Paterson benötigt keinen Wecker. (Fast) jeden Morgen erwacht er pünktlich neben seiner wunderschönen Frau Laura, stiehlt sich aus dem Bett, lässt sie schlafen, macht sich fertig, isst eine Kleinigkeit, nimmt seine Lunchbox und geht dann zur Arbeit. Paterson ist Busfahrer. Nach getaner Arbeit kehrt er nach Hause, schiebt kurz den windschiefen Briefkasten zurecht, lässt sich von Laura erzählen, was sie an diesem Tag alles erlebt hat und geht dann noch mit dem Hund, einer englischen Bulldogge namens Marvin, kurz raus, auf ein Bier in seiner Stammkneipe. So geht es, der Film registriert lakonisch die Wiederholungen des Immergleichen mit einer Spur Humor, tagein, tagaus, eine Woche lang.
Doch das ist nur eine, allerdings durchaus relevante Seite der Medaille. Paterson, der so heißt wie die Stadt in New Jersey, in der er lebt und arbeitet, ist nämlich Busfahrer und zugleich Poet, wenngleich er bislang noch nichts publiziert hat. Seine Poetik ist derjenigen von William Carlos Williams verpflichtet, der mit seiner Dichtung von Dingen, nicht von Ideen ausging. Auch „WCW“ hat in Paterson gelebt, als Arzt gearbeitet und nebenher gedichtet. Paterson weiß sich also in Paterson in bester Gesellschaft und lässt sich bei seiner Alltagsroutine durch Begegnungen und abgelauschte Gespräche oder Beobachtungen inspirieren.
Der Zuschauer hat dabei entschieden die Wahl der Perspektive auf das Geschehen. Je nach Blick ändert sich das Geschehen, wie in einem filmisches Vexierbild. Zur Frage steht beispielsweise, ob Paterson ein Busfahrer ist, der in seiner Freizeit dichtet? Oder ist Paterson nicht vielmehr ein Dichter, der sich seine Leidenschaft durch den Job des Busfahrers finanziert?
Ein paar Tage folgt man Paterson und seiner Frau Laura durch den Alltag und kann dabei die Konsequenzen der jeweiligen Perspektive bedenken. Die von Paterson ist klar strukturiert, er war beim Militär und scheint in sich zu ruhen; sie hingegen ist impulsiv und hat viele kreative Ideen und Träume, wobei sie durchaus auf Außenwirkung bedacht ist. Laura ist es auch, die darauf besteht, dass Paterson seine Lyrik endlich öffentlich macht. Wenn er schon keinen Verlag sucht, soll er seine Gedichte wenigstens mal fotokopieren.
Gerade weil der neue Film von Jim Jarmusch sich fast schon meditativ auf das oberflächlich Immergleiche, das Repetitive des Alltags einlässt, werden die kleinen Sensationen, die Begegnungen und die damit verbundenen Geschichten umso schneller sichtbar. Tatsächlich ist in Paterson nämlich jede Menge los: eine Liebesgeschichte eskaliert, ein Bus macht schlapp, ein Rapper entwickelt seine Texte im Waschsalon, Lauras Cupcakes erweisen sich auf dem Regionalmarkt als Verkaufsschlager, mit einem japanischen Touristen und auch einem Schulkind kann Paterson sich über Lyrik unterhalten („Unglaublich! Ein Busfahrer, der Emily Dickinson kennt!“) – und nicht zuletzt erfährt man, dass da immer noch jemand ist, der wirklich alles tut, damit alles so bleibt, wie es ist.
Überdies spinnt Jarmusch ein dichtes Netz aus popkulturellen Referenzen, die das etwas heruntergekommene, einstige Textilzentrum als einen durchaus lebendigen Ort einer nicht glamourösen, aber selbstbewussten Kultur-Praxis erscheinen lässt. Wenn Paterson und Laura, die eine begnadete Designerin, Innenarchitektin, Bäckerin und talentierte Country-Sängerin ist, gemeinsam ins Kino gehen, schauen sie sich „Island of Lost Souls“ von 1932 an und fühlen sich ein wenig wie im 20. Jahrhundert. Mit seinem vielfach geteilten Faible für Poesie, fürs Schreiben und Fotokopieren, fürs Sammeln von Zeitungsausschnitten und der auffälligen Distanz zu Mobiltelefon und Internet und allem, was damit zu hat, hätte sich Jarmuschs „Paterson“-Film in einem früheren Jahrzehnt, etwa den 1980er-Jahren, ganz wohl gefühlt.
„Manufactum“-Arthouse also? Ein altmodischer Film? Eher vielleicht nachhaltig – und bei aller „Verzauberung des Alltags“ wohl auch zarter, ganz materialistischer Hinweis darauf, dass Kulturarbeit nicht zum Broterwerb taugt, wenn man das Lokale, das Abseits als sicheren Ort zum Leben wählt. Was nicht nur negativ ist. So erzählt „Paterson“ konservativ, anti-kapitalistisch, voller Humor, den man nicht als Ironie missverstehen sollte, dicht und vor allem durchdacht von Kreativität und Spontaneität, von der Lust, die Welt zu gestalten und von der Lust, für sich zu sein. Ein lakonischer Gegenentwurf zur Kultur der Casting-Show, der Instagram-Selfies und Facebook-Likes.