiben, in den Kolonnen von Büchern, über deren Titel die Kamera mit staunender Ausdauer schwebt und die man tatsächlich mal in die Hand nehmen möchte, beim nächsten Spaziergang durch den Wald.
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